Hamburg . Bund und Land stellen 40 Millionen Euro bereit. Handelskammer-Präses Bergmann bezeichnet dies als “Gnadenakt“, der nicht ausreiche.
Das Umfeld ist Kiez pur: Er sitzt auf einem verschrammten Stuhl an einem kleinen Cafétisch, auf dem Boden der reichlich alternativ anmutenden Bühne liegen verschiedene kleine Orientteppiche – und durch das Fenster sieht man die Seitenfront der Roten Flora. Doch während sich manche seiner Amtsvorgänger als Präses der Handelskammer in einem solchen Ambiente deplatziert gefühlt hätten, ist das bei Tobias Bergmann offenbar anders. „Was Sie hier erleben, ist die neue Handelskammer“, scherzt er.
Allerdings hat das Treffen, zu dem Bergmann in das Café Schmidtchen im Kulturhaus 73 am Schulterblatt einlud, einen ernsten Hintergrund: Es geht um Entschädigungen für die durch G20-Krawalle betroffenen Geschäftsleute in der Schanze und angrenzenden Vierteln. Der Präses forderte, bei den von Stadt und Bundesregierung geplanten Hilfen dürfe es keine vorab festgelegte Obergrenze geben.
Drittel der Summe fällt wohl auf zerstörte Pkw
Nach Angaben des Bundesfinanzministeriums werden über den sogenannten Härtefallfonds 40 Millionen Euro je zur Hälfte vom Bund und von der Hansestadt bereitgestellt. Das Geld ist nach Angaben von Bergmann für den Ausgleich von Schäden gedacht, für die kein Versicherungsschutz besteht. Am Dienstag hatten die deutschen Versicherer die von ihnen zu tragenden Schäden durch die G20-Krawalle auf bis zu zwölf Millionen Euro geschätzt, wobei etwa ein Drittel der Summe voraussichtlich auf zerstörte Autos entfalle, der Rest auf Schäden an Häusern und Gewerbebetrieben.
Aus Sicht von Bergmann ist der Härtefallfonds „mit der heißen Nadel gestrickt worden“, zudem werde der Betrag nicht ausreichen. „Wir fordern einen echten G20-Schadensfonds, der bisher angedachte Fonds ist nur ein Versicherungsergänzungsfonds“, so der Präses.
Bereits am Montag nach den Ausschreitungen hatte es in der Handelskammer ein Treffen von mehr als 50 betroffenen Gewerbetreibenden gegeben. Alle geschädigten Unternehmen sollten einen Rechtsanspruch auf vollständige Entschädigung durch den Staat erhalten, ohne ihre Versicherungen in Anspruch nehmen zu müssen, forderte Bergmann jetzt.
Über die Sachschäden hinaus sollte nach seiner Auffassung auch der Mehraufwand durch Sicherung der Ladengeschäfte sowie der Verdienstausfall einbezogen werden. „Der größte Schaden entsteht durch den entgangenen Umsatz“, so Bergmann. Für manchen Unternehmer könne der Ausfall der Einnahmen eines Sommerwochenendes existenzielle Bedeutung haben. Vor allem aber sei dieser Schaden zeitlich nicht auf das Gipfelwochenende beschränkt.
Inhaber: Der Schaden durch G20 wirkt nachhaltig
Das bestätigt Julia Knieschewski von der Direktion des Hotels St. Annen, nicht weit vom Schanzenviertel entfernt: „Bei uns werden sogar Buchungen für 2018 storniert.“ Katharina Roedelius, die in ihrem Geschäft Lokaldesign am Schulterblatt Möbel und Wohnaccessoires verkauft, hat seit den Krawallen kaum Umsätze erzielt: „Dafür kommen Touristen, die die Schäden fotografieren.“ Schon am Mittwoch vor G20 hatte sie das Geschäft vorsorglich geschlossen und ihre Mitarbeiter in den Urlaub geschickt.
„Die Gewerbetreibenden in Altona, dem Schanzenviertel und in der City sollten so gestellt werden, als ob die Stadt Hamburg im Vorfeld von G20 die Schließung ihrer Betriebe angeordnet hätte“, so Bergmann. Er sieht die Politik in der Pflicht. Schließlich habe sie entschieden, dass der Gipfel in Hamburg stattfindet; ihr sei das damit verbundene Risiko bewusst gewesen. „Wer die Musik bestellt, bezahlt sie auch“, sagte der Kammer-Präses.
Er forderte zur Behebung des Imageschadens eine „nationale und internationale Marketingkampagne für den Shopping-Standort Hamburg“, die besonders die Schanze und Altona einschließe. Einzelhändler hatten in einem Schreiben an Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) zwei zusätzliche verkaufsoffene Sonntage im Dezember zum Ausgleich von Umsatzausfällen ins Gespräch gebracht. „Das würde uns aber nichts nützen“, sagte Hella Dierking, Inhaberin der Altonaer Einhorn-Apotheke. Auch sie berichtete über spürbar gesunkene Umsätze seit G20.
Zieht die Haspa zeitweise in die alte Deutsche Bank?
Zwar sei die Schanze „wild, alternativ und anders“, sagte Falk Hocquél, Inhaber des Café Schmidtchen. „Aber Protest, der die Stadt zerstört, braucht hier niemand.“ Hocquél gehört zu den Initiatoren einer Interessengemeinschaft Schanze, in der sich Einzelhändler, Gastronomen und Grundeigentümer zusammenschließen wollen, um gemeinsame Marketingaktivitäten zu betreiben.
Zu den konkreten Problemen für die dortigen Geschäftsleute in der Folge der G20-Krawalle gehöre die monatelange Schließung der Haspa-Filiale am Schulterblatt, die ausgebrannt war. Hocquél regte an, die Haspa solle vorübergehend die seit Längerem geschlossene und leerstehende Filiale der Deutschen Bank in der Nähe nutzen. Nach Angaben der Haspa werden derzeit Gespräche über eine solche Übergangslösung geführt, man prüfe aber auch andere Ausweichstandorte.