Hamburg. Jedes dritte Kind wird zur Schule gefahren. Appelle der Schulleitungen nützen wenig. Bannmeile und Verkehrslotsen sollen helfen.

Noch schnell ein Küsschen für die Mutter, und der Junge hopst aus der Autotür. Der Linienbus muss warten, ebenso alle anderen Autos. Der Verkehr staut sich vor der Grundschule Stockflethweg in Langenhorn wie jeden Morgen zwischen 7.45 und 8 Uhr. Nicht nur hier, sondern an vielen Schulen kommt es zu Staus, weil Eltern ihre Kinder mit dem Auto zur Schule fahren.

„Es wird schlimmer und die Autos der Eltern immer größer“, sagt Peter Albrecht, Sprecher der Schulbehörde. Die Folge ist mancherorten ein Verkehrschaos – mit riskanten Halte- und Wendemanövern. Busse der Hochbahn stecken fest. Absolute Halteverbote, so die Polizei, würden komplett ignoriert.

Sie schätzt, dass jedes dritte Grundschulkind zur Schule gefahren wird. In Hannover will die Polizei mit zeitlich begrenzten Sperrungen, Haltestellen und Verkehrsüberwachungen das Pro­blem der „Eltern-Taxis“ angehen. Das ist in Hamburg noch nicht im Gespräch, und doch zeigen Schulen gegen dieses Verhalten zunehmend klare Kante: Die Katholische Schule Hochallee in Harvestehude hat „Laufbusse“ initiiert – von Eltern zu Fuß begleitete Schülergruppen. Um den Auto-Bringverkehr gering zu halten, hat der Elternrat an der Grundschule Sethweg in Niendorf vor einem Jahr eine Bannmeile beschlossen. Diese umfasst an den äußersten Punkten eine Entfernung von 800 Metern bis zur Schule.

Viele Eltern reagieren patzig und uneinsichtig

Nur Kinder, die außerhalb dieses Einzugsgebietes wohnen, dürfen mit dem Auto gebracht werden. Und das auch nicht bis vor die Tür. Mit der Polizei sind „Kiss&Go-Zonen“ abgestimmt worden. Dort kann das Kind auf der Beifahrerseite herausgelassen werden und hat noch einen kurzen, sicheren Spaziergang zur Schule. „Diesen Weg geht es natürlich ohne Elternbegleitung“, heißt es in einer Mitteilung. „Dieses gilt zu jeder Jahreszeit und bei jedem Wetter.“ Die meisten Kinder wohnen ohnehin fußläufig zur Schule. Das Konzept wirkt: „Die Eltern erziehen sich selbst, es funktioniert bis auf wenige Ausnahmen“, so Schulleiterin Angelika Ebeling. Die „Taxis“ sind zwar in erster Linie ein Problem an Grundschulen, doch auch das Johanneum in Winterhude hat eine Elternzone zum Bringen und Abholen in Schulnähe etabliert.

Nicht überall sind Eltern einsichtig. Beispiel Grundschule Turmweg in Rotherbaum: Dort hat die Schulleitung den Eingang Hallerstraße geschlossen, nachdem an dieser Stelle vor sechs Jahren ein Junge beim Bringen angefahren wurde. Geändert hat sich seither nicht viel. Obwohl Schulleitung, Lehrer und Polizei die Eltern ansprechen, zeigen nur wenige Einsicht. Im Gegenteil: Eltern parken auf dem Mitarbeiterparkplatz, versperren die Feuerwehreinfahrt und reagieren patzig. Vor allem aber gefährden sie ihre eigenen und andere Kinder mit waghalsigen Wendemanövern. „Diese Eltern denken in dem Moment nur an sich und ihren Vorteil“, so Schulleiterin Ulrike Lammen. Ähnliche Erfahrungen hat Susanna Eckhoff, Leiterin der Grundschule Stockflethweg, gemacht: „Wir werden teilweise massiv bepöbelt, wenn wir auf Verbote und Gefährdungen hinweisen.“

Kerstin Braack (l.) und Hilke Gesine Möller, (Elternrat Schule Stockflethweg) mit Sebastian Ulrich (Verkehrswacht)
Kerstin Braack (l.) und Hilke Gesine Möller, (Elternrat Schule Stockflethweg) mit Sebastian Ulrich (Verkehrswacht) © Roland Magunia | Roland Magunia

Das Thema steht regelmäßig auf der Tagesordnung der Elternräte. „Aber es wird nicht besser, sondern schlimmer“, sagt Kerstin Braack, Elternratsvorsitzende an der Grundschule Stockfleth­weg. Dort fährt ein Vater an diesem Morgen seine sechsjährige Tochter Viktoria zur Schule. Er lässt den Wagen trotz Parkverbots am Straßenrand stehen und begleitet die Erstklässlerin in den Klassenraum. Er sagt: „Leider gibt es hier keine Parkplätze.“ Das Chauffieren sei keine Bequemlichkeit, sondern eine Notwendigkeit. Er sei auf dem Weg zur Arbeit.

Elternlotsen sollen den Kindern den Weg weisen

Elternrat und Schulleitung wollen nun Elternlotsen etablieren, die den Kindern den Weg zur Schule weisen. Ziel ist es, sichere Bring- und Abholzonen in der Nähe zu zeigen, damit die Kinder den Rest zu Fuß gehen. Sebastian Ulrich von der Deutschen Verkehrswacht bildet Lotsen aus. Zehn bis 20 Freiwillige pro Schule seien nötig. Die Nachfrage steigt. Im vergangenen Jahr gab es in Hamburg 185 Elternlotsen, in diesem Jahr sind es bereits 264 an neun Schulen.

Warum verhalten sich Eltern so? Sie seien bequem und ängstlich, sagt Matthias Dehler, Verkehrsexperte in der Schulbehörde. Zudem sei der Alltag so durchgetaktet, dass es schneller geht, das Kind mal eben zur Schule zu bringen. Verkehrsexperten und Pädagogen sind sich einig, dass Eltern ihren Kindern damit ein Stück Selbstständigkeit nehmen.

Tipps für einen sicheren Schulweg

Rainer Schönhardt von der Polizei appelliert an die Eltern: „Unterstützen Sie Ihre Kinder dabei, den Schulweg zu Fuß zu erleben. Sie zur Schule zu fahren, um sie vor Gefahren des Straßenverkehrs zu schützen, ist der falsche Weg.“ Für den Erziehungswissenschaftler Albert Wunsch ist das Chauffieren eine „Katastrophe für die Eigenverantwortung der Kinder“. Eltern trauten ihren Kindern den Schulweg einfach nicht zu. „Damit vermasseln sie Erfahrungen, die die Kinder unbedingt machen sollten.“