Die Aktion soll Eltern sensibilisieren, ihren Nachwuchs nicht ständig zu kutschieren. Sie sind aufgefordert, ihre Kinder zu Fuß, mit dem Roller oder mit dem Fahrrad zur Schule kommen zu lassen.
Hamburg. Es sind zehn Minuten, in denen schwarze Audis, BMWs, Volvo-Limousinen und ein matt lackierter Audi Q7 vorfahren und kleine Mädchen und Jungen mit Schulranzen rauslassen. Das ist hier aber keine Autoshow. Es sind Eltern, die ihre Kinder morgens an der Grundschule auf der Uhlenhorst in diesen Minuten vor Unterrichtsbeginn wie am Fließband abliefern. So wie der Vater im Anzug, der in Hohenfelde wohnt und in Billstedt arbeitet. Zu Fuß zu gehen, diese Frage stelle sich nicht. Die benachbarte Heilandskirchengemeinde hat ihren Parkplatz geöffnet, sodass die autofahrenden Eltern Halte- und Parkmöglichkeiten haben und ihren Nachwuchs gefahrlos aus- und nachmittags wieder einsteigen lassen können. „Zu 50 Prozent schäme ich mich“, sagt Marita Deusch, die ihre Zwillinge Emily und Pauline, beide 8, mit dem Auto zur Schule fährt. „Aber ich möchte einfach sichergehen, dass sie gut ankommen. Würde ich sie morgens nicht bringen, müssten wir noch früher aufstehen“, sagt die Versicherungskauffrau. „Nachmittags gehen sie dann zu Fuß nach Hause.“
Damit Eltern wie Frau Deusch und der Vater im Anzug vielleicht doch umdenken und ihre Kinder allein zu Fuß gehen lassen oder sie dabei begleiten, gibt es seit 2000 den jährlichen internationalen „Zu Fuß zur Schule“-Tag. In Hamburg machten am Freitag etwa 10.000 Grundschüler bei der Aktion mit. Sie waren aufgefordert, zu Fuß, mit dem Roller oder mit dem Fahrrad zur Schule zu kommen, statt sich von ihren Eltern fahren zu lassen. 40 Grundschulen beteiligen sich an der insgesamt dreiwöchigen Aktion. Ziel ist es, dass die Kinder lernen, sich möglichst früh sicher und selbstständig im Straßenverkehr zu bewegen. Am Freitag wurde auch die Schule mit den meisten Fußgängern gekürt – die Schule Redder in Sasel mit nur 0,61 Prozent Kindern, die zur Schule gefahren werden. Die Schule Archenholzstraße in Billstedt hat die größten Fortschritte innerhalb einer Woche gemacht. Um 41 Prozent haben die „Elterntaxi-Fahrten“ abgenommen, hat die Zählung ergeben.
Während der Aktionswochen werden die Eltern von der Schulleitung und den Elternräten aufgefordert, ihre Kinder nicht direkt vor der Schule aus dem Auto aussteigen zu lassen, sondern an Sammelstellen, etwa 300 Meter weg von der Schule, an denen das Aussteigen sicherer sein soll. Von dort aus sollen die Kinder dann zu Fuß in die Schule gehen und bekommen dort einen Stempel in ihr Stempelkärtchen. Drei Wochen lang können sie jeden Tag, an dem sie zu Fuß in die Schule gekommen sind, stempeln. In dieser Zeit und natürlich eigentlich auch darüber hinaus sollen Eltern nicht in den Einfahrten der Schulhöfe oder auf der Straße halten, um das Kind aussteigen zu lassen: zu gefährlich.
Matthias Dehler vom Referat für Mobilität- und Verkehrserziehung der Schulbehörde: „Die Eltern möchten ihre Kinder vor den Gefahren des Verkehrs schützen. Sie bedenken allerdings nicht, dass sie damit den Verkehr rund um die Schule erhöhen und Kinder im Auto auch einem Unfallrisiko ausgesetzt sind. Gerade, wenn es morgens hektisch wird.“ Bei 30 Prozent aller schweren Schulwegunfälle sind die Kinder nicht etwa beim Zu-Fuß-Gehen verletzt worden, sondern saßen im Auto.
Für viele Eltern ist das Zu-Fuß-Gehen ohnehin selbstverständlich. Denn dabei wird nicht nur die Umwelt geschont, die Bewegung, das Herumtollen oder Fahrradfahren macht Spaß. Dennoch bewegen sich Kinder immer weniger. Vor 30 Jahren waren Kinder täglich vier Stunden draußen. Laut Verkehrsclub Deutschland bewegen sich Kinder heute nur noch 30 Minuten am Tag, sitzen aber neun Stunden.
Ob die Aktionstage die autofahrenden Eltern aber zum Umdenken bewegen? Ulf Schröder, Leiter der Verkehrsdirektion, denkt das schon. Er unterscheidet zwischen zwei Elterngruppen: „Für die einen ist es reine Bequemlichkeit, das Kind mit dem eigenen Auto zur Schule zu bringen. So muss man keine Zeit für ein „Schulwegtraining“ aufbringen oder Absprachen mit anderen Eltern treffen und kann das Kind nach der Schule auch sofort zur nächsten Aktivität fahren“, sagt Schröder. Die andere Elterngruppe bestehe aus den Ängstlichen, die fürchten, es könnte was passieren. Schröder: „Kinder lernen durch abgucken und eigene Erfahrung, sich im Straßenverkehr sicher zu bewegen. Diese Erfahrung können sie als Mitfahrer in einem Pkw jedoch nicht machen.“ Der Verkehrsexperte empfiehlt, dass Eltern mit ihrem Kind den Schulweg anfangs gemeinsam gehen. „Es ist für die eigene Wahrnehmung der Kinder ganz wichtig, sich selbstständig im Straßenverkehr zu bewegen. Wenn kein Erwachsener das Auge und Ohr des Kindes ist, wird das Kind selbst Geräusche, Geschwindigkeiten und Situationen wahrnehmen und einzuschätzen lernen.“ Nur so entwickeln sich die Kinder in relativ kurzer Zeit zu selbstständigen Verkehrsteilnehmern.“