Hamburg. Der Kleine Grasbrook soll bebaut werden. So sieht es heute auf der von zwei Hafenbecken geteilten Halbinsel aus.

Fahnen flattern laut im böigen Wind. Lastwagen und Autotransporter fahren dröhnend die Dessauer Straße auf dem Kleinen Grasbrook entlang. Sie sind unterwegs zum Terminal O’Swaldkai, das mit seinem Kühlzentrum und den beiden Liegeplätzen für Containerschiffe und Transportfähren ein wichtiger Umschlagplatz für Südfrüchte, Autos und Stückgut ist.

Vor einem lang gestreckten backsteinernen Lagerhauskomplex, der rückwärtig an den Saalehafen grenzt, werden Laster mit Gabelstaplern entladen. Im denkmalgeschützten Lagerhaus G beispielsweise wartet allerlei technisches Gerät auf den Weitertransport.

Leitartikel: Hamburg wagt den großen Sprung

Es ist eines der ältesten Speichergebäude Hamburgs und diente im Zweiten Weltkrieg als Außenlager des KZ Neuengamme. Vor einem Lkw, der ein Stück weiter gerade von einigen Männern beladen wird, hält ein Lieferwagen. Die Arbeiter nehmen zwei Bierkästen entgegen. Von der anderen Straßenseite steht Magdalena Meierdirks von ihrem Imbiss und ruft über die Straße: „Was ist denn hier los?“ Und fügt dann schmunzelnd hinzu: „Na ja, wollen wir es ihnen mal nachsehen. Ich verkaufe ja keinen Alkohol.“

Das Lagerhaus G an der Dessauer
Straße ist eines der ältesten Speichergebäude
Hamburgs
Das Lagerhaus G an der Dessauer Straße ist eines der ältesten Speichergebäude Hamburgs © HA | Roland Magunia

Stattdessen gibt es bei ihr Kaffee, Schnitzel, Currywurst und Bauernfrühstück. „Zum Lütten Foffteiner“ heißt ihr Imbiss, der um die Mittagszeit ein beliebter Treffpunkt für Hafenarbeiter, Kraftfahrer und die Mitarbeiter der umliegenden Büros ist. Dass auf dem Kleinen Grasbrook, auf dem Meierdirks seit 17 Jahren ihren Imbiss betreibt, von 2019 an ein neuer Stadtteil mit Büros und 3000 Wohnungen entstehen soll, ist kein Gesprächsthema. Schließlich sollte hier ja schon einmal eine Uni gebaut werden. Und ein olympisches Dorf.

Bebauung könnte Chance für den Hafen sein

Betroffen von den jetzt aber viel konkreteren Plänen wären den aktuellen Darstellungen zufolge (siehe links) auch Flächen des Edeka-Konzerns, der auf dem Kleinen Grasbrook schon lange ein Fruchtkontor inklusive einer Bananenreiferei betreibt, und Flächen des auf Fahrzeuge spezialisierten HHLA-Tochterunternehmens Unikai. Laut den Plänen sollen hier Büros entstehen.

So reagiert die Opposition auf die Grasbrook-Pläne

André Trepoll, CDU-Fraktionschef:

„Ich begrüße, dass der Senat endlich seine lange hinter verschlossenen Türen vorbereiteten Pläne für die Weiterentwicklung des Grasbrooks präsentiert. Wir fragen uns jedoch, wie Hafenwirtschaft, Industrie und Wohnen auf engstem Raum ohne Nutzungskonflikte realisiert werden sollen. Der Hafen darf durch die Entwicklung nicht benachteiligt werden. Warum Olaf Scholz keine breite stadtentwicklungspolitische Debatte zuließ, wird wie so oft sein Geheimnis bleiben.“

Heike Sudmann, Linke-Bürgerschaftsfraktion:

„Das ist Verkündungspolitik à la Scholz. Senat, Unternehmensverband Hafen Hamburg und Industrieverband Hamburg kungeln mal eben einen neuen Stadtteil aus. Viele Fragen waren schon bei der Olympiaplanung offen geblieben: Ist ein Nebeneinander von Wohnen und Hafen mit teilweise gesundheitsgefährdenden Immissionen überhaupt möglich? Wie soll die Hafenentwicklung aussehen, wenn ein neuer Stadtteil auf dem Grasbrook entsteht?“

Jens P. Meyer, FDP-Bürgerschaftsfraktion:

„Aus stadtentwicklungspolitischer Sicht ist es nach der gescheiterten Olympiabewerbung überfällig, das Gelände für den dringend benötigten Wohnraum zu entwickeln. Es ist allerdings befremdlich, dass Rot-Grün solche Planungen trotz konkreter Nachfragen stets verneint und damit die Öffentlichkeit und die Bürgerschaft getäuscht hat

Detlef Ehlebracht, AfD-Fraktion:

„Das Projekt ist zu begrüßen, zumal es im Einklang mit der Hafenwirtschaft realisiert werden soll.“

Johann Killinger, Vizepräses der Handelskammer:

„Die Debatte über mögliche neue Nutzungen im Hafen ist grundsätzlich sinnvoll, weil die Stadt wächst und attraktive Flächen für Gewerbe und Wohnen dringend braucht. Im Hafen gibt es Potenzial für eine Verdichtung ohne Leistungsverlust, nicht zuletzt im mittleren Freihafen.“

Alexander Porschke, Vorsitzender des NABU Hamburg:

„Die Überwindung der Widerstände gegen eine Umnutzung des Grasbrooks ist ein guter und wichtiger Schritt in die richtige Richtung.“

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Während sich Edeka nicht dazu äußern will, reagiert man bei der HHLA gelassen – und verweist auf die festgeschriebene Zusage von Senat und Wirtschaftsbehörde, dass Unikai die Standorte erweitern könne. HHLA-Sprecher Hans-Jörg Heims sieht in der Bebauung des Kleinen Grasbrooks sogar eine Chance für den Hafen: „Die Wohnhäuser würden vor dem Hafenlärm durch Büro- und Gewerberiegel­ geschützt, in die beispielsweise Logistikunternehmen aus der Hafenwirtschaft ziehen könnten.“

Magdalena Meierdirks’ Imbiss ist auf dem Kleinen Grasbrook eine wichtige
Anlaufstelle für hungrige Hafenarbeiter und Lkw-Fahrer
Magdalena Meierdirks’ Imbiss ist auf dem Kleinen Grasbrook eine wichtige Anlaufstelle für hungrige Hafenarbeiter und Lkw-Fahrer © HA | Friederike Ulrich

Während am O’Swaldkai Hoch­betrieb herrscht, ist der nördliche Teil des Kleinen Grasbrooks verwaist. Die Halbinsel auf der anderen Seite des Moldauhafens, genannt Schumacherwerder, wird fast komplett vom Übersee-Zen­trum eingenommen, das Ende 2016 von der HHLA aufgegeben wurde. Früher wurden in dem weltweit größten Verteilzentrum für Stückgut rund um die Uhr Waren zwischen den verschiedenen Hallen hin- und hergefahren.

Reger Betrieb

Heute liegt das gesamte Gelände brach. Das dunkle Bürohochhaus mit den blinden Fenstern und die verlassenen Lagerhallen mutet fast gespenstisch an. Auch auf dem Weg, der zwischen der Spundwand, die das Übersee-Zentrum schützt, und der von Büschen gesäumten Wasserkante entlangführt, ist kein Mensch zu sehen. An dem Fähranleger, an den die Wellen schwappen, ist lange kein Hafenarbeiter mehr aus der Barkasse gestiegen. Und auch auf den Schiffen, die in der Nähe festgemacht haben, rührt sich nichts.

Halbinsel im Hafen

Gegenüber, wo die HafenCity gen Osten wächst, herrscht dagegen reger Betrieb. Lastwagen und Baufahrzeuge, aber auch viele Autos in Richtung Elbbrücken sind unterwegs. Weil der Wind tüchtig aus Westen bläst, ist der Lärm von dort an diesem Tag nicht zu hören.

Der letzte Rest des Weges zur Spitze der Landzunge ist versperrt. Dennoch ist der Blick auf Hamburgs Skyline von hier höchst eindrucksvoll. Einsam ist es hier. Dann tauchen doch noch zwei Männer auf: Vermessungsingenieure, die die Kaimauer überprüfen. Mit den Neubauplanungen, so sagen sie, habe das nichts zu tun.

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