Hamburg. Serie: Was Hamburgs Bundestagskandidaten bewegt. Aydan Özoguz (SPD) über zwei Projekte in ihrem Wahlkreis Wandsbek.

Vor der Bundestagswahl am 24. September hat das Hamburger Abendblatt die aussichtsreichen Hamburger Kandidaten für ein ungewöhnliches Projekt gewonnen: Sie schreiben jeweils über ein Thema, das sie besonders bewegt, eine Person, die sie beeindruckt oder eine Institution in ihrem Wahlkreis, die aus ihrer Sicht mehr Aufmerksamkeit verdient. Heute schreibt Aydan Özoguz (SPD). Sie wurde im Jahr 2009 erstmals in den Bundestag gewählt und gehört seit 2013 als Staatsministerin für Integration der Bundesregierung an. Sie ist Direktkandidatin im Wahlkreis Wandsbek und steht auf Platz eins der SPD-Landesliste.

Wer kümmert sich gern um schwierige junge Männer? Einige werden sagen, mein Sohn reicht mir schon. Aber was ist mit denen, deren Elternhaus nicht so richtig funktioniert? Die oft in der Schule fehlen und sich möglichst schlecht benehmen. Damit geraten sie schnell ins Abseits. Kommt noch ein Migrationshintergrund dazu, werden die Vorbehalte oft noch größer. Wer mag sich mit so einem noch abmühen? Der Weg scheint im Grunde vorgezeichnet …

Das sehen einige junge Leute in der Box-Akademie Hamburg in meinem Wahlkreis in Jenfeld aber ganz anders. Immer mal statte ich denen einen Besuch ab, um zu sehen, wie es läuft. Da gibt es beispielsweise Galina, eine junge Frau aus dem Trainerteam. Sie sucht sich die jungen Leute aus und nimmt mit ihren Mitstreitern die Herausforderung an.

Anerkennung für Jugendliche

Aber sie sagt auch, dass sie etwas in den Jugendlichen erahnen möchte, ein leichtes Feuer, das im Hintergrund noch brennt, und das ihr zeigt, der möchte seinen Weg ins Leben finden. Yusuf (Name geändert) ist so ein Fall: oft zu spät, immer anstrengend. Kam anfangs eher unregelmäßig, dann gar nicht mehr. Aber dann doch wieder. Und nahm die kleinen „Strafen“, wie Liegestütze oder Kniebeugen, ganz von selbst an, wenn er mal wieder zu spät war. Yusuf bekommt für das, was er schafft, Anerkennung – vielleicht zum ersten Mal. Und er steht vor jungen Trainern, die in seinem Milieu groß geworden sind, ähnliche Probleme hatten und irgendwann die Box-Akademie entdeckt haben.

Heute machen sie eine Ausbildung oder studieren, einer ist gerade wieder zu einem sechsmonatigen Auslandsaufenthalt aufgebrochen. Sie haben ihren Platz in der Gesellschaft gefunden und helfen jetzt anderen. Sie sind viele und sie geben viele Stunden ihrer Freizeit, um Kinder und Jugendliche zu trainieren, mit ihnen Regeln einzuüben und gleichzeitig eine Art Anker und Vorbild zugleich zu sein.

Kampf gegen Vorverurteilungen

Es ist Waldemar Siderow, der dieses Projekt seit Jahren am Leben erhält und weiterentwickelt. Er kämpft gegen Vorbehalte und Vorverurteilungen. Er möchte, dass alle eine Chance bekommen und lernen, Regeln und Disziplin zu akzeptieren. Seit acht Jahren macht er das schon. Der Erfolg gibt ihm recht. Trotzdem muss er immer wieder für sein Projekt werben.

Gleichzeitig versuchen die Nachbarschaftsmütter aus Hohenhorst in Rahlstedt das aufzufangen, was bei einigen Jugendlichen, die zur Box-Akademie kommen, eben nicht geklappt hat: Die Unterstützung durch die Familie, ein funktionierendes Elternhaus, weniger Überforderung zu Hause. 2014 gegründet sind sie ein Bindeglied zwischen den Familien und dem Stadtteil. Sie haben oft selbst Einwanderungsgeschichten und kennen das Gefühl der Unsicherheit und Überforderung.

Unsicherheit in Familien

Bei einem Rundgang mit mir durch Hohenhorst zeigt sich, wie vernetzt sie sind. Besonders mit Müttern, die ungern in der Kita jemanden fragen, wenn sie in Schwierigkeiten stecken. Die auch selten von sich aus eine Beratung aufsuchen und manchmal trotz massiver Probleme mit dem Partner nicht so recht wissen, an wen sie sich wenden können.

Gerade in Großstädten wie Hamburg muss es immer wieder gelingen, rechtzeitig zu erfahren, wenn Familien oder Frauen Hilfe brauchen. Die Nachbarschaftsmütter sind ein wichtiger Seismograf. Sie sind stets da, immer ansprechbar und sie sprechen von sich aus Problemlagen an, wo es ihnen notwendig erscheint.

Box-Akademie und Nachbarschaftsmütter zeigen, wie die Anonymität der Großstadt aufgebrochen werden kann. Das Leben in unseren Stadtteilen ist ­lebendig, und dort muss das Miteinander gelingen. Die beiden Projekte stehen stellvertretend für viele weitere ­wichtige Initiativen in der Stadt. Sie ­befördern das Zusammenleben und brauchen neben einer verlässlichen ­finanziellen Förderung vor allem eins: Anerkennung!

Morgen schreibt Christoph Ploß (CDU) über die Stiftung Kinderjahre in Winterhude