Wilhelmsburg. Serie: Was Hamburgs Bundestagskandidaten bewegt – die ehemalige Wissenschaftssenatorin über eine Initiative, die jetzt bedroht ist.
Vor der Bundestagswahl am 24. September hat das Hamburger Abendblatt die aussichtsreichen Hamburger Kandidaten für ein ungewöhnliches Projekt gewonnen: Sie schreiben jeweils über ein Thema, das sie besonders bewegt, eine Person, die sie beeindruckt oder eine Institution in ihrem Wahlkreis, die aus ihrer Sicht mehr Aufmerksamkeit verdient. Heute schreibt Herlind Gundelach (CDU). Die frühere Wissenschaftssenatorin ist seit 2013 Bundestagsabgeordnete und tritt im Wahlkreis Harburg-Bergedorf als Direktkandidatin an.
Bildung ist für Wilhelmsburg einer der wichtigsten Faktoren für eine gute Entwicklung und die Aufwertung des lange vernachlässigten Stadtteils. Das hat nicht nur Uli Hellweg, der damalige Geschäftsführer der Internationalen Bauausstellung (IBA), erkannt, sondern noch früher Wilhelm Kelber-Bretz, ein Lehrer aus Wilhelmsburg und der Geschäftsführer des Forums „Bildung Wilhelmsburg“. Diese Initiative ist vor 15 Jahren aus der Wilhelmsburger Zukunftskonferenz entstanden. Sie hatte im Frühjahr 2002 in ihrem Weißbuch eine übergeordnete Einrichtung gefordert, die die Entwicklungsperspektiven von Wilhelmsburger Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen fördern sollte.
Fast genau zur gleichen Zeit habe ich meine Zelte in Wilhelmsburg aufgeschlagen, was bei manchem Mitglied im Hamburger Senat Verwunderung auslöste und mich veranlasste, mich intensiver als normal mit meinem neuen Wohnsitz auseinanderzusetzen. Dies auch deshalb, weil ich in der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt auch fachlich für IBA und IGS zuständig war.
So habe ich Herrn Kelber-Bretz kennengelernt, und zwar konkret bei den Wilhelmsburger Lesewochen, die seit 2004 auf der Insel durchgeführt werden. Regelmäßig im November dreht sich in den Schulen und Bücherhallen, vielen Kitas und anderen Bildungseinrichtungen alles ums Lesen und Schreiben, um Bücher, Geschichten, Wörter und Sprache. Mich hat diese Arbeit derart begeistert, dass ich sofort zugesagt habe, als ich gefragt wurde, ob ich die Schirmherrschaft übernehmen werde.
Wilhelmsburg ist ein Schmelztiegel
Es ist beeindruckend und einfach schön zu sehen, wie engagiert und mit wie viel Freude und Begeisterung die Kinder sich einbringen, auch und gerade zahlreiche Kinder mit Migrationshintergrund. Dank des Engagements von Herrn Kelber-Bretz ist es aber nicht nur bei den Lesewochen geblieben. Im Laufe der Zeit kamen noch die Wilhelmsburger Forscherwoche, Zirkus Willibald, das Maritime Stadtteildinner und last but not least die Profilklasse Zebra hinzu, die es seit nunmehr drei Jahren gibt. Fast alle Projekte werden von der Profilklasse unterstützt, und im Rahmen der Flüchtlingsarbeit wurden sogar eigene Projekte entwickelt.
Alles in allem: ein breiter Strauß von Projekten und Maßnahmen, die das Bildungsgeschehen in Wilhelmsburg deutlich aufwerteten und damit vor allem die Integration der Kinder mit ihren sehr unterschiedlichen Hintergründen verbessern. Denn Wilhelmsburg war und ist ein Schmelztiegel. Das macht die Insel so spannend und vor allem auch so liebenswert.
Als ehemalige Wissenschaftssenatorin weiß ich, wie wichtig die ersten zehn Lebensjahre für den Zugang zu Bildung und das eigene Bildungsverhalten sind. Hier werden die Wurzeln für ein gutes Leben, für eine erfolgreiche Ausbildung und das spätere Arbeitsleben gelegt.
Umso erstaunter waren viele Menschen auf der Insel, als im Mai dieses Jahres ohne Ankündigung die Profilklasse aufgelöst wurde und auch die weitere Finanzierung des Geschäftsführers unsicher schien. Deswegen möchte ich heute die Hamburger, den Hamburger Senat und die Hamburgische Bürgerschaft um ihre Unterstützung bitten: Wir brauchen im Interesse der Stadt, aber vor allem im Interesse der jungen Wilhelmsburger, die ihren Stadtteil lieben und ihn weiterentwickeln wollen, auch in den kommenden Jahren eine solide Finanzierung für das Forum „Bildung Wilhelmsburg“. Helfen Sie uns, dass die Samenkörner, die die IBA in Wilhelmsburg gelegt hat, aufgehen und zu einer kräftigen Bildungspflanze gedeihen.
Am Dienstag schreibt Aydan Özoguz (SPD) über die Box-Akademie in Jenfeld