Hamburg. Was Hamburgs Bundestagskandidaten bewegt. Wieland Schinnenburg über Anträge und eine „Trittleiter“-Beauftragte.

Vor der Bundestagswahl am 24. September hat das Hamburger Abendblatt die aussichtsreichen Hamburger Kandidaten für ein ungewöhnliches Projekt gewonnen: Sie schreiben jeweils über ein Thema, das sie besonders bewegt, eine Person, die sie beeindruckt oder eine Institution in ihrem Wahlkreis, die aus ihrer Sicht mehr Aufmerksamkeit verdient. Heute schreibt Wieland Schinnenburg (FDP). Der Bürgerschaftsabgeordnete steht auf Platz zwei der Landesliste seiner Partei.

Der Patient ist nicht mehr der Jüngste und geht am Stock. Mühsam hat er sich in meine Zahnarztpraxis geschleppt. Seine Oberkieferprothese ist durchgebrochen. Kein einfacher Fall, da der Bruch im Metall erfolgte und deshalb die Reparatur aufwendig ist. Das ist aber nicht das Hauptpro­blem: Der Patient hat wenig Geld und ist deshalb ein sogenannter Härtefall: Die Krankenkasse übernimmt alle Behandlungskosten, er braucht den sonst bei Zahnersatzbehandlungen üblichen Eigenanteil nicht zu zahlen.

Patient geht wieder ohne eine reparierte Prothese

Das setzt aber immer eine vorherige Genehmigung der Behandlung voraus. Wir schreiben einen Antrag. An sich muss der im Original genehmigt werden, in Eilfällen reicht auch ein Telefax. Leider gelingt es nicht, die richtige Faxnummer der Kasse herauszufinden. Deshalb bekommt der Patient den Antrag mit und muss sich um eine Genehmigung kümmern. So geht er wieder ohne reparierte Prothese. Dies ist für ihn schlimm, aber auch dumm für uns. Wir haben viel Bürokratie gehabt, aber keine Behandlung durchgeführt – und kein Honorar erhalten.

Nur ein Beispiel von vielen für die wuchernde Bürokratie im deutschen Gesundheitssystem: Ein anderes: Ein Patient, der bei der Heilfürsorge in Hamburg versichert ist, bekommt eine Standardbehandlung: Entfernen von Zahnstein und zwei Füllungen. Diese Behandlung durften wir sofort durchführen, die Probleme begannen mit der Abrechnung.

Die Heilfürsorge ist weder eine gesetzliche noch eine private Kasse. Vielmehr muss eine Rechnung auf den Namen des Patienten ausgestellt werden, die dann von der Heilfürsorge bezahlt wird. Seit Jahren gibt es dafür eine Verabredung, wie diese Rechnung gestaltet werden soll.

Wir halten uns daran und schicken die Rechnung an die Heilfürsorge. Nach einer Woche ein Anruf: So geht das gar nicht, die Rechnung muss anders gestaltet werden. Da die geforderte Form von unserem Computerprogramm nicht erstellt werden kann, schreiben wir die neue Rechnung mithilfe der Textverarbeitung … Am Ende muss die Heilfürsorge (und damit der Hamburger Steuerzahler) rund 11 Euro mehr bezahlen als nach der ersten Rechnung …

Die Politik muss dafür sorgen, dass Bürokratie abgebaut wird

Die Bearbeitung von Formularen und Genehmigungen, nicht selten nach wie vor nur auf Papier und nicht per Computer erhältlich, frisst mittlerweile ein Mehrfaches der Zeit, die ich als Zahnarzt früher dafür verwandt habe. Das gilt auch abseits von Behandlungen: Jeden Tag müssen viele Arbeitsanweisungen ausgefüllt und von den Mitarbeitern unterschrieben werden.

Besonders gefährlich ist nach der Einschätzung der Bürokraten offenbar die Nutzung einer kleinen Trittleiter in meiner Praxis: Deshalb musste ich eine „Leiterbeauftragte“ ernennen und einweisen …

Alle Ärzte und ihre Mitarbeiter helfen gerne kranken Menschen – darum haben sie ihren Beruf ergriffen. Was sie überhaupt nicht wollen, ist Bürokratie. In meiner Praxis wird mittlerweile ebenso viel Zeit mit dem Papierkrieg verbracht wie mit der eigentlichen Behandlung. Das frisst enorme Kräfte, die besser für Patienten eingesetzt würden. Und es führt zu Frustrationen. Und der Trend beschränkt sich nicht auf das Gesundheitswesen, er lähmt die gesamte Gesellschaft.

Was ist zu tun? Die Politik muss dafür sorgen, dass Bürokratie abgebaut wird: Wäre es wirklich so schlimm, wenn man Härtefallpatienten ohne vorherige Genehmigung behandeln dürfte? Und die unumgängliche Bürokratie muss einfacher zu erledigen sein. Eine Möglichkeit dazu wäre die Digitalisierung. Leider liegt Deutschland bei der Digitalisierung weit hinten, zwar noch vor Rumänien, aber deutlich unter dem EU-Durchschnitt. Bürokratie abbauen, Digitalisierung vorantreiben – dafür trete ich als Freier Demokrat an.