Hamburg. Was Hamburgs Bundestagskandidaten bewegt: Marcus weinberg schreibt über einen ehrenamtlichen Schiedsrichter.
Vor der Bundestagswahl am 24. September hat das Hamburger Abendblatt die aussichtsreichen Hamburger Kandidaten für ein ungewöhnliches Projekt gewonnen: Sie schreiben jeweils über ein Thema, das sie besonders bewegt, eine Person, die sie beeindruckt oder eine Institution in ihrem Wahlkreis, die aus ihrer Sicht mehr Aufmerksamkeit verdient. Heute schreibt Marcus Weinberg (CDU): Er ist seit 2005 Bundestagsabgeordneter und erneut Direktkandidat seiner Partei im Wahlkreis Altona.
„Alle Pässe unterschrieben?“ Schon fast akribisch prüft Jürgen Hofmann Spielerpässe und die dazugehörigen Spieler. Alles muss geordnet sein. Anpfiff. Das Spiel zwischen dem FC Hamburger Berg I und Grün-Weiß Eimsbüttel III der Kreisklasse 7 auf dem Platz an der Memellandallee läuft ruhig an.
Jürgen Hofmann hat sein erstes Spiel 1960 gepfiffen, und er pfeift noch immer, aus Leidenschaft und Pflichtgefühl. Damals wurde übrigens der HSV durch ein 3:2 gegen den 1. FC Köln deutscher Fußballmeister. Hofmann war live dabei. An die Torschützen Uwe Seeler und Gert Dörfel erinnern sich viele, an den damaligen Schiedsrichter Josef Kandlbinder wahrscheinlich keiner. Ach, er kam übrigens aus Regensburg.
Aber so ist das. Den eleganten Seitfallzieher von Thomas Müller feiert das Fußballvolk, für das Erkennen einer Schwalbe bleibt höchstens ein anerkennendes Kopfnicken. Minuten später ist dann der Schiri wieder die „größte Pfeife aller Zeiten“.
Damit lebt auch Jürgen Hofmann. Mit 75 Jahren verkörpert der ehemalige Werkzeugmacher eine Generation, die dieses Land nicht nur aufgebaut hat, sondern es mit ihrem ehrenamtlichen Engagement auch am Laufen hält, Woche für Woche, auf staubigem Grand oder durchnässten Rasenplätzen. Was wären wir ohne sie?
In der 57. Minute erhöht der Hamburger Berg auf 2:0. Dann Wechsel bei den Eimsbüttlern, Einwurf, weiter. Doch das Spiel wird unterbrochen! Schiedsrichter Hofmann erklärt: „Nach einem Spielerwechsel muss immer angepfiffen werden.“ Diese Ansage wirkt eher wie eine grundsätzliche Klarstellung: Alles nach den Regeln, und ich bin der Verwalter.
Ohne ihn und die anderen rund viertausend Hamburger Schiedsrichterkollegen wäre der Spielbetrieb undurchführbar. Auf die Frage, wie seine Frau Erika sein Tun selbst noch im gesetzten Alter sieht, gibt es eine logische Erklärung: „Sie kennt es kennt ja nicht anders!“ Dazu noch Präsident vom SC Hansa 11 und ehemaliger Aktiver in der Freiwilligen Feuerwehr. Ehrenamt satt. Statt die Wochenenden im Garten zu verbringen, reist Hofmann bis zu 50-mal im Jahr quer durch Hamburg und pfeift.
Das zu ordnende Leben der Stadt braucht ihn und seinesgleichen, Menschen mit Leidenschaft und auch ein wenig hanseatischer Pflichterfüllung. Und während ein Bundesliga-Schiedsrichter mittlerweile um die 5000 Euro pro Spiel bekommt, sind es im unteren Amateurfußball gerade mal 13 Euro plus 6,20 Euro Fahrtkosten. Dafür den Zeitaufwand, die Undankbarkeit, den Stress? Hofmann beantwortet die Frage, als wäre es die Frage, ob der Ball wirklich im Aus war: „Ja!“
Es sind nicht nur die Spieler, die sich im Ton vergreifen
Sicher, Anfeindungen, ja sogar Gewalt gibt es vermehrt. Doch entmutigen lassen würde er sich nie. Und der Schiedsrichternachwuchs? Jedes Jahr bildet der Hamburger Fußball-Verband rund 400 neue Schiedsrichter aus, doch nur wenige bleiben auf Dauer. Die Beschimpfungen und Pöbeleien ertragen viele junge Menschen nicht.
Aber es sind nicht immer die Spieler, die sich im Vokabular vergreifen. Es sind genauso häufig die Betreuer und die Trainer und bei Jugendmannschaften die Eltern. Also ausgerechnet diejenigen, die eine Vorbildfunktion haben und den Regeln des Fair Play verpflichtet sind. Auch der Betreuer vom Hamburger Berg zeigt bereits nach zehn Minuten ein aufgebrachtes Verhalten, das sich in der Schlussphase sogar noch steigert. Das „Reinrufen“ nervt alle.
Ausgleich, 2:2, Eimsbüttel drückt, der Hamburger Berg kontert, aufkommende Hektik, noch zwei gelbe Karten in der Schlussphase. Aber Hofmann hat alles im Griff.
Schluss. Die netten und fairen Spieler bedanken sich anständig. „Fehlerfrei und unauffällig“ ist im Leben ein ungewöhnliches Kompliment, für Schiedsrichter die Höchstpunktzahl.
„Ohne das Ehrenamt“, sagt Jürgen Hofmann, „läuft im Amateurfußball gar nichts. Jeder Einzelne ist einmalig und unersetzlich.“ Stimmt!
Am Montag schreibt Wieland Schinnenburg (FDP) über die Auswüchse unseres Gesundheitssystems.