Hamburg. Mit der Polizei in Ankara habe er zusammengearbeitet, sagt der 32-Jährige. Eine Agententätigkeit aber leugnet er.

Der Mann weiß, dass er viel zu erzählen hat. Seine Aussage werde „lang und detailliert ausfallen“, kündigt Mehmet S. zum Auftakt seines Prozesses vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht an. Der 32-Jährige ist ein mutmaßlicher türkischer Spion, die Bundesanwaltschaft wirft ihm eine geheimdienstliche Tätigkeit gegen die Bundesrepublik vor. Die Zusammenarbeit mit Anti-Terror-Beamten der Polizei in Ankara räumt er vor Gericht ein. Allerdings: Es sei überwiegend um Beobachtungen in Syrien gegangen, betont der Angeklagte. Weil er an der Grenze zu dem türkischen Nachbarland gewohnt habe, sei er für die Polizei als Informant interessant gewesen. Eine Agententätigkeit bestritt S. indes: „Niemand hat mich hierher geschickt.“

Die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft kommen zu einem anderen Ergebnis: Laut Anklage hat der 32-Jährige seit September 2015 für den türkischen Nationalen Nachrichtendienst MIT (MillÎ Istihbarat Teşkilâti) als Agent gearbeitet und dafür rund 30.000 Euro bekommen. So hat er den Ermittlungen zufolge den Auftrag erhalten, die kurdische Szene in Deutschland und hierbei insbesondere den in Bremen ansässigen kurdischen Politiker Yüksel Koc auszuforschen. Mehmet S. ist seit 16. Dezember in Untersuchungshaft.

Angeklagter soll zum Spionieren nach Bremen gezogen sein

Der Angeklagte sei im Januar 2016 gemäß seines Auftrags nach Bremen gezogen, so die Vorwürfe weiter. Er soll sich über das Internet und durch Gespräche mit Bekannten sowie über Kontakte zu Verwandten des Politikers verdeckt Informationen über Koc, dessen Familie und die kurdische Szene in Deutschland verschafft haben. Bei einer Demonstration eines kurdischen Vereins am 28. Mai 2016 in Bremen gegen die Aufhebung der Immunität von Abgeordneten des türkischen Parlaments soll er Fotografien angefertigt haben. Den Kontakt zu seinen Führungsoffizieren beim MIT habe er per Mail gehalten, heißt es. Diese Nachrichten habe er so getarnt, dass es aussehen sollte, als schreibe er sich mit einem Cousin.

Im Mai und im September 2016 soll S. sich mit seinen Auftraggebern in der Türkei getroffen und seine ausspionierten Erkenntnisse mitgeteilt haben. Als er sich seiner Lebensgefährtin als Spion offenbarte und versuchte, sie für solche Dienste anzuwerben, so die Vorwürfe weiter, habe sie sich an die Behörden gewandt. Die Frau gilt als wichtigste Zeugin. Am ersten Verhandlungstag verfolgen etwa 60 Beobachter das Verfahren.

Selbstbewusst erzählt der mutmaßliche Agent seine Version

Selbstbewusst wirkt der Angeklagte, ein Mann mit hoher Stirn und Dreitagebart. Mit ruhiger Stimme schildert der 32-Jährige seine Version der Ereignisse. Er habe als Journalist gearbeitet und als solcher zahlreiche Auslandsreisen unternommen, unter anderem nach Russland, in den Iran und den Irak. Schließlich sei er nach Deutschland gezogen, um hier zu studieren. Seine Wahl für seinen Wohnort sei auf Bremen gefallen, weil es dort die günstigsten Deutschkurse gegeben habe. Kontakt zu Yüksel Koc habe er aufgenommen, so Mehmet S., weil er einen Bürgen für seine Wohnung gebraucht habe. Gekannt habe er den Politiker schon vorher, weil er ihn zweimal interviewt habe.

Die Vorsitzende Richterin unterbricht den Redefluss des Angeklagten. Er sei ja nun schon „mehrfach vernommen worden“, erinnert sie. Und immer wieder habe er Personen aus der Türkei benannt, die etwas mit seinem Umzug nach Deutschland zu tun hätten. „Ich habe das behauptet, damit mein Asylantrag positiv für mich entschieden wird“, meint Mehmet S. nun. „Ich habe sehr viel gelogen.“ Die Polizisten, die er in der Türkei kenne, arbeiteten „allgemein“ für die Terrorbekämpfung. „Das ist ihr Beruf. Wir haben über Terror geredet, über Syrien.“ Er habe von seiner damaligen Wohnung „von meinem Balkon aus“ nach Syrien gucken können. „Alles kann man da sehen.“ Wenn er in diesem Zusammenhang etwas tun könne, habe er den Beamten gesagt, sei er bereit zu helfen. Er habe den Polizisten aber auch erzählt, dass er einen Kurdenpolitiker in Bremen kenne. Die Beamten hätten ihm eine E-Mail Adresse gegeben, an die er Informationen schicken sollte. Er habe indes so gut wie keinen Kontakt zur Koc gehabt. „Er ist ein sehr beschäftigter Mann.“

Debüt für den neu gegründeten zweiten Staatsschutzsenat

Der betroffene Kurdenpolitiker hatte am Mittwoch erklärt, der Angeklagte habe einen Mordanschlag gegen ihn geplant. Die Bundesanwaltschaft habe die Ermittlungen dazu jedoch eingestellt, sagte der Anwalt von Koc, Rainer Ahues. Gegen diesen Beschluss laufe noch eine Beschwerde beim Oberlandesgericht. Auch die Richterin wies darauf hin, dass der Vorwurf, der ursprünglich auf Verabredung zu einem Mord lautete, eingestellt worden sei.

Der Spionageprozess gegen Mehmet S. ist das Debüt für den Ende April gegründeten zweiten Staatsschutzsenat. Dieser war notwendig geworden, weil auf Hamburg deutlich mehr Prozesse in sogenannten Staatsschutzverfahren zukommen. Das Oberlandesgericht ist hierbei auch für Bremen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern zuständig. Die Gerichte sind für solche Verfahren zuständig, in denen die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen führt. Kriterium ist die Einordnung als staatsgefährdende Sache.