Hamburg. Die Bahn behält sich rechtliche Schritte gegen den Hersteller vor. Die Opposition spricht von einem „PR-Desaster“.

Vielen Hamburgern und Touristen geht es in diesen Tagen wie Andreas Rehr. Völlig unvorbereitet trifft sie ein großflächiger Ausfall des Leihradsystems Stadtrad. Zwei Drittel der Flotte, etwa 1750 Räder, musste die Deutsche Bahn als Betreiber wegen eines technischen Defekts aus dem Verkehr ziehen. Brüchige Tretlager der Modelle aus dem Baujahr 2016 seien das Problem, sagt Bahn-Sprecher Egbert Meyer-Lovis. Weil das schadhafte Lager auch als Ersatzteil verbaut wurde, reicht das Debakel aber weit in die rote Rad-Armada hinein. Nur 700 Räder stehen aktuell noch zum Leihen bereit. Zu wenige, wie sich bei den Nutzern zeigt.

Andreas Rehr nutzt für seinen Weg vom Hauptbahnhof ins Büro eigentlich täglich das Stadtrad. Dabei sei es schon im normalen Betrieb schwer genug, ein Rad zu bekommen. „Oft stehen hier keine Räder, oder der Automat zeigt keine an“, sagt er. Jetzt ein Rad zu bekommen gerate zur Glückssache. „Hier stehen zwar vier Räder. Ausleihen konnte ich aber nur das eine. Die anderen wurden mir am Automaten nicht angezeigt.“

Werkstattkapazität reicht nicht aus

Seit Freitag kämpft die Deutsche Bahn mit dem Ausfall. Dem Unternehmen seien von Technikern und Kunden „vereinzelte Brüche der Tretlager“ gemeldet worden. Nach dem Einsenden an den Hersteller sei klar: „Die Tretlager erreichen nicht die erwartete Lebensdauer, was im Zweifel zu einem Bruch der Achse der Tretlager führen kann“, so Bahnsprecher Meyer-Lovis. Auf Anraten des Produzenten teilte die Bahn ihren Kunden deshalb auf Facebook und der Stadtrad-Webseite mit, dass „wir uns dazu entschieden haben, sämtliche Räder zu überprüfen.“ Übrig blieben 700 Leihräder, in die das fragile Tretlager nicht gebaut wurde.

Für Irritationen bei der Kundschaft sorgt, dass ein Großteil der gesperrten 1750 Räder nach wie vor an den 210 Stationen im Stadtgebiet steht – sich aber nicht buchen lässt. Auch Robin Zengerle macht diese Erfahrung an der Radstation am Hauptbahnhof. Er habe die auf dem Automaten angegeben Hotline angerufen. Die Auskunft, er solle es über die App probieren, das Rad manuell zu entsperren, bringt ihn aber auch nicht weiter: „Zwei Räder sind anscheinend defekt, und eins gilt als ausgeliehen, obwohl es hier steht.“ Es sei schon die zweite Station, an der er es heute vergeblich versuche.

Der Grund für die verbliebenen mangelhaften Zweiräder an den Stationen sei ihre schiere Masse. Sie passen nicht in die Hamburger Servicewerkstatt, sagt Bahnsprecher Meyer-Lovis. Das Kundenservicecenter sei informiert und werde angehalten, die Kunden mit ausrechend Informationen zu versorgen. Die Mitarbeiter wurden nochmals auf den neuesten Stand gebracht.

Bahn erwägt rechtliche Schritte

Die Ursache für die Probleme sei nach Unternehmensangaben unklar. Mit dem Hersteller der Räder werde intensiv nach einer schnellen Lösung für die Probleme gesucht, er habe das „Recht auf Nachbesserung“. Wie lange der Ausfall dauern wird, lasse sich demnach nicht abschätzen. „Wochen“, heißt es von Bahnseite, die sich rechtliche Schritte vorbehält: „Wir werden den Hersteller zur Verantwortung ziehen und prüfen derzeit den Anspruch der Garantieleistungen. Die Kosten sind noch nicht absehbar.“

Parallel werde an der alternativen Beschaffung von Ersatzteilen „in der von uns gewünschten Qualität“ bei anderen Herstellern gearbeitet, sagt Meyer-Lovis. Alle Räder sollen möglichst rasch wieder verfügbar werden. „Wir bedauern die Einschränkungen sehr.“ Martin Bill, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen und intensiver Nutzer der Räder, fordert die Bahn auf, alles zu tun, damit die Räder bald wieder zur Verfügung stehen.

Opposition übt Kritik

Dennis Thering, verkehrspolitischer Sprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion, mahnt, dass der erste größere Rückschlag der Stadtrad-Erfolgsgeschichte hausgemacht sei. Einen CDU-Antrag, den Ende 2018 auslaufenden Betreibervertrag quantitativ, finanziell und qualitativ weiterzuentwickeln, sei von SPD und Grünen abgelehnt worden. „Diese Blockadehaltung scheint sich nun zu rächen.“

Vor allem bemängelt Thering den Informationsfluss: „Die Krisenkommunikation ist ein PR-Desaster erster Güte.“ Zeitgemäßer als ein Hinweis bei Facebook oder der eigenen Webseite wäre gewesen, die 420.000 registrierten Kunden direkt über das Smartphone über die Ausfälle zu informieren. Für eine Stadt, die sich um den weltgrößten Kongress für Intelligente Verkehrssysteme (ITS) im Jahr 2021 bemüht, sei das „beschämend“.

Für CDU-Politiker Thering steht fest: „Bahn und Senat müssen sowohl die Kommunikation gegenüber den Kunden als auch untereinander dringend verbessern. Andernfalls radelt das Stadtrad eines Tages in die Versenkung.“