Hamburg. Mit dem Urteil geht das Gericht weit über die Forderung der Staatsanwaltschaft hinaus, diese hatte ein Jahr und neun Monate gefordert.
Eine rasche, eine konsequente Aufklärung und Verfolgung der G20-Krawalle hat die Politik versprochen – jetzt liefert die Justiz. Nur sechs Wochen nach Ende des Gipfels hat die Staatsanwaltschaft bereits mehrere Fälle zur Anklage gebracht. Im Zusammenhang mit den Ausschreitungen vom 6. bis zum 8. Juli wird sich in dieser Woche vor Gericht nicht nur ein 24 Jahre alter Pole verantworten müssen – auch einem 21 Jahre alten Niederländer wird an diesem Montag der Prozess gemacht. Noch am gleichen Nachmittag wurde er zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten verurteilt.
Zum Beginn des Prozesses versammelten sich bereits einige Personen aus dem linken Spektrum im Gericht. Auch viele Angehörige und Freunde des Angeklagten waren anwesend, einige klatschten, als der 21-Jährige den Raum betrat. Um die Sicherheit im Saal zu gewährleisten, haben sich auch Bereitschaftspolizisten eingefunden. Vor dem Gebäude des Amtsgerichts protestiert eine Gruppe und hält ein Transparent in die Luft.
Angeklagter verhüllt sich
Der Angeklagte erscheint in einer roten Kapuzenjacke und hält sie derart geschlossen, dass sein Gesicht nicht zu erkennen ist.
Die Erwartungen an beide Prozesse sind hoch. Nach den Ausschreitungen hatte Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) gesagt, er habe „die Hoffnung, dass eine der Konsequenzen sein wird, dass die Gewalttäter, die wir gefasst haben [...] mit sehr hohen Strafen rechnen müssen." Zumindest im ersten Fall hat sich diese Hoffnung nun erfüllt.
Peike S. sitzt seit dem 7. Juli in U-Haft
Gegen Peike S. (21) aus Amsterdam wurde seit 10 Uhr verhandelt. Die Staatsanwaltschaft legt ihm schweren Landfriedensbruch, gefährliche Körperverletzung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte zur Last. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft soll der Niederländer am 6. Juli im Anschluss an die linksautonome „Welcome to Hell“-Demo bei einem Spontanaufzug auf der Kreuzung Altonaer Straße/ Schulterblatt aus einer „Menschenmenge von cirka 500 Personen“ heraus zwei Glasflaschen auf Polizeibeamte geworfen haben.
Dabei sei einer der gegen 23.40 Uhr attackierten Polizisten am Helm und am Bein getroffen worden. Der Beamte habe Schmerzen im Schulter- und Nackenbereich erlitten. Zudem soll sich Peike S. gegen seine Festnahme gewehrt haben, indem er eine „Embryonalstellung einnahm, seine Arme verschränkte und sämtliche Muskeln anspannte“. Er sitzt seit dem 7. Juli in Untersuchungshaft.
Zwei Jahre und sieben Monate Haft: "Polizei kein Freiwild"
Die Staatsanwaltschaft forderte am Montag nun eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten – ohne Bewährung. Zudem solle der Niederländer in die Straftäterdatei aufgenommen werden. Das Gericht ging mit einem nun verhängten Strafmaß von zwei Jahren und sieben Monaten weit über die Forderung der Staatsanwaltschaft hinaus.
Der Vorsitzende Richter Johann Krieten sagte zu dem Urteil, man müsse "bei der strafrechtlichen Beurteilung von G20-Straftaten" auch die "geänderten Strafvorschriften zugrunde legen". Erst im Frühjahr hatte der Bundestag eine Verschärfung des Strafrechts beschlossen, die bei Gewalt gegen Polizisten ein höheres Strafmaß ermöglicht. In vergleichbaren Fällen hätten sich Verurteilte schon mal krankschreiben lassen, so Krieten weiter: „Weil sie sich über die milden Urteile schlappgelacht haben.“ Allerdings seien Polizisten „ weder Freiwild für die Spaßgesellschaft, noch Freiwild für erlebnisorientierte Gewalttäter.“
Pole werden verschiedener Delikte vor Gericht
Gleich am Dienstag geht die juristische Aufarbeitung der G20-Krawalle mit dem Prozess gegen Stanislaw B. in die nächste Runde (Beginn: 11 Uhr). Der 24 Jahre alte Pole war am 8. Juli, mutmaßlich auf dem Weg zur „G20 – not welcome“-Großdemonstration, von Polizisten am Gorch-Fock-Wall aufgegriffen worden.
In seinem Rucksack entdeckten sie sechs Feuerwerkskörper, ein in Deutschland verbotenes Reizstoffsprühgerät und zwei Glasmurmeln, die sich als Munition für eine Zwille eignen. Außerdem stellten sie sogenannte „Schutzbewaffnung“ sicher: eine Taucherbrille zur Abwehr von Pfefferspray und einen weiteren Augenschutz. Vorgeworfen werden Stanislaw B. Verstöße gegen das Versammlungs-, das Waffen- und das Sprengstoffgesetz.
Ermittlungen wegen "Körperverletzung im Amt"
„Im Zusammenhang mit den Ausschreitungen am Rande des G20-Gipfels sind bei der Staatsanwaltschaft Hamburg 109 Ermittlungsverfahren gegen namentlich bekannte Personen erfasst“, sagte Carsten Rinio, Sprecher der Staatsanwaltschaft. Während diese Zahl über die vergangenen Wochen konstant geblieben ist, hat sich die Zahl der Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt erhöht – von 53 auf aktuell 64. Neue Erkenntnisse und Ermittlungsansätze liefere vor allem die mit mehr als Hundert Beamten besetzte „Soko Schwarzer Block“, die Mitte Juli ihre Arbeit aufgenommen hat. 32 Beschuldigte befänden sich weiterhin in U-Haft.
Gegen Polizisten seien bislang bei der Staatsanwaltschaft 18 Ermittlungsverfahren mit G20-Bezug registriert, so Rinio. Rund 60 weitere Verfahren führt aktuell die Dienststelle Interne Ermittlungen (DIE). Allein 49 der 60 Fälle in DIE-Zuständigkeit beträfen den Verdacht der „Körperverletzung im Amt“, hieß es aus der Innenbehörde, sechs davon seien „von Amts wegen“ eingeleitet worden. Mit einem weiteren Anstieg der Verfahren gegen Polizisten sei zu rechnen, zumal die DIE noch mit der Auswertung von Beweismitteln wie Foto- und Videoaufnahmen befasst sei..