Hamburg. Polizei und Geheimdienst beschuldigten Reporter falsch. Dieser wurde vom Gipfel ausgesperrt. Caspar sieht „rote Linie überschritten“.

Der Hamburgische Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar hat im Zusammenhang mit dem G20-Gipfel eine Untersuchung gegen die Hamburger Sicherheitsbehörden angeordnet – wegen des Verdachts von Rechtsverstößen. Hintergrund: Die Polizei hatte während des Gipfels nicht nur einen datenschutzrechtlich bedenklichen Umgang mit Listen angeblich gefährlicher Journalisten geübt, denen ohne jede Begründung die G20-Akkreditierung entzogen wurde. Sie ist auch verantwortlich dafür, dass auf der Liste völlig unbescholtene Personen standen.

Wie die Polizei am Montag auf Abendblatt-Anfrage einräumte, hat sie den Hamburger Journalisten Frank Bründel fälschlicherweise an den Verfassungsschutz gemeldet. Hintergrund: Bei einer Demonstration zum „Revolutionären 1. Mai“ 2017 hatte es laut Polizei eine Anzeige von Polizisten gegen Bründel gegeben, weil dieser angeblich widerrechtlich vertrauliche Gespräche aufgenommen haben soll (Verstoß gegen Paragraf 201 StGB).

Liste aller Festgenommenen

Deswegen seien seine Personalien aufgenommen worden. Parallel nahm die Polizei am Rande der Demo aus ihrer Sicht gewaltbereite Linksextremisten in Gewahrsam. Eine Liste aller Festgenommenen gaben die Beamten an den Verfassungsschutz weiter. Fälschlicherweise stand auch Bründels Name darauf, der ja lediglich als Reporter vor Ort gewesen war.

Kommentar: Gefährdet die Polizei Pressefreiheit?

Der Verfassungsschutz speicherte alle Personen von der Liste in einer Datei „Verdachtsfälle Linksextremismus“ – also auch Reporter Bründel. Im Rahmen der Akkreditierungen für den G20-Gipfel teilten die Hamburger Verfassungsschützer dann dem Bundeskriminalamt mit, Bründel sei bei der Revolutionären 1. Mai-Demo festgenommen worden. „Es liegen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass er einer gewaltbereiten Bewegung angehört oder diese nachdrücklich unterstützt“, schrieben die ahnungslosen Verfassungsschützer an das Bundeskriminalamt in grotesker Verkennung der tatsächlichen Umstände.

Weitere Ermittlungen hielten die Geheimdienstler offenbar nicht für nötig. Eine schlichte Internetsuche hätte ihnen gezeigt, dass es sich bei Bründel um einen Bildjournalisten handelt, der oft über Demonstrationen berichtet. Auf Grundlage der falschen Informationen wurde Bründel schließlich die zunächst erteilte Akkreditierung entzogen. Bründel ist einer von 32 Journalisten, denen die Akkreditierung ohne Angabe von Gründen aberkannt wurde.

„Umfassende Aufklärung verlangt“

„Da der Verdacht besteht, dass in zumindest einem Fall das Landesamt für Verfassungsschutz Hamburg laut Bundeskriminalamt Daten rechtswidrig verarbeitet hat, habe ich eine Untersuchung des Vorfalls angeordnet und umfassende Aufklärung verlangt“, sagte Datenschützer Caspar dem Abendblatt. „Dies bezieht sich auch auf mögliche andere, bislang noch nicht bekannte Datenübermittlungen anlässlich des G20-Gipfels. Gerade der Umgang mit Vertretern der Presse muss frei von jeglicher staatlichen Willkür sein.

Die Krawallnacht in Hamburg:

"Welcome to Hell" – die Krawallnacht in Hamburg

Die Polizei bringt die Sternschanze unter Kontrolle – im Hintergrund die Rote Flora
Die Polizei bringt die Sternschanze unter Kontrolle – im Hintergrund die Rote Flora © Reuters | Fabian Bimmer
Polizisten stürmen die Sternschanze, während es vor der Roten Flora brennt
Polizisten stürmen die Sternschanze, während es vor der Roten Flora brennt © Reuters
Ein Wasserwerfer unter der Sternbrücke
Ein Wasserwerfer unter der Sternbrücke © HA | Alexander Josefowicz
Demonstranten zünden Barrikaden vor der Roten Flora auf dem Schulterblatt an
Demonstranten zünden Barrikaden vor der Roten Flora auf dem Schulterblatt an © Michael Arning
Polizisten und Wasserwerfer sichern die Davidwache auf der Reeperbahn
Polizisten und Wasserwerfer sichern die Davidwache auf der Reeperbahn © dpa
Man könnte es beinahe für ein gemütliches Lagerfeuer halten
Man könnte es beinahe für ein gemütliches Lagerfeuer halten © Michael Arning
Randale am Schlump: Ordnungskräfte sperren den Eingang des U-Bahnhofs
Randale am Schlump: Ordnungskräfte sperren den Eingang des U-Bahnhofs © dpa | Axel Heimken
Bei Einbruch der Dunkelheit ist noch kein Ende der Krawalle in Sicht
Bei Einbruch der Dunkelheit ist noch kein Ende der Krawalle in Sicht © dpa | Daniel Bockwoldt
Nachdem die Demo
Nachdem die Demo "Welcome to Hell" schon lange beendet wurde, formierten sich wiederholt Protestzüge im Bereich der Reeperbahn. Hier wird der Neue Pferdemarkt in der Sternschanze geräumt © HA/Alexander Josefowicz
Demonstranten ziehen durch St. Pauli. Die Proteste dauern nun schon mehr als sechs Stunden an
Demonstranten ziehen durch St. Pauli. Die Proteste dauern nun schon mehr als sechs Stunden an © Reuters | Pawel Kopczynski
Demonstranten marschieren über die Reeperbahn
Demonstranten marschieren über die Reeperbahn © Reuters
Eine Demonstrantin hilft einem Mann, nachdem dieser Prügel eingesteckt hatte
Eine Demonstrantin hilft einem Mann, nachdem dieser Prügel eingesteckt hatte © Getty Images
Demonstranten vor einem Wasserwerfer
Demonstranten vor einem Wasserwerfer © Leon Neal/Getty Images
Brennende Barrikaden bei der Demo
Brennende Barrikaden bei der Demo © HA | Michael Arning
Farbbeutelattacke auf Polizisten
Farbbeutelattacke auf Polizisten © dpa
Ein Auto brennt am Rande der Demo
Ein Auto brennt am Rande der Demo © dpa
Einige Demonstranten plädieren für Liebe
Einige Demonstranten plädieren für Liebe © dpa
Klare Geste im Vordergrund, klare Botschaft im Hintergrund
Klare Geste im Vordergrund, klare Botschaft im Hintergrund © Getty Images
Rettungskräfte eskortieren Verletzte
Rettungskräfte eskortieren Verletzte © Reuters
Demonstranten haben in der Louise-Schröder-Straße einen Müllcontainer angezündet
Demonstranten haben in der Louise-Schröder-Straße einen Müllcontainer angezündet © HA | Alexander Josefowicz
Polizisten bei der Demonstration
Polizisten bei der Demonstration © Reuters
Ein Demonstrant spielt Flöte
Ein Demonstrant spielt Flöte © dpa
Polizisten sichern die Sternschanze
Polizisten sichern die Sternschanze © Getty Images
Andere nutzen das Tohuwabohu ganz anders: Einige Leute spielen Frisbee auf der gesperrten Holstenstraße
Andere nutzen das Tohuwabohu ganz anders: Einige Leute spielen Frisbee auf der gesperrten Holstenstraße © HA | Alexander Josefowicz
Die Lage eskaliert
Die Lage eskaliert © Reuters
Die Polizei will den schwarzen Block auseinander treiben
Die Polizei will den schwarzen Block auseinander treiben © dpa
Feuer im Schwarzen Block
Feuer im Schwarzen Block © dpa
Ein Demonstrant protestiert mit Seifenblasen
Ein Demonstrant protestiert mit Seifenblasen © HA | Alexander Josefowicz
Wasserwerfer machen sich auf St. Pauli bereit
Wasserwerfer machen sich auf St. Pauli bereit © HA | Roland Magunia
Einsatzleiter der Polizei diskutieren mit Organisatoren bei der Demo
Einsatzleiter der Polizei diskutieren mit Organisatoren bei der Demo "Welcome to Hell" © HA | Christian Unger
Ein Wasserwerfer positioniert sich an den Landungsbrücken während der Demo
Ein Wasserwerfer positioniert sich an den Landungsbrücken während der Demo "Welcome to Hell" © HA | Christoph Heinemann
Die Goldenen Zitronen spielen bei der Auftaktkundgebung der
Die Goldenen Zitronen spielen bei der Auftaktkundgebung der "Welcome to hell"-Demo © HA | Alexander Josefowicz
Die ersten Demonstranten sammeln sich vor der Auftaktkundgebung am Fischmarkt
Die ersten Demonstranten sammeln sich vor der Auftaktkundgebung am Fischmarkt © HA | Alexander Josefowicz
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Wenn es künftig ausreichen sollte, durch eine – noch dazu unbegründete – Annahme einer linksextremistischen Gesinnung durch staatliche Behörden die Arbeit von Journalisten zu verhindern, ist eine rote Linie überschritten.“ Freiheit der Berichterstattung und freier Informationszugang seien zentrale Grundrechte einer stabilen Demokratie, so Caspar. „Sie zu achten und schützen, nicht hingegen zu behindern oder zu beseitigen, ist Aufgabe der staatlichen Gewalt. Insoweit gilt es, dem vorliegenden Verdacht in aller Gründlichkeit nachzugehen.“

Die Polizei räumte ihren Fehler am Montag ein. Die Identitätsfeststellung des Reporters sei von einer Bremer Polizeieinheit dokumentiert worden. Später habe es einen Übertragungsfehler gegeben. „Das ist bedauerlich und tut uns leid“, sagte Polizeisprecher Ulf Wun­drack. Was der Verfassungsschutz mit Listen mache und wie er diese weitergebe, dazu könne die Polizei nichts sagen. Mithin: Dass Bründel ungeprüft einer gewaltbereiten Organisation zugeordnet worden sei, liege in der Verantwortung des Verfassungsschutzes. Der bedauerte das Ganze am Montag nun ebenfalls.

Reporter prüft rechtliche Schritte

FDP-Justizpolitikerin Anna von Treuenfels-Frowein sagte, der Fall zeige, dass die Liste der angeblich gefährlichen Journalisten „mit heißer Nadel gestrickt war“. Solche sensiblen Informationen dürften „nie ungeprüft und unkritisch von Sicherheitsbehörden übernommen werden“. Grünen-Innenpolitikerin Antje Möller nannte den Fall „hochnotpeinlich“ für die Behörden. „In dem Hamburger Fall werden wir die Rolle des Verfassungsschutzes im Parlamentarischen Kontrollausschuss überprüfen.“

Reporter Bründel warf der Polizei vor, die Unwahrheit zu sagen. Es habe niemals eine Anzeige gegen ihn gegeben, es gebe zu seinem Fall weder ein Aktenzeichen, noch sei er angehört worden, sagte er dem Abendblatt. „Ich lasse mich jetzt vom Journalistenverband beraten und behalte mir rechtliche Schritte vor.“