Hamburg. Cellistin Sol Gabetta und das Gstaad Festival Orchestra verzauberten in der Elbphilharmonie mit Werken von Lalo, Ravel und Tschaikowsky.
Der Große Saal der Elbphilharmonie ist bekanntermaßen eine echte Herausforderung. Ein Raum von dieser Höhe und Weite will ja erst mal gefüllt werden. Mit Klang, natürlich, aber auch mit Präsenz. Doch da muss man sich bei Sol Gabetta überhaupt keine Sorgen machen. Die argentinische Cellistin – in einem gemusterten roten Kleid, unter dem paillettenbesetzte Schuhe hervorglitzerten – verströmte bei ihrem Festivalauftritt jene Aura höchster Konzentration, die auf jeder Bühne leuchtet.
Kerniger Klang
Ihr Ton war so fokussiert wie sie selbst. Sowohl auf den tiefen Saiten, wie gleich zu Beginn des Cellokonzerts von Édouard Lalo, wo sie einen kernigen Klang formte, als auch in den hohen Daumenlagen, in die Lalo das Instrument später schickte – und die Gabetta mit traumwandlerischer Sicherheit bespielte. Ihre Hände fanden auch bei akrobatischen Sprüngen und fingerbrecherischen Läufen immer so selbstverständlich und ohne spürbare Anstrengung den richtigen Platz, als gäbe es auf dem Guadagnini-Cello gar keine falschen Töne.
Wer technisch über alle Zweifel erhaben ist, kann sich ganz auf die Gestaltung konzentrieren. Und das tat Sol Gabetta. Sie sang Lalos wehmütige Melodien mit einem Legato aus, bei dem sich die Töne wie verliebt aneinanderschmiegten, um im nächsten Moment scharfkantige Stakkati auszustanzen – und sie zündelte keck mit dem Feuer der spanischen Rhythmen, angestachelt von Jaap van Zweden und dem Gstaad Festival Orchestra als muntere Begleiter.
Festival Orchestra ist Schweizer Elitetruppe
Jede Pointe sitzt, jede Phrase stimmt bei Sol Gabetta, die so kultiviert und zugleich temperamentvoll streicht und musiziert, dass man sich manchmal fragt, ob das nicht doch alles eine Spur zu glatt geht. Ob ihrem mühelos geschmeidigen Spiel nicht ab und an ein etwas rauer oder brüchiger Ton guttäte. Aber vielleicht passt das einfach nicht zu Lalo, dessen Cellokonzert eben auf sehr französische Weise ein bisschen zu elegant und schön ist, um wahr zu sein.
Dieses Klima von duftiger Raffinesse war bereits zu Anfang des SHMF-Abends durch den Raum geschwebt: in Maurice Ravels Klangzauberstück „Pavane pour une infante défunte“, in dem die Streicher ihre Saiten nur wie ein Windhauch streiften und die Bläser zarte Pastellfarben malten. Schon hier deutete sich das außergewöhnliche Potenzial des Gstaad Festival Orchestra an, das bei Lalo nur eine Nebenrolle spielte und sich erst nach der Pause voll entfaltete, in der fünften Sinfonie von Tschaikowsky, von Jaap van Zweden packend dirigiert.
Ungewöhnliche Körpersprache
Auf den ersten und auch auf den zweiten Blick wirkt der Niederländer ja nicht unbedingt wie ein Magier des Taktstocks. Wenn er mit beiden Armen gleichförmige Gesten in die Luft kantet, hat seine Körpersprache etwas Rechteckiges. Das sieht von hinten bisweilen fast etwas ungehobelt aus. Aber es funktioniert. Und wie!
Mit der Elitetruppe des Gstaad Festival Orchestra – aus Mitgliedern der führenden Schweizer Orchester rekrutiert – erzielt van Zweden eine beeindruckende Präzision. Allerdings, zum Glück, gerade nicht die eines Uhrwerks, sondern eine organische, pulsierende, die sich aus einem gemeinsamen Atem entwickelt.
Gleich mit den ersten Takten von Tschaikowskys Sinfonie lässt Zweden aufhorchen: weil er das Thema der Klarinette so stark abphrasiert, dass sich die Musik zu einer expressiven Geste verdichtet. Die abwärtsgerichtete Linie verebbt kraftlos, als Ausdruck erlahmender Hoffnung. Sie wird von einer schicksalhaften Düsternis niedergedrückt, die den ganzen Satz durchzieht und an dessen Ende, nach dramatischen Kämpfen, auch die Schlusstakte färbt: mit dem finsteren Raunen der Kontrabässe, deren Schwärze Jaap van Zweden mit sicherer Hand modelliert.
Musiker ließen sich mitreißen
Van Zweden, selbst ein hervorragender Geiger, kennt die Möglichkeiten der Streicher aus dem Effeff. Im langsamen Satz der Tschaikowsky-Sinfonie rührt er mit ihnen einen wunderbar sämigen Klang an, bevor das lyrische Solo des Horns einsetzt. Eine der ganz wenigen Passagen an diesem Abend, in denen ein Orchestersolist lieber auf Nummer sicher zu gehen scheint. Ansonsten lassen sich die Musiker von ihrem Dirigenten mitreißen, in den Sog der Steigerungswellen, die van Zweden spannungsreich choreografiert und unwiderstehlich auf den Höhepunkt zutreibt – auch im Finale, in dem das Schicksalsthema aus dem ersten Satz machtvoll triumphiert.
Aufgetürmt zu einem gewaltigen Klangblock, mit den Posaunen und der Tuba als Fundament für das Schmettern der Trompete. Herrlich. Nur der letzte perkussive Punch fehlte. Neben dem potenten Blech war der Pauker etwas zu weichpfotig unterwegs, um sich wirklich behaupten zu können. Trotzdem, ein aufregendes Ganzkörpererlebnis, dieser Sound, und die dichte Interpretation der Sinfonie, die sich in anderen Aufführungen schon mal etwas weitschweifig in die Länge ziehen kann.
Zugabe mit Top-Niveau
Als Abschluss eines fulminanten Auftritts demonstrierte das Gstaad Festival Orchestra auch in der Zugabe noch einmal sein Top-Niveau, mit einer hinreißenden Version von Richard Wagners „Lohengrin“-Vorspiel. Dessen flirrendes Geigen-Pianissimo füllte mühelos den ganzen Raum und brachte die Luft zum Sirren.
Ein starkes Statement von Jaap van Zweden, der die Herausforderung des Großen Saals mit seinem Orchester annahm und bravourös meisterte.
Neues Elbphilharmonie-Erlebnis
Erstmals werden vom 27. August bis zum 1. September (jeweils 20 Uhr) Konzerte aus dem Großen Saal der Elbphilharmonie im Rahmen eines Public Viewings live auf den Vorplatz des Konzerthauses übertragen. Dafür wird eine große LED-Wand errichtet, es gibt Sitzkissen für die Treppenstufen, Snacks und Getränke. Der Eintritt ist frei, und da am 28. August kein Konzert stattfindet, ist an diesem Tag ein Mitschnitt aus der Saison 2016/2017 zu sehen.