Hamburg. Der Pianist Christopher Park und das SHMF-Orchester unter Christoph Eschenbach wurden in der Elbphilharmonie gefeiert.

Es geht nicht anders. Der Pianist Christopher Park beendet den ersten Satz von Gershwins Klavierkonzert mit einer Verve, dass das Publikum im Großen Saal der Elbphilharmonie einfach klatschen muss. Selbst Dirigent Christoph Eschenbach spendet Zwischenapplaus. Es ist einer dieser Momente, die das Konzerthaus der Stadt geschenkt hat: undogmatisches, dem Moment hingegebenes Hören.

Eschenbach selbst war es, der Park wenige Tage zuvor engagiert hat. Für das Konzert des Schleswig-Holstein Festival Orchesters war als Solist der Amerikaner Tzimon Barto angekündigt, der jedoch kurzfristig absagte. Park nahm Eschenbachs Anruf, wie ­Intendant Christian Kuhnt das Plenum am Konzertabend vergnügt wissen lässt, unter der Dusche entgegen und schaffte sich das anspruchsvolle Werk in kurzer Zeit drauf. Betritt am ­Konzertabend das Podium und erobert Hörer wie Musikerkollegen im Sturm.

Hinreißender Tonfall für Gershwin

Nun ist Park kein Amerikaner, und das spielt bei Gershwin, der musikalischen Ikone des Broadway, eine Rolle. Jazz und Swing werden eben nicht ­jedem in die Wiege gelegt. Park aber findet schon mit den ersten Läufen seines Parts einen schlicht hinreißenden Tonfall für Gershwin. Dieser junge Kerl im schwarzen Hemd und mit fast ­pubertär wirkender, dicker Armbanduhr am Handgelenk hält innige Zwiesprache mit dem Orchester und legt sich in die Kurven.

Ganz locker und ohne demonstrativ zu übertreiben. Als hockte er den ganzen Tag in einer Spelunke in New Orleans an einem verstimmten Klavier. Was er nachweislich nicht tut; Park war einer der Ersten, die einen Klavierabend im Kleinen Saal der Elbphilharmonie geben durften, und erfreut sich auch sonst zahlreicher ­Ehrungen des Klassikbetriebs.

Feines Musizieren

Ansonsten steht der Abend im Zeichen des diesjährigen Helden des Festivals, Maurice Ravel. Gershwin und Ravel, amerikanische und französische Musik? Schließen die einander nicht aus? Mitnichten. Sie reichen einander die Hand. Dass Ravel dem Jazz zugeneigt war, hat das Festival bei jedem Ravel-Abend charmant bewiesen. ­Offenzulegen, dass Gershwin sich Ravels Duktus des Indirekt-Raffinierten ebenso angenähert hat, bedarf es vielleicht eines so feinen Musizierens, wie es Eschenbach und Park hier vorführen.

Wenn man von Ravel eines nicht erwarten darf, ist es Eindeutigkeit. Bekenntnismusik mögen andere schreiben, Ravel wahrt noch an den kraftvollsten Stellen eine eigenartige Halbdistanz, eine Art Objektivität. Er zwingt niemandem seine Empfindungen auf, er bereitet nur die Bühne. Und löst gerade dadurch einen Sog aus, dem man sich nur schwer entziehen kann.

Schlagzeuger sind hier die stärkste Gruppe

So ist auch der tiefe, kaum hörbare Herzschlag der Kontrabässe zu Beginn von Ravels „La Valse“ nicht der des Komponisten, sondern der Herzschlag desjenigen, der sich darin erkennt. Eschenbach lotst seine gute Hundertschaft junger Musiker mit der ihm eigenen Spannkraft und Entschiedenheit durch die rhythmisch knifflige Partitur.

In Sachen Zusammenspiel bräuchte es bisweilen einen feineren Pinsel. Aber wie diese Welt-Auswahl – nur der kleinste Teil der Musiker kommt aus Deutschland – das Monsterprogramm stemmt, ist schon beeindruckend. Unter Eschenbachs inspirierter Stabführung wechseln sie gekonnt zwischen das alte Europa mal frech parodierenden und ihm mal sehnsüchtig hinterherseufzenden Passagen. Die Ballettmusik „Daphnis et Chloé“ wird eine Fantasiereise mit dem Schleswig-Holstein Festival Chor in eine Märchenwelt zartester Klangbilder, die immer wieder mit beeindruckend kernigen Schlagwerkpassagen abwechseln.

Das Publikum rast

Die Schlagzeuger sind überhaupt die stärkste Gruppe am Abend. Als Nobel-Zugabe servieren die Künstler denn auch noch den „Boléro“. Ob es klug von Eschenbach ist, bei diesem von unerbittlich langsam anschwellendem Trommelgeknatter präzise portionierten Stück auf den Einsatz seiner Hände zu verzichten und die Musiker über weite Strecken nur mit Blicken zu leiten, geschenkt. Klappert’s halt mal. Das Publikum rast. Ist halt der „Boléro“.

Ergreifender ist die Zugabe, die das Publikum Park nach dem Gershwin geradezu abbetteln muss. Er wolle die Stimmung nicht verderben, sagt er halb im Scherz, aber er liebe Chopin. Dessen zarte Nocturne e-Moll bildet einen deutlichen Kontrast zu Gershwins blechgepanzertem Schluss. Aber damit die Stimmung verderben? Das Publikum, eben noch entfesselt vor Begeisterung, lauscht aufmerksam, wie Park die Schichten der Miniatur entblättert. Und das ist doch der schönste Beifall.