Hamburg. Neubürger haben Steuereinnahmen allein 2016 um mehr als 100 Millionen Euro erhöht. Experte sieht langfristig positive Effekte.
Seit 30 Jahren kennt Hamburgs Bevölkerungsentwicklung nur eine Richtung: nach oben. Von 1,57 Millionen Menschen im Jahr 1986 ist die Zahl der in der Hansestadt gemeldeten Einwohner bis Ende 2016 auf 1,86 Millionen angestiegen. Angesichts von Prognosen, die einen weiteren Anstieg auf zwei Millionen Einwohner voraussagen, stellt sich die Frage: Was hat Hamburg eigentlich von diesem Wachstum?
Zumindest in finanzieller Hinsicht gibt es darauf eine relativ klare Antwort: eine ganze Menge. Im Durchschnitt 4000 Euro spült jeder Neubürger an zusätzlichen Steuern in die Stadtkassen. Bei einem Bevölkerungszuwachs von 26.000 im Jahr 2016 waren das allein im vergangenen Jahr rechnerisch 104 Millionen Euro – diese Zahlen hat die Finanzbehörde auf Anfrage des Abendblatts ermittelt. „Durch das Wachstum der Einwohnerzahl kann die Stadt mehr von ihrem Steueraufkommen behalten“, betonte Finanzsenator Peter Tschentscher (SPD).
So setzt sich die Summe zusammen: An Lohn- und Einkommensteuer nahm die Stadt zusätzlich 43 Millionen Euro ein. Von Umsatzsteueraufkommen blieben 27 Millionen Euro mehr in Hamburg hängen, und über den Länderfinanzausgleich profitierte die Stadt mit weiteren 33 Millionen Euro.
Einwohnerzahl auch für Länderfinanzausgleich wichtig
So sind diese Effekte zu erklären: Die Lohn- und Einkommensteuer wird jeweils dem Bundesland zugeordnet, in dem der Steuerpflichtige wohnt, und nicht dem, in dem er arbeitet. Da die mehr als 330.000 Pendler, die täglich zum Arbeiten nach Hamburg kommen, ihre Steuern am Heimatort zahlen, hat die Stadt ein großes Interesse daran, Menschen zum Umzug nach Hamburg zu bewegen. Das liegt auch an der Umsatzsteuer, die zwischen Bund und Ländern aufgeteilt und ausschließlich nach Einwohnerzahl auf die Länder verteilt wird. Drittens ist die Einwohnerzahl auch für den Länderfinanzausgleich eine wichtige Größe. Kurz gesagt gilt: Je mehr Einwohner ein Bundesland hat, desto höher ist der diesem Land zustehende Anteil am Steueraufkommen.
Kommentar: Neubürger sind gut für Hamburg
Dass der SPD-Senat nach seinem Amtsantritt 2011 umgehend den Wohnungsbau ankurbelte, diente also nicht nur dazu, den Wohnungsmangel in Teilen der Stadt sowie den Mietenanstieg zu dämpfen, sondern auch dazu, die Einnahmen zu erhöhen. „Die gute Entwicklung der Hamburger Steuereinnahmen in den letzten Jahren beruht zu einem Teil auch auf der erfolgreichen Wohnungsbaupolitik des Senats“, sagt Finanzsenator Tschentscher (SPD).
Einnahmen durch Grunderwerbsteuer haben sich verdoppelt
Theoretisch gibt es bei jeder Art von Steuer und Abgabe einen gewissen „Neubürger-Effekt“, der sich jedoch oft nicht klar beziffern lässt. Zumindest bei einer Steuer ist der Boom beim Wohnungsbau hingegen deutlich ablesbar: der Grunderwerbsteuer. Das Aufkommen aus dieser Steuer hat sich seit 2008 verdoppelt: von damals 234 Millionen Euro auf 479 Millionen Euro im Jahr 2015. 2016 ging es leicht zurück, für 2017 erwartet der Senat jedoch wieder einen Anstieg auf 490 Millionen. Die Einnahmen in den ersten sechs Monaten des Jahres lagen bei 227 Millionen Euro und damit knapp unter der Planung.
Tschentscher betont, dass die Steigerung der Einnahmen nicht auf Steuererhöhungen beruhe. Die Grunderwerbsteuer liegt in Hamburg seit 2009 unverändert bei 4,5 Prozent. Nur in Bayern und Sachsen (je 3,5 Prozent) ist sie niedriger, in allen anderen Ländern zum Teil deutlich höher. Schleswig-Holstein etwa stellt 6,5 Prozent vom Grundstückswert in Rechnung.
Experte: Hamburg hat sein Potenzial noch nicht ausgeschöpft
Den positiven finanziellen Auswirkungen des Bevölkerungswachstums stehen natürlich auch höhere Kosten gegenüber, etwa für Kitas, Schulen sowie die städtische Infrastruktur mit Bussen, Bahnen, Straßen, Krankenhäusern oder Justiz. Tatsächlich steigen auch in fast allen Bereichen die Ausgaben der Stadt, wobei jedoch schwer herauszufiltern ist, welcher Anteil auf Zuzug zurückzuführen ist.
Wenn etwa ein arbeitsloses Paar mit zwei Kindern im Kita-Alter nach Hamburg zieht, verursacht das vor allem Kosten. Wenn dagegen vier gut verdienende Singles in die Stadt ziehen, steigen die Steuereinnahmen um viel mehr als 4000 Euro pro Person. Wenn 100 Familien mit Kindern sich über die ganze Stadt ansiedeln, wird das Schulsystem das kaum merken. Ziehen sie hingegen alle in ein Neubaugebiet, muss die Stadt in der Regel eine neue Schule bauen und neue Lehrer einstellen.
Nach Einschätzung von Professor Alkis Otto vom Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut HWWI überwiegen jedoch die positiven Effekte. Zwar könne es kurzfristig Probleme mit steigenden Mieten oder volleren Verkehrsmitteln geben. „Aber langfristig sinken bei steigender Bevölkerungszahl die Infrastrukturkosten pro Kopf“, so Otto. In der Wissenschaft habe sich eine Faustformel etabliert, die laute: „Ein Prozent Bevölkerungswachstum ziehen nur 0,8 Prozent höhere Ausgaben für Infrastruktur nach sich.“
Natürlich komme irgendwann der Punkt, an dem die Infrastruktur einer Stadt überlastet sei. „Aber“, so Otto, „Hamburg hat sein Potenzial noch nicht ausgeschöpft.“