Hamburg. Er hat den deutschen Beachvolleyball groß gemacht. Der größte Sieg des Ex-Nationalspielers aber war der gegen den Tod.
Frank Mackerodt sitzt in Timmendorf am Strand, lässt Sand durch seine kräftigen Hände rieseln und schaut gedankenverloren aufs Meer. Ein paar Urlauber erkennen ihn, nicken ihm freundlich zu. Er grüßt zurück. „Wenn Sportler gern von ihren Wohnzimmern sprechen, wäre das hier mein Büro. In Timmendorf hat alles angefangen, der Ort ist mein berufliches Zuhause“, sagt der 54-Jährige.
Am ersten Septemberwochenende werden die deutschen Beachvolleyball-Meisterschaften in Timmendorfer Strand zum 25. Mal gespielt. Mackerodt hat die meisten von ihnen mit seinen Partnern organisiert, an der Ostsee eine Premiumveranstaltung geschaffen, einen sportlichen und emotionalen Höhepunkt, der an vier Tagen rund 70.000 Besucher an den Strand zieht. Bei der Premiere 1993 steht er noch mit seinem Freund Hauke Braack vor ein paar Hundert Zuschauern selbst im Sand.
Das Finale verlieren die beiden Hallennationalspieler chancenlos in zwei Sätzen gegen ihre ehemaligen HSV-Kollegen Jörg Ahmann und Axel Hager, die sieben Jahre später in Sydney mit Bronze die erste deutsche Olympiamedaille im Beachvolleyball gewinnen. „Ich hatte furchtbare Rückenschmerzen, konnte mich kaum bewegen, selbst 20 Spritzen halfen nicht“, erinnert sich Mackerodt, um dann mit einem breiten Grinsen klarzustellen: „Sonst wäre das Spiel natürlich anders ausgegangen.“ Es ist sein letzter großer sportlicher Auftritt. Zehn Monate später wird er an der Bandscheibe operiert.
Das Klingeln seines Handys holt ihn in die Gegenwart zurück. Ein Dienstleister, der Zubehör für die deutschen Meisterschaften liefern soll, ist mit den ausgehandelten Konditionen nicht mehr einverstanden. Er verlangt mehr Geld. Der Ton wird rauer, Mackerodt lauter, schließlich vertagt man sich, will am späten Nachmittag noch mal telefonieren. „So geht es nicht“, schimpft er hinterher, „das lasse ich mir nicht bieten.“
Mackerodt ist in der Sportszene beliebt
„Fränkie“, „Dicker“ oder „Macke“ nennen sie Frank Mackerodt in der Sportszene. Er ist beliebt, Typ Kumpel, der immer einen flotten Spruch parat hat. Die Medien mögen ihn. Er spricht Klartext, stellt sich auch bei Niederlagen, ist selbstkritisch, freundlich, verbindlich, verlässlich, auch empathisch. Weibliche Fans begrüßt er mit „meine Sonne“. Das kommt an. In den späten 1980er-Jahren, als er mit dem HSV als Mannschaftskapitän viermal deutscher Volleyballmeister und -Pokalsieger wird, genießt er in Hamburg die Popularität eines Profifußballers.
Aus dieser Zeit stammt sein großes Netzwerk, das er beruflich ständig weiter ausbaut. Mackerodt kann aber auch anders. Wer in seiner Umgebung nicht alles für den Erfolg gibt, verliert schnell seine Gunst. Sein Einfluss ist so groß, dass drei Trainer gehen müssen, weil sie seinen Ansprüchen nicht genügen. „Er ist ein eiskalter Killer“, sagt einer von ihnen.
Er hasst es immer noch, beim Sport zu verlieren
Frank Ehrich ist Mackerodts Freund, Geschäftspartner und Golfgegner. In der Rothenbaumchaussee 1 teilen sich beide Büroräume. „Sein Ehrgeiz hat ihn zu der Persönlichkeit gemacht, die er heute ist. Er hasst es immer noch, beim Sport zu verlieren. Das ist manchmal schon niedlich“, sagt Ehrich (50). Seit 25 Jahren begleitet er mit seiner Kommunikationsagentur Comtent Mackerodts geschäftliche Aktivitäten, steht mit ihm auch existenzielle Krisen durch. Was er an ihm schätzt? „Er ist ehrlich, konsequent, er hält sein Wort, kann zuhören und Widerworte ertragen.“ Wenn Beachvolleyball heute in der Nische, die der Fußball anderen Sportarten noch lässt, gut leben kann, ist das auch Mackerodts Verdienst, der Ertrag seiner Pionierarbeit.
Vor 25 Jahren hat sein damaliger Hamburger Geschäftspartner Matthias Neumann die Idee, in Innenstädten und an Stränden eine Beachvolleyball-Turnierserie auszutragen. Mackerodt organisiert die neue deutsche Serie, entwickelt sie mit Sponsoren dank Preisgeldern von bis zu 50.000 Euro pro Veranstaltung zu einem der führenden nationalen Wettbewerbe auf der Welt. Beachvolleyball lockt aufgrund sportlicher und finanzieller Perspektiven plötzlich viele Talente aus der Halle in den Sand. Die deutschen Strandspieler baggern und blocken sich an die Weltspitze.
Mackerodt ist gut im Geschäft
Die Kölner Julius Brink/Jonas Reckermann werden 2012 in London Olympiasieger, das HSV-Duo Laura Ludwig/Kira Walkenhorst feiert diesen Triumph vier Jahre später in Rio de Janeiro. In der nächsten Woche – vom 23. bis 27. August – schlagen die beiden Hamburgerinnen, inzwischen auch Weltmeisterinnen, beim Finale der Weltserie im Tennisstadion am Rothenbaum auf. Es ist Mackerodts bisher größtes Turnier. 800.000 US-Dollar Preisgeld stehen auf dem Spiel. Seine Ein-Mann-GmbH Beach Services wird in diesem Jahr einen Umsatz von rund fünf Millionen Euro machen.
Mackerodt ist gut im Geschäft. Für den Bezahlsender Sky, der nach fünf Jahren als Vermarkter und Presenter aus dem Beachvolleyball aussteigt, hat er ebenso Ersatz gefunden wie für Autohersteller Smart, der nach zwölf Jahren die Serie verlässt. Die neuen Verträge mit einer Laufzeit von drei Jahren sollen in zwei Wochen in Timmendorfer Strand unterschrieben werden.
Ende 2009 lag er sieben Wochen im Koma
Neumann und Mackerodt revolutionieren mit ihrer Agentur MNP den traditionellen Ablauf von Sportveranstaltungen. Beim Beachvolleyball ist der Eintritt außerhalb des VIP-Bereichs frei, Moderatoren und Musik unterhalten das Publikum zwischen den Ballwechseln. Auf und neben den Courts herrscht Volksfeststimmung. Sponsoren können ihre Produkte an Orten präsentieren, an denen Werbung gewöhnlich untersagt ist. Der direkte Kundenkontakt zahlt sich aus. Das Modell funktioniert.
Doch so glatt und gradlinig, wie sich Mackerodts Lebenslauf bisher liest, ist seine Biografie nicht. Es gibt Brüche. Die Insolvenz der Agentur MNP im Oktober 2003, die sich auf anderen Geschäftsfeldern überhebt, für viel Geld einen Börsengang plant, bedeutet für Mackerodt für neun Jahre den beruflichen Abschied vom Beachvolleyball. 2013 kehrt er zurück. Die Schulden aus der Pleite sind erst Anfang dieses Jahres abbezahlt.
Es ging vor allem um Eitelkeiten
2006 wird seine erste Ehe geschieden. Sohn Marcelle (heute 20) und Tochter Fabienne (17) leben fortan bei ihrer Mutter Manuela. Der Vater kümmert sich weiter um sie, der Kontakt reißt nie ab. Er ist heute besser denn je.
Sein Engagement als Aufsichtsrat des HSV beendet Mackerodt Anfang 2009 nach acht Jahren. Damals gehört der Club zu den 20 erfolgreichsten Europas. „Es ging nicht mehr um die Sache, um den HSV, es ging vor allem um Eitelkeiten, wie bringe ich mich, meine Interessengruppen in Position. Das hat dem Verein massiv geschadet.“ Vor allem der würdelose Umgang einiger Räte mit dem langjährigen Aufsichtsratsvorsitzenden Udo Bandow schockiert ihn. „Udo hat als Moderator immer ausgleichend zum Wohle des Vereins gewirkt, hat den Streit im Vorstand zwischen dem Vorsitzenden Bernd Hoffmann und Sportchef Dietmar Beiersdorfer regelmäßig geschlichtet. Nach ihm kam es zum offenen Bruch zwischen beiden. Unter den Folgen leidet der HSV bis heute.“
Kampf auf Leben und Tod
Am 21. Oktober 2009 beginnt sein Kampf auf Leben und Tod. Drei Wochen zuvor hat sich Mackerodt seinen Magen verkleinern lassen. Alle Diäten helfen nichts, er wiegt bei 1,91 Meter Größe 154 Kilo, erste gesundheitliche Probleme treten auf. Er entscheidet sich für die Operation. Mackerodt ist ein Risikopatient. Er hat Krampfadern. Schon zu seiner Zeit als Leistungssportler löst sich ein Thrombus in der Wade, führt zu einer Lungenembolie. Diesmal wandert ein Blutgerinnsel in den Darm, stört die Durchblutung des Organs.
Der Darm wird brüchig, Sekrete fließen in den Bauchraum, entfachen eine schwere Blutvergiftung. Wie er in der Nacht ins Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) kommt, weiß er nicht mehr. Die Ärzte operieren ihn sofort, versetzen ihn ins künstliche Koma. Sein Zustand verschlechtert sich, nach drei Wochen muss er beatmet werden. Sein älterer Bruder Michael bereitet Freunde und Bekannte in Rundmails auf das Schlimmste vor. „Es stand Spitz auf Knopf. Es gab Tage, da hatten die Ärzte nur noch wenig Hoffnung“, erzählt Frank Mackerodt.
Er ist ein Kämpfer
Er ist ein Kämpfer, „das ist das Einzige, was ich kann“, scherzt er. Auf dem Volleyballfeld gibt er keinen Ball verloren, das macht ihn zum Vorbild; auf der Intensivstation wehrt er sich mit letzter Kraft gegen das drohende Schicksal, das rettet ihm sein Leben. Nach sieben Wochen, kurz vor Weihnachten, erwecken ihn die Ärzte aus dem Tiefschlaf. Ein weiteres halbes Jahr muss er im Krankenhaus bleiben. 65 Kilo nimmt er ab, 15 Monate lang kann er nicht arbeiten. Die vollständige Genesung dauert Jahre.
Anfang 2012 lernt er Sabine kennen, im Dezember 2013 heiratet er in Timmendorf seine „Traumfrau“. Auch sie bringt zwei Kinder mit in die Ehe. „Sie ist mein großes Glück, das Beste, was mir passieren konnte. Mit ihrer Energie, ihrem Optimismus und ihrer Zuversicht reißt sie mich mit. Ohne sie kann ich mir ein Leben gar nicht mehr vorstellen.“
Heute fühlt er sich wieder fit
Heute fühlt er sich wieder fit, wiegt 108 Kilo, achtet auf seine Ernährung, isst und trinkt nur noch in Maßen. „Nicht jeder erhält eine zweite Chance. Wenn man sie bekommt, sollte man sie auch nutzen“, sagt er. Sein Leben jetzt sei „on top“. Dafür verspüre er Dankbarkeit. Zukunftsängste kenne er nicht mehr.
Mackerodt wirkt gelassener, entspannter, glücklicher als früher. „Ich weiß, was ich kann, ich weiß vor allem, was ich nicht kann.“ Er hat festgestellt, dass er Menschen führen, ein Projekt leiten kann. Darauf ist er stolz. „Die Arbeit macht mir mehr Spaß als jemals zuvor“, sagt er. „Mit dem zweiten (Leben) lebt sich’s besser.“ Auch dank seiner neuen Frau. Es ist ihm wichtig, das an dieser Stelle noch einmal zu betonen.
Nächsten Sonnabend: Michael Batz,
Lichtkünstler, Autor, Dramaturg und Regisseur