Hamburg. Am Bundesstützpunkt am Alten Teichweg trainieren jetzt Deutschlands beste Männerteams, die Frauen ringen noch um Lösungen
Es herrscht reger Betrieb im Beach-Center am Alten Teichweg und das schon in den sonst eher ruhigen Nachmittagsstunden. Auf den Courts wird gebaggert und geblockt, gehechtet und geschmettert, im Vorraum erläutern zwei Trainer am Laptop ihren Spielerinnen in Wort und Bild technische und taktische Varianten.
Willkommen am neuen Bundesstützpunkt Beachvolleyball im Hamburger Stadtteil Dulsberg. Seit dem 2. Januar ist die schmucke, im November 2007 eröffnete Anlage mit ihren acht Hallen- und zehn Außenplätzen direkt neben dem Olympiastützpunkt (OSP) Hamburg/Schleswig-Holstein die zentrale Anlaufstelle für Deutschlands beste Strandspieler. Hier sollen sie in den nächsten dreieinhalb Jahren für die Olympischen Spiele 2020 in Tokio ausgebildet und fit gemacht werden.
Hamburg will Beachvolleyball-Hauptstadt Deutschlands werden, hatte Sportsenator Andy Grote im vergangenen August nach dem Olympiasieg des HSV-Duos Laura Ludwig/Kira Walkenhorst in Rio de Janeiro vollmundig verkündet. Der SPD-Politiker hielt Wort – nach monatelangen Verhandlungen. Der Deutsche Volleyballverband (DVV), die Stadt Hamburg, der Hamburger SV e. V. und der OSP brachten in konzertierter Anstrengung die finanziellen Mittel und organisatorischen Kapazitäten auf, um die Pläne umzusetzen. „Eine einmalige Aktion“, jubelte DVV-Präsident Thomas Krohne (München).
Der Standort erfüllt höchste Ansprüche. Martin Olejnak, neuer Chef-Bundestrainer der Männer, hält ihn für einen der besten, wenn nicht sogar für den besten der Welt. Der 46 Jahre alte Slowake, der perfekt Deutsch spricht, darf sich das Urteil wohl anmaßen. Er führte die österreichischen Schwaiger-Schwestern Doris und Stefanie in die Weltspitze, Gleiches gelang ihm in den vergangenen sechs Jahren als Coach der polnischen Männer.
Bernd Schlesinger (57) ist momentan seine rechte Hand. Der OSP-Trainingswissenschaftler bemüht sich, allen Wünschen der Neu-Hamburger gerecht zu werden. Er koordiniert Trainingszeiten und Termine beim Physiotherapeuten, sucht preisgünstige Wohnungen. Was aktuell noch fehlt? „Etwa 60 neue Volleybälle, eine Eistonne und ein Blockbrett“, sagt Schlesinger.
Mit der Zentralisierung seiner Spitzenkräfte schlägt der DVV einen neuen Weg ein. Die Maßnahme ist bei den Spielern nicht unumstritten. Olejnak hält sie aufgrund seiner internationalen Erfahrung für zielführend, versteht aber die Kritik: „Das ist auch eine Frage der jeweiligen Landeskultur. Was anderswo zum Erfolg führt, muss nicht zwangläufig in Deutschland dieselben Ergebnisse bringen. Die Bündelung der Kräfte erhöht jedoch das allgemeine Trainingsniveau, nutzt die Ressourcen effektiver, und vor allem die Nachwuchskräfte können sich schneller entwickeln.“ Die Herausforderung sei ja, nicht nur zwei Männerteams nach Tokio zu schicken, – in Rio schlugen allein die Hamburger Markus Böckermann/Lars Flüggen auf –, „wir wollen auch wieder bei der Medaillenverteilung dabei sein“.
Zu den Kritikern gehört der Berliner Jonathan Erdmann (28), der sich der Zwangsumsiedlung nach Hamburg zwar fügt, sie dennoch nicht nachvollziehen kann: „Das alte, dezentrale System hat doch funktioniert. Vier der sieben besten Frauenteams in der Weltrangliste kamen 2016 aus Deutschland, bei den Männern waren wir in den vergangenen Jahren ebenfalls erfolgreich.“ Mit Kay Matysik wurde Erdmann 2013 WM-Dritter, die Olympiaqualifikation für Rio verpassten beide nach zahlreichen Verletzungen nur knapp. Künftig geht Erdmann mit Armin Dollinger (26/Dachau) im Sand ans Netz.
Während die vier Nationalteams der Männer in Hamburg eingetroffen sind, ist die Lage bei den Frauen weitgehend ungeklärt – und höchst kompliziert. Nicht einmal der Cheftrainerposten ist derzeit besetzt, allerdings zeichnet sich eine Einigung mit dem Schotten Imornefe Bowes (40) ab. Der Lebensgefährte der Olympiasiegerin Laura Ludwig, der zuletzt die niederländischen Beachvolleyballerinnen betreute, leitete bereits das Kadertraining am Alten Teichweg. Einen Interessenkonflikt aufgrund seiner privaten Situation sieht Bowes nicht: „Es wäre höchst unprofessionell, wenn ich mich davon beeinflussen ließe, zudem würde meine Reputation als Trainer darunter leiden.“
Die Spielerinnen teilen die Einschätzung. „Erstens wandeln Laura und Kira in einer anderen Liga, zweitens haben wir alle großes Vertrauen zu ihm“, sagt Julia Großner, Walkenhorsts Interimspartnerin beim Saisonstart in den USA (siehe Artikel rechts).
Schwierigkeiten bereitet vielmehr die Integration der Spitzenteams Chantal Laboureur/Julia Sude und Karla Borger/Margareta Kozuch. Beide Paare wollen Stuttgart nicht verlassen, pochen auf eine „Insellösung“, wie sie der Volleyballverband Ludwig/Walkenhorst gewährt. Die Olympiasiegerinnen dürfen – außerhalb der Verbandsstrukturen – weiter mit eigenem Betreuer- und Trainerteam um die Welt reisen. Ihr Privatsystem hat sich nachweislich bewährt. Strittig bleibt dabei, wer die anteiligen Kosten für Hamburgs Landestrainerin Helke Claasen trägt. Es geht um rund 30.000 Euro.
Wann alle Differenzen ausgeräumt sind, ist nicht absehbar. Finanzielle Unterstützung vom DVV, 12.500 Euro pro Paar in diesem Jahr, erhalten nur jene für Turnierreisen, die in Hamburg trainieren. Weiteres Problem: Weil die meisten Nationalteams neu zusammengestellt wurden, sind sie auf der Welttour bislang nicht für die Hauptfelder qualifiziert. Bei den Männern gehören nur die deutschen Meister und Olympiateilnehmer Böckermann/Flüggen (HSV) zu den Gesetzten, bei den Frauen Ludwig/Walkenhorst als Nummer eins und Laboureur/Sude als Nummer drei.