Hamburg. Teil 6 der Serie: Der Chef des Modelabels Herr von Eden über Leggins und warum Funktionalität zu oft die Überhand gewinnt.

Die Treppen am Jungfernstieg mit Blick auf die Binnenalster sind an diesem Nachmittag heiß und begehrt. Schiffe gucken, Leute checken – es ist der perfekte Laufsteg. Nur, dass hier nicht „Vogue“-Chefin Anna Wintour samt Entourage in der ersten Reihe sitzt, sondern Bent Angelo Jensen (40). Und er hat eine Mission: die Sommermode der Hamburger begutachten. „Ich sehe viel T-Shirt und Jeans“, sagt Jensen mit Blick durch die verspiegelte 90er-Jahre-Sonnenbrille.

Hier hat ganz klar die Jugendkultur das Sagen – auch modisch. Jungs in abgeschnittenen Jeans, was dem guten Wetter geschuldet sein mag. Ein Pärchen mit T-Shirts im Camouflage-Partnerlook. Junge Frauen mit hautengen, schwarzen Leggins. „Das ist ein Modetrend, den ich überhaupt nicht verstehe. Wenn ich eine Tochter hätte, würde ich ihr diese Leggins verbieten. Darin zeigt man ja alles!“

Zur Person

Der Mann, der sich an diesem Nachmittag als Stilkritiker unters Volk mischt, fällt auf. Er trägt keine Jeans (eigentlich sah man ihn noch nie in Jeans), kein T-Shirt, keine Turnschuhe. Stattdessen: dunkelblauer Nadelstreifenanzug, Hemd, Krawatte, Lotsenmütze. Seit fast 20 Jahren leitet er das Hamburger Modelabel Herr von Eden, das für seine eleganten, gerne auch mal exzentrischen­ Herrenanzüge mit Zi­taten aus der Popkultur nicht nur deutschlandweit, sondern mittlerweile auch in England, Japan und den USA bekannt ist.

„Der Anzug ist das ultimative Kleidungsstück für den Herren“, sagt der Autodidakt, der seine Karriere in der Modebranche einst mit dem Sortieren von Altkleidern begann. Schon damals habe er zwischen Vintage-Modellen und Klassikern seine Liebe zu diesem Kleidungsstück entdeckt und spielt seitdem „auf der gesamten Klaviatur“, wie er es nennt.

Augenmerk auf Männer in Anzügen

Augenmerk auf Männer in Anzügen also: „Gerade ist ein Herr in einem leichten dunkelblauen Anzug mit himmelblauem Hemd vorbeigelaufen. Die Hose saß unten lässig auf dem Schuh auf – italienischer Look, sehr schön“, urteilt der Herrenausstatter. Allerdings könne er sich ruhig etwas mehr Farbe und Muster trauen. „Karo, Tupfen, Streifen – wenn man das zusammen kombiniert, spielt man schon in der Profiliga“, so Jensen.

Er selbst trägt diese Kombination in Form von Nadelstreifen-Jacke, Karohemd und getupfter Seidenkrawatte von Giorgio Armani („Vom Flohmarkt für einen Euro“). Guter Geschmack habe nichts mit dem Geldbeutel zu tun. Er sei vielmehr Ausdruck einer inneren Haltung und der persönlichen Stimmung. „Wenn ich mich unwohl fühle, dann putze ich mich nicht heraus, im Gegenteil. Und das wird zum Teufelskreislauf. Umso wichtiger ist es, sich daraus zu befreien.“

Begeistert von einem Mann im Grunge-Look

Ist guter Geschmack denn überhaupt lernbar? „Ich glaube, dass wirklich jeder dieses Stilempfinden in sich trägt. Man muss nur ein Bewusstsein für Stil entwickeln. Man kann sich viel anlesen, beobachten, abgucken. Ich wünsche mir mehr Mut und Leidenschaft für Mode. Nicht nur in Hamburg, auch in anderen Städten sieht man anhand von Wetterjacken und Trekking-Sandalen, dass leider viel zu oft Funktionalität die Überhand gewinnt.“

Anzug mal anders: ein Modell der
Herbst/Winter-Kollektion
2017/2018
von Herr von Eden
Anzug mal anders: ein Modell der Herbst/Winter-Kollektion 2017/2018 von Herr von Eden © Herr von Eden

Oder dass blind einem Trend gefolgt wird. Bei Herrenanzügen ist gerade eine schmale Silhouette nach englischem Vorbild, mit kurzen Jacken und Hosenbeinen, die knapp über dem Knöchel enden, angesagt. Das stehe nicht jedem. „Ich beobachte, dass viele Männer – auch wenn sie es sich figürlich nicht leisten können – kurze und knappe Sakkos tragen. Ich sage daher immer ‚Länge bewahren!‘ Das kleidet viel mehr.“

Geschmack ist nicht mit Geld zu kaufen

Auf dem Spaziergang zur Fleetinsel wird der Neue Wall passiert. Die Klientel der großen Luxusmarken beweise, dass Geschmack nicht mit Geld zu kaufen sei, so Bent Angelo Jensen. „Das ist ein einziges Zurschaustellen von Statussymbolen – wie langweilig.“ Dagegen ist der Herrenausstatter von einem jungen Mann im Grunge-Look begeistert, der die Michaelisbrücke ansteuert: „Eng anliegende Jeans, langes, ausgewaschenes T-Shirt mit rundem, weitem Halsausschnitt – alles in Schwarz. Das erinnert an die Ästhetik des amerikanischen Designers Rick Owens. Dieser Mann hat sich bei seiner Kleiderwahl etwas gedacht.“

Kurz darauf flaniert eine Frau in einem langen weiten Blümchenkleid an der Rialto-Bar vorbei. „Ihr signalroter Lippenstift greift eine Farbe des Kleides auf – das passt perfekt“, lobt der Experte und fühlt sich ein bisschen wie in Paris. Dort, so sagt Jensen mit träumerischem Blick, will er in zwei Jahren seine Kollektion zeigen. Weit weg von Funktionsjacken und Trekking-Sandalen.