Hamburg. Michael Eggenschwiler über das Kofferchaos am Hamburg Airport, die Konsequenzen daraus und die Überlastung der Bodenmitarbeiter.
Drei Stunden mussten Passagiere eines Ryanair-Flugs warten, bis ihre Koffer auf dem Laufband lagen. Langjährige Mitarbeiter der Bodenverkehrsdienste sprechen von katastrophalen Arbeitsbedingungen. Die Gewerkschaft Ver.di brandmarkt den Hamburger Flughafen als Verhinderer eines Branchentarifvertrags. Das Abendblatt sprach mit Flughafenchef Michael Eggenschwiler über die Folgen des Gepäckchaos.
Herr Eggenschwiler, was haben Sie gedacht, als Sie von den drei Stunden Wartezeit hörten?
Eggenschwiler: Da habe ich mich aufgeregt. Das ist ein Thema, bei dem ich an die Decke gehe. Ich kann mich bei den betroffenen Passagieren nur entschuldigen. Ich verstehe jeden, der sich da ärgert. Das war ein Fehler. Zu einem hohen Krankenstand kam hinzu, dass ein Mitarbeiter die Koffer vergessen hatte. Wo Menschen arbeiten, passieren Fehler – gleichwohl darf das in dieser Dimension nicht passieren. Dieser 5. August war ein schwarzer Sonnabend. Solche Tage brauchen wir nicht mehr.
Haben Sie sich umgehend über die Lage informieren lassen?
Eggenschwiler: Diesen Fall habe ich erst später erfahren, aber dass es an dem Tag eng war, habe ich schon mitbekommen.
Leser haben uns gefragt, warum Sie zu dem Gepäckchaos so lange schwiegen. Haben Sie sich weggeduckt?
Eggenschwiler: Nein, ich habe mich nicht weggeduckt. Ich bin wahrscheinlich der Erste, der sich darüber aufregt. Bei mir liegt aber der Fokus darauf zu schauen: Was können wir, meine Führungskräfte und meine Mitarbeiter, besser machen? Solche Ausreißer dürfen nicht mehr passieren. In den vergangenen Tagen sah man aber auch, dass die Gepäckausladung gut funktioniert. Wir können das.
Lange Wartezeiten auf die Koffer sind allerdings ein Dauerthema. Wie wollen Sie das in Zukunft verhindern?
Eggenschwiler: Zunächst einmal müssen wir festhalten, dass der Flughafen keine Verträge mit den Abfertigern schließt, sondern die Airlines mit den Abfertigern. Aber natürlich schauen wir uns die Abläufe genau an. Wir haben ungefähr 40 Firmen, die an einer Flugzeugabfertigung irgendwo beteiligt sind – angefangen beim Check-in, am Gate, bei der Reinigung, Sicherheit, Betankung und dem Catering. Das muss synchron sein. Die Gesamtabläufe müssen wir uns ansehen und verbessern. Wir müssen auch überlegen, wo wir die eine oder andere Reserve einbauen – Puffer personeller Art, aber auch im Flugplan der Airlines. Wenn 180 Passagiere inklusive Gepäck von und an Bord müssen, können vorgegebene Standzeiten von 30 Minuten in Spitzenzeiten zu eng sein.
Wie lange sollen Fluggäste denn maximal auf ihr Gepäck warten müssen?
Eggenschwiler: Das ist eine ganz schwierige Frage. Im Schnitt 30 Minuten in den Spitzenzeiten. Bei 95 Prozent der Auslieferungen der Koffer halten wir das auch. Es gibt unangenehme Ausreißer, an denen arbeiten wir aber. Über eine Stunde Wartezeit darf es nicht geben.
Flughafen-GmbH hat mehr als 800 Bewerbungsgespräche geführt
Sie wollen Personal einstellen – wie viel?
Eggenschwiler: Wir haben für dieses Jahr bei den Bodenverkehrsdiensten mit 900 Mitarbeiter geplant. Wir sind heute bei 950, also deutlich mehr. Wir haben mehr als 800 Bewerbungsgespräche geführt und davon 150 Leute eingestellt. Davon sind noch 40 da.
Also sind 110 wieder weg – das ist eine sehr hohe Fluktuation. Hilft mehr Geld?
Eggenschwiler: Ich glaube nicht. Wir haben in diesem Jahr in Verhandlung mit den Gewerkschaften die Einstiegsgehälter um 16 Prozent angehoben, dazu kommen noch Zuschläge je nach Einsatz. Es ist ein harter Beruf, man ist bei jedem Wetter draußen. Die Fluktuation ist auch in anderen Branchen heutzutage hoch, das ist der Markt in Hamburg. Wir werden noch mal aktiv nach Leuten suchen. Wir haben keine Begrenzung, wir stellen ein, wo wir können.
Bei 10 Euro liegt momentan der Tariflohn für Einsteiger, im Januar steigt er auf 10,76 Euro. Für das Leben in einer Großstadt wie Hamburg ist das wenig. Selbst der Chef Ihrer Bodendiensttochter hat eine bessere Bezahlung angemahnt. Müssen die Löhne nicht erhöht werden?
Eggenschwiler: Wir haben in diesem Jahr gezeigt, dass wir in diese Richtung gehen. Wir haben die unteren Lohnstufen deutlich angehoben. Langjährige Mitarbeiter, die Zusatzqualifikationen erwerben, kommen auf Monatslöhne von bis zu 3900 Euro. Das sind Einkommen, die sich mit anderen Berufen vergleichen lassen. Wir müssen aber auch bedenken, dass die Bodenverkehrsdienste ein eigenständiges Geschäft sind und sich selbst tragen müssen.
Eggenschwiler weist Ver.di-Vorwürfe zurück
Muss man da nicht die von den Airlines geforderten Gebühren erhöhen?
Eggenschwiler: Das ist nicht so einfach. Wir haben oft langfristige Verträge mit den Airlines, in denen gedeckelte Lohngleitklauseln enthalten sind. Wir können die erhöhten Tarife so nicht einfach weitergeben – auch wenn wir versuchen, nachzuverhandeln oder eine Anpassungsklausel in neue Verträge einzubauen. Wenn die Airlines einkaufen, geht es um Cents, und der Beste bekommt den Zuschlag.
Die Gewerkschaft Ver.di wirft Ihnen vor, einen Branchentarifvertrag zu verhindern.
Eggenschwiler: Nein, wir behindern den nicht. Es gibt einen laufenden Dialog mit Ver.di. Da ist ein Eckpunktepapier vereinbart worden, und zu dem stehen wir. Es wird im Herbst weitere Gespräche geben.
Langjährige Mitarbeiter sprechen von katastrophalen Bedingungen, dauerndem Personalmangel und ständiger Überlastung in der Gepäckabfertigung. Sehen Sie sich als Flughafenchef da nicht in der Verantwortung, dass die Arbeitsbedingungen für die Menschen, die am Flughafen arbeiten, gut sind?
Eggenschwiler: Natürlich. Genauso, wie wir auch dafür verantwortlich sind, dass die Abläufe sicher sind und die Sicherheit gewährleistet ist.
Apropos: Bei der AHS, die für die Passagierabfertigung zuständig ist, sind in den vergangenen Wochen mehr als 100 Gefährdungsanzeigen gestellt worden, damit machen Mitarbeiter auf ihre Überlastung aufmerksam. Ist das kein Sicherheitsrisiko?
Eggenschwiler: Die AHS ist eine eigenständige Firma, die damit umgehen muss und für die ich nicht sprechen kann. Die Sicherheitslage am Flughafen ist in jedem Fall nicht gefährdet.
Kommen wir zum Abschluss noch zu zwei anderen Themen: Die Zahl der späten Flüge zwischen 23 und 24 Uhr ist im Juli deutlich gestiegen. Ihre im Frühjahr 2016 gestartete Pünktlichkeitsoffensive wollte genau diese Verspätungen abbauen. Warum klappt das nicht?
Eggenschwiler: Im Juli waren ein paar Sonderfaktoren drin, die nicht von der Flugsicherheit oder den Airlines zu vertreten sind. Es gab viele extreme Wetterlagen...
... die aber laut Klimaexperten in der Zukunft deutlich zunehmen werden...
Eggenschwiler:... das ist richtig. In den letzten zwei, drei Jahren hat das fast exponenziell zugenommen. Schwere Gewitterlagen sind nicht planbar. Am Dienstag konnten wir wieder eine Stunde lang niemanden ans Flugzeug zum Aus- und Einladen schicken. Diese Stunde holen sie nicht mehr auf. Aber die Airlines haben den Standort in einem besonderen Fokus. Mit Dauersündern, die häufig zu spät kommen, sprechen wir intensiv. Wir werden auch sehen, wie die Wirkung der neuen Entgeltstruktur mit den erhöhten Nachtzuschlägen ist. Wenn die Maschinen pünktlich kommen, müssen die Airlines diese höheren Gebühren nicht entrichten. Diese höheren Rechnungen trudeln erst allmählich bei den Airlines ein. Ich hoffe, dass wir die Airlines noch erziehen.
Macht Ihnen die Insolvenz von Air Berlin Sorgen?
Eggenschwiler: Eine solche Entwicklung ist nie gut, nie erfreulich – weder für die Mitarbeiter noch für die Passagiere. Air Berlin ist in den vergangenen Jahren aber hier schon auf dem Rückzug gewesen, fliegt nur noch nach München und Düsseldorf – da werden sie Airlines finden, die einspringen. Wir haben hier aber auch vier stationierte Maschinen von Air Berlin, die für die Lufthansa-Tochter Eurowings fliegen. Wir haben also auch Beschäftigung der Air Berlin hier in Hamburg. Da hoffen wir, dass das Bestand haben wird. Mit dem Entscheid von Dienstag hat man auch Zeit gewonnen, Entscheidungen in Ruhe zu treffen. Das finde ich persönlich gut, das gibt den Mitarbeitern und Passagieren Sicherheit für die nächsten drei Monate.