Hamburg. Wie Uwe Schröder die Modekette schuf und fast deren Zukunft verspielte. Ein Gespräch über Risiko, Bauchgefühl und die Droge Polo.

Mit dem Wort „Ruhestand“ kann Uwe Schröder (75) nicht viel anfangen. Gerade hat der Gründer der Hamburger Modekette Tom Tailor ein Polo-Turnier in Paris gespielt, nun geht es nach Mallorca und dann wieder nach Frankreich. Auf seiner Lieblingsstute Sombra jagt Schröder selbst im höheren Alter noch dem Ball hinterher – ohne Visier natürlich, das sollen nur seine Töchter bei dem gefährlichen Sport tragen. „Damit ihre hübschen Gesichter keinen Schaden nehmen“, sagt Schröder lächelnd. „Bei mir kommt es nicht mehr so drauf an.“

So ziemlich jeden Knochen hat sich der durchtrainierte Unternehmer beim Polo schon gebrochen, im vergangenen Jahr war das Wadenbein dran. Aufgeben will er den Sport trotzdem nicht: „Polo ist wie eine Droge“, sagt er. „Damit höre ich erst auf, wenn ich beim Spielen Angst verspüre.“

Halsbreche­risches Hobby

Tatsächlich hat der gebürtige Hamburger seit einigen Monaten sogar noch etwas mehr Zeit, seinem halsbreche­rischen Hobby nachzugehen. Ende Mai hat sich Schröder von seiner anderen großen Leidenschaft, dem Modemachen, verabschiedet. Nach 55 Jahren als Chef und Aufsichtsrat ist der Gründer bei Tom Tailor ausgestiegen und begnügt sich nun mit der Rolle eines Beraters und Kleinaktionärs. „Obwohl ich diesen Schritt für mich so geplant hatte, ist es schwer loszulassen“, sagt Schröder. „Tom Tailor ist schließlich mein Lebenswerk.“

Die Anfänge des heutigen Konzerns mit gut 900 Millionen Euro Jahresumsatz waren ausgesprochen bescheiden. Günstige Scheuerlappen und Handtücher sollte der gelernte Import- und Exportkaufmann Anfang der 1960er-Jahre für die Drogeriekette Budnikowsky besorgen. Schröder, damals Mitarbeiter der Firma Henke & Co., tat einen Lieferanten in Indien auf, der riesige Ballen der gewünschten Ware anbot. Der gewitzte Kaufmann ließ sie in einem Gefängnis in Deutschland kostengünstig falten und verpacken und verbuchte seinen ersten geschäftlichen Erfolg.

Eine Million Meter Cordstoff

1962 wurde Henke & Co. an Schröders späteren Freund und Geschäftspartner Hans-Heinrich Pünjer verkauft. Schröder ging mit („Ich war Teil des Pakets, das war wohl der letzte Sklavenhandel in Hamburg“) und stieg schnell in die Geschäftsführung auf. Gemeinsam verlegten sich die Unternehmer auf den Import von Herrenhemden aus China­. Eine scharfe Konkurrenz für die heimische Textilindustrie, die damals noch weitgehend in Deutschland produzierte. „Für 5,95 Mark konnten wir unsere Hemden anbieten, das war eine Sensation“, sagt Schröder.

Pünjer führte im Büro in der Speicherstadt die Bücher, sein Partner reiste zu den asiatischen Lieferanten, lag auf den Schneidertischen und entwarf Hemden, T-Shirts und Unterwäsche. Ab und zu trank Schröder auch mit den Parteifunktionären des kommunistischen Landes, um sie freundlich zu stimmen. Auf einer Messe in Kanton bekam der Hamburger eine Million Meter Cordstoff angeboten. Schröder ließ daraus Hosen schneidern und nannte sie Tom, weil ihm das Label spontan in den Sinn kam.

Erste Kollektionen

„600.000 Stück haben wir in einer Woche verkauft“, erzählt er. „Das kann sich heute keiner mehr vorstellen.“ Als das noch junge Modeunternehmen einen griffigen Namen brauchte, hängte Schröder an „Tom“ noch den englischen Begriff für „Schneider“ dran: So wurde aus Tom der Tailor.

Schröder und Pünjer kauften Fabriken in Hongkong und Vietnam, wo der abenteuerlustige Hamburger selbst während des Kriegs zwischen dem Norden und dem Süden produzieren ließ. Nur als in der Nähe von Saigon die Bomben niedergingen, wurde es ihm zu heiß. Die Partner entwickelten ihre ersten Kollektionen, Ende der 1970er-Jahre verlegten sie sich auf Sportswear.

Investoren wechselten stetig

Tom Tailor wuchs immer mehr, der wesentlich ältere Pünjer, mit dem Schröder bis heute befreundet ist, stieg aus. Investoren und Manager wechselten in den nächsten Jahren stetig, Schröder blieb. Nur einmal trennte sich der emotionale Hamburger weitgehend von seinen Anteilen, weil er sich mit einer Personalentscheidung der Investoren nicht einverstanden war. Kurz darauf ging der ungeliebte Manager, und Schröder kaufte sich bei Tom Tailor wieder ein. „Ich bin ein Bauchmensch und treffe viele wichtige Entscheidungen aus dem Gefühl heraus“, sagt er. „Das ist meistens gut.“

Ein gutes Bauchgefühl hatte Schröder allerdings auch, als er im Jahr 2006 Dieter Holzer als Vorstandschef an Bord holte, ein „begnadeter Verkäufer“, wie der Unternehmer bis heute sagt. Die beiden Männer wurden Freunde, trafen sich zum Urlaub auch mal auf Ibiza. Holzer baute Tom Tailor vom Großhändler zur Modekette mit mehreren Hundert Filialen um. Eine Notwendigkeit zu einer Zeit, als vertikal aufgestellte Konzerne wie H&M oder Zara längst den deutschen Markt dominierten.

Ehrgeiziges Wachstum

Im März 2010 folgte der Börsengang, um das ehrgeizige Wachstum zu finanzieren. Gut zwei Jahre später überzeugte Holzer den Aufsichtsratsvorsitzenden Schröder, die Kette Bonita zu übernehmen, spezialisiert auf Mode für Damen ab 40. Eine Cashcow sollte Bonita sein mit ihren rund 1000 Filialen und zugleich ein Pendant zu der noch immer eher männerlastigen Marke Tom Tailor. Eine prima Wachstumsstory für die Börse.

„Tom Tailor hat wie im Rausch expandiert“, sagt Schröder heute. „Dabei hätte uns etwas mehr Ruhe sicher gutgetan.“ Denn zu diesem Zeitpunkt hatte Holzer schon begonnen, den Überblick über das immer unübersichtliche Gebilde Tom Tailor zu verlieren. Aufsichtsratschef Schröder ließ ihn gewähren, befeuerte das ungebremste Wachstum sogar noch mit einem Bonussystem, das die Expansion auf Kosten des Gewinns belohnte.

Mit 4,5 Millionen Euro verdiente Holzer im Jahr 2014 mehr als manch ein DAX-Vorstand, während sich die Kette nur noch knapp in der Gewinnzone halten konnte. Von „Spendierhosen“ schrieb das „Manager Magazin“ und meinte damit auch den Aufsichtsratsvorsitzenden, der zu diesem Zeitpunkt eher als Chef des konzerneigenen Polo-Teams denn als Chefkontrolleur von sich reden machte.

Kurz darauf rauschte Tom Tailor in die Verlustzone, aus der die Kette erst jetzt wieder herausgekommen ist. Bonita, die angebliche Goldgrube, hatte sich da als eine künstlich aufgeblähte Kette mit Hunderten unrentablen Filialen herausgestellt. Schröder zog erst spät die Konsequenzen, kappte die Vorstandsgehälter und trennte sich im Herbst vergangenen Jahres von seinem Freund Holzer.

Bonita würde er heute nicht mehr übernehmen

Im Alter von 74 Jahren wechselte er noch einmal in den Vorstand, um das Ruder herumzureißen. Schröder machte den ehemaligen Adidas-Manager Heiko Schäfer zum neuen Vorstandsvorsitzenden und fungierte selbst als Berater und Sparringspartner, um den neuen Mann in das von ihm gegründete Unternehmen einzuarbeiten.

Mehrere Hundert unrentable Filialen, vor allem der Marke Bonita, hat Tom Tailor seitdem schließen müssen. Aber auch viele schwache Geschäfte der Kernmarke mussten aufgegeben werden. Darunter das Geschäft im Ottensener Einkaufszentrum Mercado, das mal als eines der ersten ans Netz gegangen war. „Die Schließungen waren notwendig und richtig. Es hat aber schon wehgetan, diese Entscheidungen zu treffen und mitzutragen“, sagt Schröder.

Ganz abgeschlossen hat er noch nicht

Würde er heute die Kette Bonita noch einmal übernehmen? Schröder hält kurz in seinem sprudelnden Redefluss inne, seine hellblauen Augen schauen ein Stück zur Seite. „Das ist fraglich“, sagt er dann vorsichtig. „Aus heutiger Sicht wäre es nach meinem Empfinden besser gewesen, das Geld in die eigene Marke zu investieren.“ Hat er sich vom „geborenen Verkäufer“ Holzer zusammen mit den anderen Aufsichtsratsmitgliedern vielleicht zu sehr bequatschen lassen? Schröder zuckt mit den Achseln. „Hinterher ist man immer klüger. Fehler sind dazu da, dass man sie macht.“

Mittlerweile sieht der Gründer sein Unternehmen wieder in verantwortungsvollen Händen. „Ich habe das Gefühl, dass ich mich jetzt guten Gewissens zurückziehen kann.“ Das größte Aktienpaket liegt heute beim chinesischen Konzern Fosun, Schröder hält knapp drei Prozent. Sein Büro in der Konzernzentrale hat der Gründer vor wenigen Tagen aufgegeben. Doch ganz abgeschlossen hat er mit Tom Tailor dann doch noch nicht. „Ich bin schon mehrmals um 7.15 Uhr aufgestanden, um ins Büro zu gehen“, sagt er. „Meine Frau hat mir dann gesagt, dass ich da ja gar nicht mehr hin muss.“

An solchen Tagen geht er dann lieber reiten.