Hamburg. Ver.di kritisiert: Preisdrückerei sorgt für Niedriglöhne und Personalmangel. Mitarbeiter stellen mehr als 100 Gefährdungsanzeigen.

„Es läuft!“ So hieß es am Montag vom Hamburger Flug­hafen. Gemeint war die Gepäckabwicklung. Am Wochenende hatte das noch anders ausgesehen. Fluggäste klagten über Wartezeiten bis zu drei Stunden an den Gepäckbändern. Den Anfang nahm das Kofferchaos schon am Freitag mit der Entscheidung des Piloten des Vueling-Fluges VY 1820. Der beschloss – weil er zu lange auf die Ent- und Beladung warten musste – mitsamt Gepäck der in Hamburg ausgestiegenen Fluggäste und neuen Fluggästen (aber ohne deren Gepäck) zurück nach Barcelona zu fliegen.

Auch Fluggäste anderer Airlines reagierten genervt auf lange Wartezeiten an den Gepäckbändern. „Wir und andere Reisende mussten länger als zwei Stunden warten“, sagte Abendblatt-Leser Dirk Levy, der mit Eurowings Flug EWG 5317 um 13.35 Uhr in Hamburg landete. Viele Reisende hätten ihre Bahnverbindungen und Buchungszeiten auf den Longterm-Parkplätzen verpasst. „Die Anzeigen an den Bändern zeigten im 15-Minuten-Abstand verwirrende Termine für das Gepäck an. Viele herumstehende Koffer ließen darauf schließen, dass einige Reisende entnervt ohne Gepäck gegangen waren.“ Auch "Tagesthemen"-Moderatorin Pinar Atalay war sichtlich genervt, wie sie auf Twitter mitteilt, nicht nur von dem Kofferchaos, auch von der Informationspolitik des Flughafens.

Airport zieht Einstellungsoffensive vor

Ein Fluggast berichtet auf der Facebook-Seite des Flughafens: „Die ärgerliche Wartezeit größtenteils im Stehen verbringen zu müssen, da Sitzplätze belegt und die Halle schon sehr mit Gästen gefüllt war, ist als Familie mit Kind wirklich unschön.“

Als Reaktion auf das Gepäckchaos zieht der Hamburger Airport die für Herbst angekündigte Einstellungsoffensive offenbar vor. „Wir stellen ein, so viel wir können“, hieß es am Montag. Große Hoffnung auf Erfolg besteht aber wohl nicht: Der Arbeitsmarkt sei in diesem Bereich leer. Die Männer müssten harte körperliche Arbeit leisten und wegen der Arbeit auf dem Flughafen-Vorfeld auch eine Sicherheitsüberprüfung bestehen. Dazu gehöre, seit zehn Jahren straffrei in Deutschland zu leben, sagt Niemeyer.

Ver.di kritisiert Flughafen und Airlines

Der Hamburger Luftfahrtexperte Cord Schellenberg sieht die Fluggesellschaften in der Verantwortung für die Probleme beim Fluggepäck. „Billigfluglinien und klassische Airlines verhalten­ sich hier gleich und verlangen bei jeder neuen Vertragsverhandlung niedrigere Preise von den Dienstleistern.“

Die Gewerkschaft Ver.di, die die Arbeiter am Boden vertritt, sieht jedoch auch den Flughafen in der Verantwortung. „Der Hamburg Airport ist als Muttergesellschaft der Firma, in der die Be- und Entlader beschäftigt sind, trauriger Spitzenreiter bei der Absenkung der Löhne im Vergleich zu anderen öffentlichen Flughäfen“, sagt die Tarifsekretärin für Luftverkehr beim Ver.di-Bundesvorstand, Katharina Wesenick und verweist beispielhaft auf den Flughafen Frankfurt/Main. Ein Großteil der Beschäftigten verdiene dort rund 20 Prozent mehr.

Kommentar: Schwere Arbeit – schlecht bezahlt

Der Grundlohn eines Be- und Entladers beträgt in Hamburg derzeit 10 Euro pro Stunde, vom 1. Januar 2018 an 10,76 Euro. Hinzu kommen Nacht- und Wochenendzuschläge. „Der Flughafen gibt den Airlines die Schuld für die niedrigen Löhne, aber niemand hat den Airport gezwungen, die derzeitigen Konditionen zu akzeptieren“, so Wesenick. Eine Lösung sei nur möglich, wenn sich alle Beteiligten an einen Tisch setzen würden. „Wenn jeder nur mit dem Finger auf den anderen zeigt, verschlechtert sich die Situation zusehends. Der Bogen ist schon heute überspannt.“

Die Auswirkungen könne man am Flughafen in Hamburg exemplarisch sehen. Die Gewerkschaft berichtet, Krankenstand und Fluktuation seien den Beschäftigten zufolge dort „überdurchschnittlich hoch“. Zudem bestätigt Ver.di auf Nachfrage, dass Beschäftigte der Flughafentochter AHS, die für die Passagierabfertigung zuständig ist, in den vergangenen Wochen über 100 Gefährdungsanzeigen gestellt hätten.

Dabei handelt es sich um einen schriftlichen Hinweis der Beschäftigten an den Arbeitgeber, dass es aufgrund der vorherrschenden Bedingungen nicht mehr möglich sei, vorschriftsgemäß zu arbeiten. Als Gründe wurden laut Ver.di Personalmangel, mangelnde Qualifizierung und gesundheitliche Gefährdungen angegeben. Auch bei der Gepäckabfertigung in Hamburg sei die Situation ähnlich, berichtet Wesenick. Der Hamburg Airport konnte sich am Abend nicht mehr zu den Vorwürfen äußern.

Gepäck des Vueling-Fluges ist weiter verschollen

Hauptleidtragende sind unter anderem die Passagiere des Vueling-Fluges. Das Gepäck blieb auch am Montag verschollen. „Auf Nachfrage am Barcelona-Airport fehlt von allen Gepäck­stücken jede Spur“, sagt Passagierin Pia Marie Schubert. „Es ist schon fast witzig, wenn man nicht selbst betroffen wäre.“ Anrufe am Flughafen Hamburg würden leider ohne jegliche Kooperation und Hilfestellung entgegengenommen, und man werde an die Airline verwiesen. „Man weiß nichts vom Verbleib der Koffer und kann uns nichts dazu sagen oder für uns recherchieren“, so Schubert. Die Airline Vueling sei nicht erreichbar.

Nichts Neues für Paul Degott, der sich als Rechtsanwalt in Hannover auf Kofferfälle spezialisiert hat. Er macht die Fluggesellschaften für verspätetes oder im schlechtesten Fall verlorenes Gepäck verantwortlich. Fluggäste, die den Flug bei Vueling gebucht hätten, könnten online bei Vueling den Verlust des Gepäcks melden. Das sogenannte Montrealer Übereinkommen regele Haftungsfragen im internationalen zivilen Luftverkehr.

Es verpflichte die Fluggesellschaften „als ausführender Luftfrachtführer“ unter anderem zum Schadenersatz für verspätetes, beschädigtes und verlorenes Gepäck. „Im Fall des Vueling-Fluges von Barcelona nach Hamburg (und zurück) müssen die Passagiere auflisten, was sich im Koffer befand. Im günstigsten Fall können sie Quittungen vorlegen“, so Degott. Maximal zahle die Fluggesellschaft pro Passagier circa 1400 Euro. Habe der Passagier den Flug über einen Reiseveranstalter gebucht, könne auch dieser in die Pflicht genommen werden.