Hamburg. Teil 1 der neuen Serie: Die Billerhuder Insel. Das Eiland ist ein Paradies für Schreber und so groß wie ein kleines Dorf.
Wenn das Wasser der Bille mindestens 20 Grad warm ist, gleitet Bettina Hoffmann vom Bootssteg ihrer Parzelle in die Fluten. Mehrmals im Sommer schwimmt sie um die ganze Insel herum, auf der sie geboren wurde. „Eine Stunde und 40 Minuten brauche ich dafür. Ohne Pause“, sagt die 50-Jährige. Ein Leben ohne die Billerhuder Insel könne sie sich nicht vorstellen. Das Eiland – es ist ihre Heimat, ihr Zuhause.
Billerhuder Insel? Zahlreiche Hamburger haben davon noch nie etwas gehört. Dass die Elbe Inseln hat, dürfte bekannt sein. Aber dass die rund 65 Kilometer lange Bille, die bei Trittau entspringt und in Hamburg in die Unterelbe mündet, in Rothenburgsort eine rund 38 Hektar große Insel umspült? Für viele ist das wirkliches Neuland.
Die Billerhuder Insel schmiegt sich in eine Bille-Kurve und entstand beim Bau des Bullenhuser Kanals 1907. Sanft umfließen Bille und Kanal, nicht weit vom Tierheim an der Süderstraße entfernt, Hamburgs grünste Insel. Fichten, Pappeln und Birken ragen keck in den Himmel, der in diesen Tagen nur selten blau ist. In den Gärten blühen Sonnenhut und Hortensien um die Wette. Der Ausschläger Billdeich ist die Zufahrtsstraße zum Kleinod, in dem Eisvögel, Nutrias, schwarze Flusskrebse und viele Nacktschnecken leben – sehr zum Ärger der Gartenfreunde, die Salat und Kohl anbauen.
Seit Jahrzehnten ist die Billerhuder Insel fest in der Hand der Schreber, Hauptpächter ist der Landesbund der Gartenfreunde in Hamburg. „Und so soll es auch bleiben“, sagt Robert Deifts, Vereinsvorsitzender der Gartenkolonie Billerhude von 1921. Die Patriotische Gesellschaft hatte sich dafür eingesetzt, dass Schrebergärtner parzellierte Flächen erhalten. Zunächst war der mit Saugbaggern angeschwemmte Flusssandboden absolut ungeeignet für den Gartenbau. Aber die neuen Nutzer verwandelten die oberen Schichten mit viel Humus in brauchbares Land. Nur einen Brunnen bohren dürfen sie nicht mehr – tief im Erdreich könnten sich Gasblasen aus Methan befinden.
Dauerbewohner auf Lebenszeit
Deifts ist Taxi-Unternehmer, ehrenamtlicher Vereinschef und so etwas wie der Sheriff jener Insel, die mit 581 Parzellen so groß ist wie ein kleines Dorf. „Ich“, sagt er, „habe hier das Hausrecht.“ Gerade fährt ein Kleintransporter deutlich schneller als mit 30 Kilometern pro Stunde über eine der asphaltierten Straßen, die hier Lindenweg, Schrebernest und Rübenweg heißen.
Deifts bringt ihn zum Stoppen, zückt seinen Vereinsausweis und bittet den Fahrer freundlich, aber bestimmt, die Verkehrsregeln einzuhalten. „Schließlich wohnen hier auch Kinder.“ Wo so viele Menschen zusammenleben und ihre Freizeit verbringen, muss ständig irgendetwas geregelt werden. Neben den Parzellen, die im Durchschnitt 500 Quadratmeter groß sind, gibt es auf der Insel 56 Dauerbewohner auf Lebenszeit. Sie haben das Recht, ihr Domizil an die eigenen Kinder weiterzugeben.
Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges und nach der Flutkatastrophe von 1962 fanden hier zahlreiche Hamburger in Behelfsheimen ein neues Zuhause. Es sind feste Häuser, knapp 80 Quadratmeter groß, in denen auch die Bille-Schwimmerin Bettina Hoffmann aufgewachsen ist. Frischen Fisch angelt man sich hier im Fluss, in dem sich Aale, Brassen, Karpfen und Barsche tummeln. 80 Grundstücke liegen direkt an der Bille.
Wer auf Hamburgs unbekanntester Insel lebt, muss häufig den eigenen Wohnort erklären. Wenn Bettina Hoffmann sagt, sie lebe auf einer Insel, kommt zuweilen die Frage: „Hat die auch Palmen?“ Auch die Schülerin Marie Ullrich, die im September in die neunte Klasse der Wichern-Schule kommt, findet ihre Adresse im Kleingartenverein „nicht wirklich schön“. Sie lautet: „Klvg. 114, Parz ...“ Auf der Klassenliste sehe das nicht so gut neben den „ganz normalen Adressen aus“, sagt sie. Ansonsten genießt die Schülerin das Leben in der freien Natur. Lärm gebe es hier kaum, und im Sommer fahre sie mit ihren Freundinnen im Kanu über die Bille.
Familien mit Kindern werden bevorzugt genommen
Kein Wunder, dass eine Parzelle auf der Kleingärtnerinsel sehr beliebt ist, zumal die Pacht inklusive Mitgliedsbeitrag im Verein rund zwischen 300 und 350 Euro pro Jahr beträgt. 80 Interessenten stehen auf der Warteliste, sagt Deifts und zeigt einen dicken Ordner. Bevorzugt würden junge Familien mit Kindern. Neulich konnte der Vereinschef Hamburgs Ersten Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) auf der Insel begrüßen. Der Politiker wollte sich ein Bild vom Kleingartenparadies verschaffen, dessen Bestand in der Vergangenheit immer wieder zur Disposition stand. Immobilienunternehmen würden dort am liebsten Wohnungen bauen – und die Schreber vertreiben.
Nach dem Besuch des Bürgermeisters gibt sich der resolute Robert Deifts optimistisch: „Ich bin froh, dass wir hier mit Olaf Scholz jemanden haben, der ein Ohr für uns kleine Leute hat.“ Der Bürgermeister habe sich für den Erhalt der Kleingärten als Grünflächen ausgesprochen – „solange er jedenfalls an der Regierung ist“, fügt der Schrebergärtner hinzu. Klingt nach einer Hochburg für den Sozialdemoktraten.
Nächste Folge: Die Fleetinsel