Hamburg. Mehr als 20.000 Teilnehmern begleiteten die bislang größte Parade zum Christopher Street Day. Auch eine Gruppe aus Russland war dabei.
Angesichts der vielen extravaganten und teils frivolen Verkleidungen ringsherum wirken Lutz und Uwe Johannsen in ihrem Alltagsoutfit geradezu bieder. Ihre einzige Reminiszenz an den Christopher Street Day (CSD): Turnschuhe, die von einem Hamburger Hersteller eigens für diesen Tag angefertigt wurden, mit Schnürbändern und Muster in Regenbogenfarben. Und eine Sonnenbrille mit buntem Gestell. „Das Schrille gehört zwar zu uns Homosexuellen, aber wir wollen zeigen, dass auch normale Bürger schwul sein können“, sagt Lutz Johannsen (57), der zu seinem ersten CSD vor mehr als 30 Jahren aus diesem Grund im Anzug kam.
Seitdem hat er jedes Jahr an der Demo für die Rechte von Schwulen, Lesben, Bi- und Transsexuellen teilgenommen. Sonnabend hat er das erste Mal einen Truck organisiert. Dieser fährt unter dem Motto „Das Bunt fürs Leben“ für die Regenbogenstiftung, deren Vorstand Lutz Johannsen ist. Die Kosten dafür hat „Hamburg wird leuchten“ übernommen – das Unternehmen, das während der CSD-Tage die Elbphilharmonie in den Farben des Regenbogens angestrahlt hat. Johannsen freut sich, durch den Truck eine größere Aufmerksamkeit für die Stiftung zu bekommen. „Bislang waren wir immer als Fußvolk unterwegs.“
Mehr als 150.000 Schaulustige feiern mit
Sein Truck fährt im hinteren Drittel der größten CSD-Parade mit, die in Hamburg je am Start war. Fröhlich, fantasievoll und bunt, begleitet von Schlagermusik und wummernden Beats zieht sie am Sonnabend mit 20.000 Teilnehmern durch die Stadt. An den Straßenrändern feiern mehr als 150.000 Schaulustige, die Regenbogenfähnchen schwenken oder durch Plakate mit Botschaften wie „Keinen Stress mit er, sie, es“ die Forderung nach mehr Toleranz unterstützen.
Besonders dicht gedrängt stehen die Menschen an der Langen Reihe. Als dort Hamburgs Zweite Bürgermeisterin und Gleichstellungssenatorin Katharina Fegebank (Grüne) mit Organisator Stefan Mielchen (Hamburg Pride) und Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) den Startschuss gibt, regnen aus den Konfetti-Kanonen bunt-metallische Schnipsel und Streifen auf die jubelnde Menge herab.
Auch Simone Peter, Bundesvorsitzende der Grünen, ist angereist. „Es gibt viel zu feiern in diesem Jahr“, sagt sie im Hinblick auf die „Ehe für alle“, die vom 1. Oktober an geschlossen werden kann. Diese sei ein wichtiges Signal. „Aber der Kampf gegen die Alltagsdiskriminierung gegenüber Homo-, Bi- und Transsexuellen ist noch lange nicht zu Ende“, fügt sie hinzu.
Endlich nicht nur Pflichten, sondern auch Rechte
Das bestätigen viele von denen, die hier sind. Etwa der Berliner Jerome Champagne, der in einem prächtigen blauen Kleid und einem noch aufsehenerregenderen Kopfschmuck, einer blauen Hanse-Kogge, durch die Menge schreitet. Die Kogge sei seine Würdigung Hamburgs, so der 52 Jahre alte Banker, der seit 15 Jahren wegen des Flairs zum CSD in die Hansestadt kommt. „Die Ehe für alle ist zwar durchgekommen, aber die Akzeptanz lässt nach“, sagt er. Seiner Meinung nach liege das an der AfD und der wachsenden muslimischen Bevölkerung, in der vielen Toleranz als Wert erst noch vermittelt werden müsse. Die Folgen für ihn und Gleichgesinnte seien spürbar: „In Berlin ist es wieder gefährlich geworden, nachts durch Schwulenviertel zu gehen.“
Uwe Johannsen, der Lebenspartner von Lutz Johannsen, kann das auch für St. Georg nicht ausschließen. „Es ist nicht unbedingt ungefährlich, hier nachts um die Ecke zu gehen“, so der 54-Jährige. Dass er selbst angegriffen wurde, sei zum Glück lange vorbei. Doch verbal attackiert zu werden gehöre für viele Schwule wieder zum Alltag. „Wir haben Freunde, die von ihren Nachbarn beschimpft werden.“
Doch jetzt wollen sie feiern. „Die Ehe für alle ist ein toller Erfolg. Damit haben wir endlich nicht nur die gleichen Pflichten wie Ehepartner, sondern auch die gleichen Rechte“, sagen die Johannsens, die seit 1992 ein Paar und seit mehr als zwölf Jahren eingetragene Lebenspartner sind. „Nun können wir endlich richtig heiraten.“
Auch Unternehmen machen bei der CSD-Parade mit
Heiraten – das will auch Meryl. „Und zwar meinen Freund Frank“, sagt der 52-jährige Bremer im Brautkleid. Er freut sich so über das neue Gesetz, dass er zum ersten Mal beim Christopher Street Day mitmacht. Maic (49) und Marc (39) aus Braunschweig nutzen die Parade, um für mehr Toleranz gegenüber Schwulen in klassischen Handwerksberufen zu werben. „Da gibt es noch viele Vorurteile“, sagen die beiden, die ihre Botschaft mit einer aufwendigen Kostümierung ausdrücken.
Auch Unternehmen machen bei der CSD-Parade mit. Angeführt wird sie von einem Truck der Haspa, Schlusslicht bildet in Wagen von Otto. Dazwischen Facebook, Vattenfall, das Möbelgeschäft Wäscherei und viele mehr. Dass sich kommerzielle Firmen bei einer politischen Demonstration einkaufen, findet Lutz Johannsen nicht verwerflich. „Von dem Geld wird viel Gutes getan – zum Beispiel wurde eine Gruppe aus Russland eingeladen.“ Dort sei man von so viel Toleranz wie in Deutschland noch Lichtjahre entfernt, sagt Anastasia (25), die lesbische Dolmetscherin. „Obwohl es eigentlich verboten ist, werden Homosexuelle bei uns als Perverse betrachtet und zwangstherapiert“, sagt sie.