Hamburg. Hamburgs Floristen müssen sich erfolgreiche Nischen jenseits der Billigangebote im Supermarkt suchen. Die Ideen sind vielfältig.

Wer Pflanzen liebt, bekommt hier etwas zu sehen. Üppige Rosen, zarter Klee im Topf und Hortensien in voller Blüte in einem Steingarten am Hamburger Straßenrand. Eine florale Entdeckungsreise mit Skabiosen in Zinkeimern, opulentem Grün, dazwischen langstielige Dahlien. „Himmel und Erde“ steht über den großen Schaufensterscheiben. Ein Brunnen plätschert. Drinnen wachsen Minibananen und Orangen in ausgesuchten Gefäßen, am Eingang empfängt – mehr Skulptur als Pflanze – eine Heliconia, auch als Paradiesvogelblume bekannt. Schnittblumen gibt es auch in diesem Laden, der ein Studio für Interior Design sein könnte. Aber sie haben auf den 230 Quadratmetern den kleinsten Raum.

„Das, was wir anbieten, geht weit über den klassischen Blumenstrauß hinaus“, sagt Mario Mahlstedt. Mit Moritz Leonhardt hatte der Floristikmeister sich vor zehn Jahren mit eigenem Laden am Hofweg selbstständig gemacht. Jetzt haben sie sich in neuen Räumen neu erfunden. „Wir sehen uns als Gestaltungs- und Dienstleistungsunternehmen“, sagt Leonhardt. Und sie sind damit außerordentlich erfolgreich. Mitte Juni sind die Inhaber mit sieben Mitarbeitern, unzähligen Pflanzen und verändertem Konzept in einen 1920er-Jahre-Bau schräg gegenüber des alten Ladens gezogen. „Wir sind immer weitergewachsen, die alten Räume waren viel zu eng geworden“, sagt Leonhardt, der eigentlich aus der Werbebranche kommt.

Künstlerisch und kundenorientiert

Edel, künstlerisch, kundenorientiert: Der Wandel im Blumenhandel ist vielerorts sichtbar. „Um gegen die Konkurrenz zu bestehen, orientieren sich viele Fachhändler um“, sagt Nicola Fink vom Fachverband Deutscher Floristen in Gelsenkirchen. Trends aus Mode und Inneneinrichtung spielten zunehmend eine Rolle, auch regionale Produktion werde von Kunden gefordert. Onlinepräsenz und Versand gehören für immer mehr Läden zum selbstverständlichen Service. Der kleine Blumenladen um die Ecke mit Rosen, Tulpen und Nelken gerät unter Druck.

Tatsächlich hat sich das Kaufverhalten in den vergangenen Jahren massiv verändert. Zwar gibt jeder Deutsche rechnerisch 107 Euro im Jahr für Zierpflanzen aus, für Schnittblumen sind es 37 Euro. Diese Zahl ist nahezu konstant. Aber: „Die Kunden kaufen einfache Sträuße verstärkt im Supermarkt und in Discountern“, sagt Britta Tröster von der Agrarmarkt Informationsgesellschaft AMI. Inzwischen, so die Branchenexpertin, deckten sie nur noch ein Viertel ihres Bedarfs an Schnittblumen im Fachhandel. Die Folge: Die Zahl der Blumenläden nimmt ab. Das gilt auch für Hamburg: Aktuell gibt es laut Handelskammer 467 Blumenläden. Nach Angaben des Statistikamts Nord sank der Umsatz der Betriebe mit Blumen, Pflanzen, Sämereien und Düngemittel in der Hansestadt von 2003 bis 2015 von 113 Millionen auf 102 Millionen Euro.

„Ein Florist-Fachgeschäft muss sich heute spezialisieren, anders hat man auf Dauer keine Chance“, sagt Corinna Schroeder, Präsidentin der Hamburger Floristen. Sie hatte vor 17 Jahren den elterlichen Laden übernommen und hat heute in ihrem Geschäft Floral-Art in Ottensen neben Blumen auch besondere Glasvasen im Angebot. Die Herausforderung sei, das passende Konzept für Zielgruppe und Stadtteil zu finden, so die Floristikmeisterin mit Blick auf das Blumenangebot im Systemhandel. „Für uns geht es darum, das Produkt zu veredeln. Nur so heben wir uns ab.“

„Eine Blume ist eine Blume“, wirbt Mario Mahlstedt, Mitinhaber von Himmel und Erde, für eine neue Wertschätzung. „Sie ist nicht gewachsen, um in einer Plastiktüte zu ersticken.“ Der Laden am Hofweg, zu dem anfangs auch ein Café gehörte, hat sich auf den Bereich Veranstaltungen und Firmen spezialisiert. „Das macht zwischen 60 bis 70 Prozent unseres Umsatzes aus“, sagt Moritz Leonhardt. Genauere Zahlen wollen die erfolgreichen Floristik-Unternehmer nicht nennen.

Experimentierfreudige Floristen in Hamburg

Im Untergeschoss des neuen Ladens ist eine etwa gleich große Fläche, auf der gebunden, gesteckt und dekoriert wird. Das Erzbistum Hamburg bestellt Sträuße für 6 Euro, sie haben auch Pflanzen für 89 oder 292 Euro. Für die Stadt Hamburg haben die Meisterfloristen auch schon den Blumenschmuck für das Matthiae-Mahl gemacht oder vier Tage lang eine Hochzeit in Kitzbühel ausgerichtet. „Die Dekoration ist oft das i-Tüpfelchen einer Feier“, sagt Mahlstedt, der seine Liebe zu Blumen schon als Kind in Großmutters Garten entdeckte.

Hamburg gilt als Stadt mit besonders experimentierfreudigen Floristen. So wirbt etwa das Familienunternehmen Blumen Graaf in Nienstedten damit, sich von einem traditionellen Blumenladen mit angeschlossener Gärtnerei zu einer Kreativwerkstatt gewandelt zu haben. Die Kundenliste ist lang, unter anderem stattet das Team um Inhaber Michael Graaf auch die Kreuzfahrtschiffe „Europa“ und „Europa 2“ mit Blumenschmuck aus. „Zum Auftrag gehörte, alle Gefäße für die Blumen mit auszuwählen“, sagt er.

Auch unter Fachhändlern ist Konkurrenz groß

Andere Anbieter wie Marc Trittmacher in den Colonnaden verstehen ihre Aufgabe darin, „die Materialien der Natur in einem neuen Licht erscheinen zu lassen“. Bei Saxifraga im Karoviertel, für besondere florale Kompositionen bekannt, nennen sie ihre Sträuße „Werkstücke“. Und bei Ronald F. Lahann Floristik auf der Uhlenhorst gehört zum Laden auch ein kleines Café mit Terrasse – und vielen Blumen.

Auch unter den Fachhändlern ist die Konkurrenz groß. Die größte Floristikkette Deutschlands, Blume 2000 mit Sitz in Norderstedt, betreibt in der Hansestadt und im Umland 36 Filialen. Mit einem neuen Ladenkonzept greift das Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mehr als 100 Millionen Euro auch die inhabergeführten Blumenläden an: Frischer und freundlicher, in Markthallen-Ambiente präsentieren sich die Geschäfte nach der Umgestaltung.

Branche hat massive Nachwuchsprobleme

Es gibt kein Plastik, größere Auswahl, und – ganz wichtig – es werden jetzt auch Sträuße gebunden. 23 Filialen sind in Hamburg bereits umgebaut, 100 sind es bundesweit. Bis Ende 2018 soll das Konzept komplett umgesetzt sein. Die Reaktionen der Kunden seien positiv, heißt es bei Blume 2000. Es würden auch Neukunden angesprochen. Wie sich das auf andere Händler auswirkt, ist noch nicht absehbar.

Ein Problem haben allerdings alle: Schon seit Jahren gibt es auch bei den Floristen massive Nachwuchsprobleme. „Der Beruf hat viel Potenzial und ist sehr kreativ“, sagt die Hamburger Verbandspräsidentin Schroeder, die ab August wieder eine Auszubildende beschäftigt. Zugleich sei es aber ein Job, bei dem man ordentlich anpacken müsse. „Und man sollte rechnen können.“ Bundesweit hatte sich die Branche bei einem Ausbildungsgipfel im Februar vorgenommen, die Zahl der Lehrlinge zu verdoppeln und die Abbrecherquote (40 Prozent) zu senken.

16 Lehrstellen noch nicht besetzt

In Hamburg waren wenige Wochen vor Beginn des Ausbildungsjahres von 23 angemeldeten Lehrstellen für Floristen 16 noch nicht besetzt. Mit Stand Ende Juni waren 39 freie Stellen bei der Arbeitsagentur gemeldet, allerdings auch 39 arbeitslose Floristen. Ein Problem könnte die Bezahlung sein. Auszubildende fangen mit einer Vergütung von 540 Euro im ersten Jahr an. Für Gesellen liegt der Verdienst zwischen 1800 und 2200 Euro für eine Vollzeitstelle. Viele Unternehmen reagieren und zahlen ihren Beschäftigten mehr als den Tariflohn.

Die Inhaber von Himmel und Erde haben sich mit ihrem Konzept inzwischen sogar bundesweit einen Namen gemacht. „Ich habe mich gezielt beworben“, sagt Stephan Triebe, der an diesem Tag hinter dem Verkaufstresen steht. Nach seiner Ausbildung in Bad Neuenahr war er an mehreren Stationen in ganz Deutschland, bevor er nach Hamburg kam. Im vergangenen Jahr wurde der 28-Jährige bei der Deutschen Meisterschaft der Floristen zum Sieger gekürt. Und was sind seine Lieblingsblumen? Der beste Blumenbinder der Nation ist da bodenständig: „Jede Jahreszeit hat ihren Reiz.“