Hamburg. Pilotprojekt in der Justizvollzugsanstalt Billwerder bietet schnelle Übersetzung bei Aufnahme, Erkrankungen und in Krisen.

Es ist eine wichtige Hilfe und Erleichterung für beide Seiten, für Vollzugsbeamte und Gefangene: In der Justizvollzugsanstalt (JVA) Billwerderund der Untersuchungshaftanstalt können Dolmetscher jetzt kurzfristig per Video zugeschaltet werden, falls kein Sprachkundiger vor Ort ist.

Video-Dolmetschen ist sinnvoll bei Verständigungsproblemen zum Beispiel im Rahmen der Aufnahme eines Gefangenen, bei medizinischen Untersuchungen oder in Krisensituationen. „Sprachlosigkeit erzeugt ein Gefühl von Ohnmacht, und Ohnmacht kann zu Resignation oder Aggression führen“, sagt Justizsenator Till Steffen (Grüne).

Gespräche auf Augenhöhe

Es gehe im Gefängnis gerade mit Blick auf ein straffreies Leben nach der Haftzeit grundsätzlich immer darum, dass die Vollzugsbeamten die Gefangenen verstehen und wissen, welche Probleme und Sorgen sie haben. „In der Vergangenheit mussten Gefangene ohne Deutschkenntnisse auch mal länger auf eine Übersetzung warten oder versuchen, sich mit Hand und Fuß verständlich zu machen“, sagt Steffen. „Mit der neuen Technik können wir innerhalb von wenigen Minuten ein Gespräch auf Augenhöhe herstellen.“

In der Regel geht es darum zu klären, ob Vorerkrankungen bestehen, ob Verwandte über die Inhaftierung informiert werden müssen oder welche Schul- und Berufsbildung vorhanden ist. Mit Hilfe eines schnell hinzugezogenen Dolmetschers können aber auch Gefahrensituationen erkannt und eventuell gelöst werden. „Insbesondere beim Suizidscreening, der Untersuchung, ob Gefangene selbstmordgefährdet sind, und in anderen Krisensituationen wird das Video-Dolmetschen ein wichtiger Begleiter werden“, sagt Steffen.

Dolmetscher für mehr als 60 Sprachen

In der JVA Billwerder stehen 13 Rechnerplätze, in der U-Haftanstalt ein Platz zur Verfügung, über die der Kontakt zum Vertragspartner der Justizbehörde, dem privaten Dienstleister SAVD mit Sitz in Wien, hergestellt wird. Nach der Ermittlung der erforderlichen Sprache wird ein Dolmetscher zugeschaltet. Der Service wird täglich von 7 bis 19 Uhr angeboten. Das Pilotprojekt ist zunächst bis zum 30. Juni 2018 befristet. SAVD hat rund 750 Dolmetscher unter Vertrag und bietet Übersetzungen in mehr als 60 Sprachen an, darunter alle europäischen Sprachen sowie Arabisch, Farsi und Hindi.

Die ersten Erfahrungen sind nach Angaben von Behördensprecherin Marion Klabunde gut. „Das Angebot wird von den Bediensteten und den Gefangenen positiv aufgenommen und genutzt.“ Die Akzeptanz sei eine wichtige Voraussetzung für den Einsatz der Videotechnik, die vor allem von Vollzugsabteilungsleitern, Ärzten und Krankenpflegern genutzt werde. Entsprechend den unterschiedlichen Herkunftssprachen der Gefangenen sind die abgerufenen Sprachen zahlreich. Nach ersten Beobachtungen ohne statistische Aussagekraft werden Dolmetscher für Albanisch, Rumänisch und Arabisch leicht überdurchschnittlich gebucht.

Und so funktioniert das Video-Dolmetschen: Über eine gesicherte Software werden Bilder und Ton an einen Dolmetscher via Internetverbindung übermittelt. Die Justizmitarbeiter wählen sich über einen Rechner ein, und SAVD garantiert, dass innerhalb weniger Minuten der passende Dolmetscher zugeschaltet wird.

Die Videosequenzen werden nicht aufgezeichnet oder gespeichert. Die einmaligen Kosten für die Hardware und Schulungen belaufen sich auf 4100 Euro. Die Bereitstellung des Services kostet jährlich 6300 Euro. Den Hauptanteil der Kosten verursachen die eigentlichen Videositzungen: Für jeden Anruf werden für die ersten 15 Minuten 35,70 Euro berechnet, für jede weitere Minute 1,19 Euro.

Die Opposition fordert eine gerechtere Bezahlung

Zustimmung zu dem Projekt kommt von der Opposition. „Der Einsatz von Video-Dolmetschern ist zu begrüßen“, sagt Richard Seelmaecker, justizpolitischer Sprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion. Gerade in Zeiten, in denen der Anteil nichtdeutscher Gefangener weiter steige, sei es sinnvoll, mit Hilfe moderner Technik Sprachbarrieren schnell und effizient zu überbrücken. „Die Bediensteten in Hamburgs Justizvollzugsanstalten sind seit Monaten an ihrer Belastungsgrenze. Jede Erleichterung technischer Art ist ein Schritt in die richtige Richtung“, so Seelmaecker.

Der CDU-Abgeordnete fordert außerdem eine gerechtere Bezahlung für diejenigen Dolmetscher, die in anderen Bereichen der Verwaltung eingesetzt werden. Nach Angaben von Seelmaecker erhält ein vereidigter Dolmetscher, der von der Polizei beauftragt wird, nur 50 Euro pro Stunde, ein nicht vereidigter Kollege sogar nur 36 Euro. Wird ein Dolmetscher dagegen bei Gericht eingesetzt, verdient er 65 Euro. „Es ist völlig unverständlich, weshalb derjenige, der im Verhör bei der Polizei statt vor Gericht dolmetscht, bis zu knapp 45 Prozent weniger bekommt. Leider misst der Senat hier mit zweierlei Maß“, sagt Seelmaecker.

Sowohl im Rahmen von Ermittlungsverfahren als auch bei Gerichtsprozessen leisteten die Dolmetscher einen wesentlichen Beitrag für den Rechtsstaat. „Die Unzufriedenheit unter Dolmetschern und Übersetzern wächst jedoch zu Recht“, so der CDU-Politiker. Die Polizei gab 2015 rund 2,1 Millionen Euro für Dolmetscherleistungen aus, Gerichte und Staatsanwaltschaften gut vier Millionen Euro.