Hamburg. Die Verantwortlichen für die Sicherheit stellen sich im Rathaus – CDU, FDP und Linke boykottieren Fragerunde.

Der zweiwöchige Polizeieinsatz rund um den G20-Gipfel hat deutlich mehr verletzte Beamte gefordert als bislang bekannt. Insgesamt hätten 709 Polizisten gesundheitliche Schäden davongetragen, sagte Einsatzleiter Hartmut Dudde am Mittwochabend in einer Sondersitzung des Innenausschusses der Bürgerschaft.
592 von ihnen seien durch „vorsätzliche Fremdeinwirkung“ verletzt worden, 117 hätten wegen Erschöpfung behandelt werden müssen.

Bislang war von 476 verletzten und erkrankten Beamten die Rede gewesen. Die schwersten Verletzungen seien Handgelenksbrüche gewesen, so Dudde. Es sei aber nur „dem Zufall geschuldet, dass es keine Schwerverletzten gab“. Auch die Zahl der eingesetzten Polizisten wurde im Ausschuss noch einmal nach oben korrigiert – von 21.000 auf 23.000.

Kommentar: Bärendienst für die G20-Aufklärung

Ein Großteil der Verletzungen ging auf die dramatischen Ereignisse am Freitag, 7. Juli, dem ersten Gipfeltag, zurück. An jenem Abend hatten militante Gewalttäter stundenlang im Schanzenviertel randaliert, geplündert und große Feuer auf den Straßen entzündet. Die Sondersitzung war anberaumt worden, um die Umstände des Polizeieinsatzes und mögliche Fehler und Fehleinschätzungen aufzuklären. Normen Großmann, Leiter der Bundespolizei-Inspektion Hamburg, schilderte die Lage für die rund um das Schanzenviertel eingesetzten Beamten als noch bedrohlicher, als sie ohnehin bekannt war.

Bewaffnete Militante hätten sich keineswegs nur auf dem Eckgebäude am Schulterblatt/Neuer Pferdemarkt aufgehalten, sondern auf fast allen Dächern rund um das Schulterblatt. Auch ein Vorgehen von Norden über die Altonaer Straße sei nicht möglich gewesen, weil die Polizisten von der Bahnbrücke und aus Häusern heraus angegriffen worden seien.

Die Personen auf den Dächern hätten Steine, Zwillen mit Stahlgeschossen, Molotowcocktails und „wie Speere angespitzte Stangen“ auf den Dächern deponiert. Verdeckte Ermittler hätten ihm von „1500 zu allem Bereiten“ berichtet, die das Viertel besetzt hätten. Sie würden „Verletzungen bis zum Tod“ in Kauf nehmen. Daher hätten seine Einheiten vor Ort nicht in das Viertel eindringen können, und die Einsatzleitung habe schwer bewaffnete Sondereinsatzkräfte (SEK) angefordert, so Großmann. Diese hatten die Dächer schließlich geräumt.

Sogar Spezialkräfte angegriffen

SEK-Einsatzleiter Michael Zorn berichtete, dass sogar seine Spezialkräfte angegriffen worden seien, das habe er so noch nicht erlebt. Sie hätten zum eigenen Schutz Dachkanten mit Gummigeschossen beschossen und die Militanten nur mit vorgehaltener Waffe überwältigen können. „Wir sind nur um Haaresbreite an einer sehr schweren Eskalation der Lage vorbei-
geschlittert“, so Zorn.

Innensenator Andy Grote (SPD) hatte zu Beginn selbstkritische Worte gefunden. „Niemand würde für sich in Anspruch nehmen, immer fehlerlos gehandelt zu haben.“ Natürlich würden auch alle Vorwürfe gegen Polizisten untersucht: „Das ist gut so.“ Dennoch verwahrte sich Grote gegen den Begriff „Polizeigewalt“. Der unterstelle ein rechtswidriges Verhalten und solle die Polizei delegitimieren. „Polizeigewalt ist ein diffamierender Begriff, den wir zurückweisen.“

Die Sondersitzung stand zu Beginn am Rande eines Eklats. CDU, FDP und Linkspartei beschwerten sich mehrfach darüber, dass Senat und Polizei lang­atmige Erklärungen verlasen, die zunächst wenig neue Erkenntnisse boten. Dennis Gladiator (CDU) beantragte schließlich eine Unterbrechung der Sitzung und teilte dann mit, seine Fraktion werde sich an der Befragung nicht mehr beteiligen.

Grote: Verhalten der Opposition „respektlos“

FDP und Linke schlossen sich an, die AfD nicht. Gladiator drohte, einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu beantragen, falls SPD und Grüne nicht mehr Aufklärungsbereitschaft zeigen sollten. Senator Grote nannte das Verhalten der Opposition „respektlos“: Wer den größten Polizeieinsatz in der Geschichte Hamburgs aufklären wolle, müsse auch mal eine Stunde zuhören können.