Hamburg. CDU, FDP und Linkspartei verweigern Beteiligung in Sondersitzung des Innenausschusses. Ihr Vorwurf: Rot-Grün spiele auf Zeit.

Die Kulisse war der Bedeutung der Ereignisse angemessen. Im Großen Festsaal des Hamburger Rathauses beschäftigte sich am Mittwoch der Innenausschuss der Bürgerschaft in einer Sondersitzung erstmals mit den schweren Ausschreitungen rund um den G20-Gipfel. Obwohl die Bürgerschaft die Sitzung sogar live im Internet übertrug, waren rund 200 Zuhörer gekommen – das sind ungewöhnlich viel für eine Ausschusssitzung.

Doch bevor sich Innensenator Andy Grote (SPD), Polizeipräsident Ralf Martin Meyer und Gesamteinsatzleiter Hartmut Dudde den Fragen der Abgeordneten stellen konnten, stand die Sitzung am Rande eines Eklats – weil sich die rot-grüne Mehrheit und die Opposition nicht auf einen Ablauf verständigen konnten.

Antrag auf chronologische Aufarbeitung wurde abgelehnt

Ein anfangs von CDU-Innenpolitiker Dennis Gladiator gestellter Antrag, die Ereignisse zwischen dem 6. und 9. Juli chronologisch aufzuarbeiten und Zwischenfragen der Abgeordneten zuzulassen, wurde von SPD und Grünen abgelehnt. Regierungsfraktionen und Senat wollten lieber mit der Darstellung der Ereignisse durch die Polizei beginnen und erst danach zur Debatte kommen. Bis das so beschlossen wurde, war fast eine halbe Stunde vergangen.

Doch nachdem die Polizeiführung mehr als eine Stunde lang ihre Sichtweisen vorgelesen hatte, fühlte sich die Opposition bestätigt. Gladiator beantragte eine Unterbrechung und teilte mit: „Der Senat spielt auf Zeit, die wir nicht haben.“ Seine Fraktion werde sich nicht an der Befragung beteiligen. Gladiator behielt sich vor, einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) zu fordern. „Ich höre den PUA schon an die Tür klopfen“, sagte er.

CDU, FDP und Linke kritisieren „Aufklärungswillen“ des Senats

FDP und Linke schlossen sich dieser Haltung an. „Der Aufklärungswille des rot-grünen Senats ließ zu wünschen übrig und war eine einzige Enttäuschung“, sagte FDP-Innenexperte Carl Jarchow. „Die Vorlesung von vorbereiteten Erklärungen mit hinlänglich bekannten Inhalten trägt kein bisschen zur Aufklärung bei.“ Als einzige Oppositionspartei trug die AfD diesen Kurs nicht mit. Innenexperte Dirk Nockemann nannte das Verhalten von CDU, FDP und Linkspartei „grotesk“.

Doch nachdem sich der Rauch gelegt hatte, wurde noch inhaltlich diskutiert. Innensenator Grote betonte erneut, dass die Polizei gut auf den Einsatz vorbereitet gewesen sei. „Wir wussten, dass es kein G8-Gipfel ist. Auf eine hohe Militanz waren wir eingestellt.“ Dennoch habe man nach den schweren Ausschreitungen vor allem im Schanzenviertel und in Altona feststellen müssen, „dass wir an unsere Grenzen gekommen sind“. Den zuletzt vielfach diskutierten Begriff der „Polizeigewalt“ wies er deutlich zurück.

Vermummte verwandelten sich plötzlich in Liebespaare

Auch Polizeipräsident Meyer verteidigte den Einsatz an den Gipfeltagen. Es habe keine „Blaupause“ für das Polizeikonzept gegeben. Eine 100-prozentige Sicherheit habe es trotz monatelanger Vorbereitung nicht geben können, „wenn Schadensorte nicht vorhersehbar sind und Täter in Kleingruppen vorgehen“. Widersprüche zu einem Abschlussbericht des Bundesinnen­ministeriums (BMI), wonach Prognosen zum Verlauf der Proteste und Krawalle in Hamburg sich als zutreffend erwiesen hätten, sahen sie nicht.

Kriminaldirektor Jan Hieber schilderte die Vorfälle, die für die Polizei nicht zu prognostizieren gewesen seien. Demnach habe die Gewaltbereitschaft eine „neue Dimension“ erreicht. Auch die Wahllosigkeit der Anschlagsziele habe überrascht. „Sie waren weder in der Nähe von Reizobjekten noch von Blockadepunkten“, sagte Hieber. Außerdem hätten Kleidungswechsel der Gewalttäter „innerhalb von Sekunden“, in denen sich Mitglieder des sogenannten Schwarzen Blocks in ein „unbeteiligtes Liebespaar“ verwandelt hätten, die Einsatzführung der Polizei geschwächt.

Laut Hartmut Dudde gab es insgesamt 709 verletzte Polizisten

Gesamteinsatzleiter Hartmut Dudde nannte neue Zahlen zu verletzten Polizeibeamten. Demnach habe es insgesamt 709 Verletzte gegeben, 592 von ihnen seien vorsätzlich durch Fremdeinwirkung verwundet worden. Schwerverletzte habe es nicht gegeben. „Die schwersten Verletzungen waren Brüche an Handgelenken“, sagte Dudde. Inzwischen seien alle verletzten Beamten aus den Krankenhäusern entlassen worden.

Eine kontroverse Debatte kam infolge der Verweigerung von CDU, FDP und Linke nicht zustande. Bemerkenswert: Grünen-Fraktionschef Anjes Tjarks zollte SEK-Einsatzleiter Michael Zorn Respekt für den schwierigen Einsatz am Schulterblatt – dafür gab es zaghaften Applaus im Ausschuss. Auf Tjarks Frage, warum die Polizei davon überrascht war, dass sich die Militanten am Schulterblatt sammelten, sagte Dudde: „Das hätte uns keiner vorhersagen können.“ Dass die Demonstranten ausgerechnet ein Wohnviertel der linken Szene mit Nahversorgungsläden verwüsten würden, habe niemand erwartet.

Polizei schilderte erstmals Kontrollverlust am Freitagmorgen

In der Sondersitzung im Rathaus erklärte die Polizei gestern erstmals detailliert, wie die Situation am Freitagmorgen des G20-Gipfels in Altona außer Kontrolle geraten war. Demnach hatten die Beamten das Protestcamp im Volkspark mit rund 1500 Bewohnern sehr wohl im Blick und mit Störungen gerechnet. Gegen 5.15 Uhr hätten 500 Personen das Camp verlassen und sich in mehrere Gruppen aufgegliedert.

Bis um 8 Uhr morgens habe es bereits mehr als ein Dutzend militante Aktionen in Stadtteilen wie St. Pauli, Eimsbüttel und Stellingen gegeben, die „alle verfügbaren Kräfte“ der Polizei gebunden hätten, sagte ein Beamter im Ausschuss.

Als um 7.39 Uhr die Meldung einging, dass nun auch noch 200 Vermummte auf der Elbchaussee randalierten und Autos in Brand steckten, habe man schlicht keine Kräfte zur Verfügung gehabt. „Über einen Zeitraum von 20 Minuten war es nicht möglich, Kräfte abzuziehen, weil sie alle irgendwo gebunden waren“, sagte der Beamte. Als Polizisten nachalarmiert und nach Altona entsandt worden waren, „konnten sie nichts mehr ausrichten“. Die Beamten der Wache Altona hätten sich selbst in Sicherheit bringen müssen.

Sonderausschuss tagt erstmals am 31. August

Die Aufklärung der Ereignisse wird nun in einem Sonderausschuss der Bürgerschaft fortgesetzt. Er tagt erstmals am 31. August, wird Akten anfordern und alle Beteiligten, inklusive Bürgermeister Olaf Scholz (SPD), vernehmen. CDU-Politiker Gladiator sagte, wenn in dieser Sitzung der Aufklärungswille bei Rot-Grün nicht erkennbar sei, werde die CDU einen Untersuchungsausschuss beantragen.