Lassen sich viel Grün und bezahlbares Wohnen, Ruhe und eine gute Verkehrsanbindung miteinander vereinbaren?

Die Hamburger, so zeigt eine aktuelle Umfrage der BAT Stiftung für Zukunftsfragen, sind anspruchsvoll: Sie möchten bezahlbare Wohnungen mit guter Verkehrsanbindung, gepflegten Grünanlagen und intakter Nachbarschaft. Und das alles zugleich. „Die Stadt soll sozial, modern, grün, gemeinschaftlich sein“, sagt der Studienleiter, Professor Ulrich Reinhardt. Verlangen die Bürger eine Quadratur des Kreises?

Die Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD) hält die Ziele prinzipiell für vereinbar und sieht die Hansestadt auf einem guten Weg. Das sagte sie auf dem ersten Zukunftsforum, das die BAT Stiftung mit dem Hamburger Abendblatt veranstaltete. „Ich habe mich in dieser Studie absolut wieder­gefunden“, so die Senatorin. „Immer mehr Menschen zieht es in die Stadt. Hamburg steht da auf der Gewinner­seite. Damit wird die Frage nach bezahlbarem Wohnen existenziell. Das wird nur mit mehr Dichte gehen.“

Vor allem junge Menschen gewinnen

Der Architekt André Poitiers verweist darauf, dass eine Stadt vor allem junge Menschen gewinnen müsse. Dies werde nur mit mehr Freiräumen in der Stadt funktionieren. „In den Metropolen tobt ein Kampf um das Grün – die Zahl der Einwohner wächst, die Fläche aber nicht“, sagt Poitiers. Umso wichtiger sei es, bei der Entwicklung von Quartieren Freiflächen als Lebensraum für die Bürger mitzudenken. „Parks und Frei­flächen übernehmen die Funktion von Gärten und Terrassen“, so Poitiers. „Früher waren Parks Angeberei von reichen Leuten, heute sind sie für die Lebensqualität aller Bürger da.“

Eindringlich wirbt er dafür, die Menschen an der Ausgestaltung zu beteiligen: „Die Bürger wissen selbst am besten, wie sie leben wollen.“ Grünen- Fraktionschef Anjes Tjarks betont: „Freiräume sind auch eine soziale Frage: Wer keinen Garten hat, braucht einen Park.“ Hamburg benötige Plätze, die mehr als Parkplätze sind.

Kritik an Hamburgs Plätzen

Auch Martin Brinkmann, Chef der Stadterneuerungs- und Stadtentwicklungsgesellschaft Hamburg (Steg), äußert Kritik an Hamburgs Plätzen. „Früher fand öffentliches Leben auf Marktplätzen statt. Heute fehlt der Mut, Kommunikationsorte zu schaffen, wo städtisches Leben stattfindet. Gerade junge Leute suchen sich ihre Nachbarschaften, sie sind Heimat.“ In Hamburg ballten sich diese Nachbarschaften in Szenestadtteilen.

Einig sind sich die Experten, dass moderne Stadtentwicklung Mitbestimmung und Mitgestaltung erfordert – das habe nicht zuletzt die Entwicklung des Gängeviertels, aber auch der Essohäuser zum Paloma-Viertel gezeigt, sagt Prof. Gesa Ziemer von der Hafencity-Universität. Sie plädiert für ein neues Denken in der gesamten Branche: „Living on demand“ sei der kommende Trend – dann werde beispielsweise nur noch ein Esszimmer und eine Küche irgendwo in Europa gemietet oder ein Büro für wenige Tage.

Umdeutung des Wohnens

„Viele teilen sich zum Beispiel Wohnungen in Berlin, weil man dort eben oft zu tun hat“, sagt Ziemer. Die Umdeutung des Wohnens rühre an einem Kern der Gesellschaft: Wohnung heißt heute Bewegung. Immobilien werden mobil. „Flexible Grundrisse beispielsweise, die verschiedene Lebensphasen abbilden, werden immer wichtiger“, so Ziemer.

André Trepoll sieht vor allem zwei Trends, welche die Politik in den Blick nehmen müsse. „Hamburg hat in den 60er-Jahren mehr Einwohner gehabt als heute, war aber viel weniger verdichtet“, so der CDU-Fraktionschef. Nach Zahlen des Statistischen Landesamts verfügen 60 Prozent der knapp 940.000 Wohnungen über drei oder vier Räume. „Früher lebte eine Familie in einer Dreizimmerwohnung, heute wohnt dort oft ein Single.“ Kontinuierlich sei die Wohnfläche auf einen Spitzenwert gestiegen, pro Hamburger sind es 38 Quadratmeter. „Darauf muss die Stadt sich stärker einstellen“, fordert Trepoll. Hamburg müsse dringend mehr für die Eigentumsquote tun – eine Immobilie schütze vor Altersarmut. Da sei die Politik gefordert.

Tjarks fordert „durchlüftete Systeme“

Jörg Munzinger, Architekt bei ECE Projektmanagement, kritisiert in diesem Zusammenhang, dass die Stadt den Eigentumserwerb mit Auflagen künstlich erschwere. „40 Prozent können sich die Miete oder den Kaufpreis nicht mehr leisten“, sagt Munzinger. Der Drittelmix, wonach jede dritte Wohnung eine Sozialwohnung sein müsse, treibe die Preise. „Diese Quersubventionierung macht Eigentumswohnungen etwa in der HafenCity für die Mittelschicht unerschwinglich.“

Umstritten ist, wie eine Stadt sozial zusammengehalten werden kann. Anjes Tjarks, Fraktionschef der Grünen, fordert „durchlüftete Systeme“, also Stadtteile mit einer gemischten Sozialstruktur. „Entscheidend ist, mit wem man wohnt. Vernünftige Schulen etwa bedürfen einer gemischten Struktur. Das erhöht die Toleranz.“ Der Stadtentwickler Julian Petrin warnt in diesem Zusammenhang davor, dass der Trend zur Mitgestaltung auch Gruppen ausschließen könne. „Der Trend zum Selbermachen erreicht vor allem die Gutgebildeten, aber nicht alle Bevölkerungsgruppen“, so Petrin. „Was gut gemeint ist, droht die Stadt am Ende homogener zu machen.“ Während einige Stadtteile aktiv mitgestaltet würden, hätten andere Viertel nichts davon.

Moden und Zeitgeist

Auch ein komplexes System wie eine Großstadt ist Moden und dem Zeitgeist unterworfen. So wuchs die Hansestadt bis Mitte der 1960er-Jahre auf mehr als 1,85 Millionen Einwohner, danach begann die Flucht ins Umland. 1987 rutschte die Bevölkerungszahl unter 1,6 Millionen. Erst mit der Wiedervereinigung 1990 drehte der Trend; Vor allem seit der Jahrtausendwende wächst die Stadt rasant. Munzinger warnt, die derzeitige Entwicklung einfach fortzuschreiben. Die Rückkehr in die Stadt müsse nicht zwangsläufig anhalten. „Die Wünsche vieler Menschen lassen sich auch im Vorort oder im Umland verwirklichen.“

BUND-Geschäftsführer Manfred Braasch unterstreicht die besondere Rolle der Mobilität für die Stadtplanung. „Was bedeutet der motorisierte Individualverkehr für das Klima, die Luft, den öffentlichen Raum?“ Bei der Entwicklung neuer Wohnviertel müsse die Mobilität auch ohne eigenes Auto garantiert sein. „Man kann viel für die Qualität eines Viertels tun, wenn man den Individualverkehr weitgehend rausnimmt: Wir gewinnen mehr Plätze, mehr Freiräume.“ Man müsse Wohnen und Arbeiten näher zusammenbringen. „Die Idee der Nachbarschaft, der kurzen Wege, der Durchmischung sind die Herausforderung der Zukunft“, sagt auch Reinhardt. „Hier ist die Frage nach der Infrastruktur entscheidend.“

Senat verspricht, aus alten Fehlern zu lernen

Wie es nicht funktioniert, hat Hamburg in der Vergangenheit bewiesen. Die Großsiedlungen Osdorfer Born oder Steilshoop etwa wurden anders als versprochen bis heute nicht an das U-Bahn-Netz angeschlossen. Nun ist diese Anbindung für die späten 20er-Jahre geplant, sie käme mit mehr als 50 Jahren Verspätung. Stadtentwicklung ist manchmal eine Geduldsprobe.

Der Senat verspricht, aus alten Fehlern zu lernen. Bezogen auf den neuen, verkehrsreduzierten Stadtteil Oberbillwerder, in dem 7000 bis 8000 Wohnungen entstehen sollen, sagt Senatorin Stapelfeldt: „Wir müssen heute vorempfinden, welche Mobilität oder Energieeffizienz in 30 Jahren zum Allgemeingut zählen wird.“ Ziel ist, mit Oberbillwerder einen neuen Stadtteil zu entwickeln, in dem Sport, Bewegung und Gesundheit im Vordergrund stehen.

Fokus auf öffentlichem Personennahverkehr

Der Fokus liegt auf Fußgängern, Radfahrern und dem öffentlichen Personennahverkehr; ein Bildungs- und Begegnungszentrum soll das Quartier prägen. Regenerative Energien sollen den Stadtteil CO2-neu­tral machen. „Das enorme Wohnungsbaupotenzial in Oberbillwerder bedeutet eine Chance, mit hochwertigen, bezahlbaren und durchmischten Wohn-formen die Grundzüge für einen lebendigen Stadtteil im Grünen zu bestimmen“, so Stapelfeldt. Da ist sie wieder, die Quadratur des Kreises.

Die Stadt steht unter dem Druck, die eigenen Versprechen der Wohnungsbauoffensive zu halten. Beim Regierungswechsel 2011 fehlten 40.000 Wohnungen. Versprach die SPD zunächst 6000 neue Wohnungen pro Jahr, liegt die Zielmarke inzwischen sogar bei 10.000. „Wir hören nie mehr auf, Wohnungen zu bauen“, sagte Bürgermeister Olaf Scholz unlängst. Der Weg dorthin lautet: „Mehr Stadt in der Stadt“ und „Mehr Stadt an neuen Orten“.

Kosten im Wohnungsbau steigen

Dieser Weg ist umstritten. „Ich halte 10.000 Wohnungen im Jahr für höchst problematisch – das sind 150.000 in 15 Jahren“, warnt Braasch. „Diese Taktzahl lässt sich nicht mit Partizipation oder den Erhalt wichtiger Freiflächen und Parks verbinden.“ Zahlen des Statistikamts zeigen: Zwischen 2001 und 2015 wurden etwa 2000 Hektar Grünfläche versiegelt, eine Fläche zwölfmal so groß wie die Außenalster. Auch Tjarks warnt vor einem Flächenfraß. Stapelfeldt hält dagegen: „Wenn wir wissen, dass bis 2030 rund 100.000 Menschen nach Hamburg ziehen, müssen wir Wohnungen bauen. Das ist unsere soziale Verantwortung“.

Thomas Krebs, Vorstandssprecher der Saga, beklagt Zielkonflikte. „Man verlangt von uns sozial verträgliche Mieten, höchste ökologische Standards, attraktive Architektur und beste Infrastruktur – und dann soll auch noch ein wirtschaftliches Ergebnis am Ende möglich sein“, so Krebs. Studien belegen, dass sich die Kosten im Wohnungsbau seit der Jahrtausendwende um mehr als 40 Prozent verteuert haben, schuld daran sind immer neue Auflagen, höhere Baulandpreise, steigende Ansprüche.

Krebs verspricht, dass die Saga auch antizyklisch weiterbauen werde. Dies bedeute aber nicht zwangsläufig, dass es jedes Jahr 10.000 neue Wohnungen sein müssten. „Die Zahl gilt, bis der Markt sich dreht.“

Erst wird gebaut, dann über Infrastruktur nachgedacht

Brinkmann fürchtet, dass sich die Stadt derzeit mit der schnellen Entwicklung verhebe. „Wer Oberbillwerder aus einem Guss in nur sechs Jahren entwickeln will, wiederholt alte Fehler. Stadtentwicklung braucht Zeit.“ Fehle die Zeit, ginge einiges daneben. In der Neuen Mitte Altona etwa mangele es an Sportplätzen und Flächen für notwendige Schul- und Infrastrukturneubauten, im Othmarschen Park würde man erst jetzt nach Fertigstellung zentrale Fragen wie Nahversorgung, Nahverkehr oder Bildungseinrichtungen diskutieren. „Es funktioniert eben nicht, wenn man die Infrastruktur hinten anstellt.“ Neugraben hingegen hält er für ein gelungenes Gegenbeispiel.

Doch auch hier lauert ein Zielkonflikt: Zu den derzeit dort lebenden 25.000 Menschen sollen nun 12.000 neue Bewohner hinzukommen. „Die Neugrabener bekommen dort schon jetzt kaum einen Facharzttermin, die Schulen sind voll und einen Kita-Platz muss man schon vor der Geburt beantragen“, sagt Trepoll. „Darauf erwarten die Menschen konkrete Antworten von der Politik.“

„Smart Housing ist der nächste große Trend“

Tjarks verweist noch auf einen weiteren Punkt – die Langfristigkeit politischer Weichenstellungen. Bezogen auf mehrfach verworfene Stadtbahnplanungen, kritisiert der Grünen-Politiker, dass in den vergangenen 20 Jahren jede Regierung ihre eigene Planung verfolgt habe, die dann die Folgeregierung verworfen habe. „Wir müssen gemeinsam verabreden, dass große Pläne auch länger als fünf Jahre halten.“ Trepoll verspricht: „Das kann ein erstes Angebot nach unserer Regierungsübernahme sein, nach dem Schulfrieden auch einen Verkehrsfrieden zu erreichen.“

Viele Herausforderungen für die Stadtentwicklung, während längst neue Entwicklungen das Wohnen umwälzen. „Smart Housing ist der nächste große Trend“, sagt die Wissenschaftlerin Ziemer. „Das Wohnen wird sich radikal verändern: Das Bett spürt, wann wir aufstehen, der Kühlschrank bestellt das Frühstück – und selbst im Urlaub bleiben wir mit unserer Wohnung vernetzt. Diese Smart-Häuser benötigen viel weniger Platz, weil Betten eingefahren und Tische ausgeklappt werden.“

Vielleicht könnte so die Quadratur des Kreises am Ende doch funktionieren und alle Wünsche der Stadt von morgen zusammenbringen.

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