Hamburg. Was Michael Otto, der wohl einflussreichste Unternehmer der Stadt, über den G20-Gipfel, den Klimawandel, Terror und Armut denkt.

Der Umweltschutz liegt Michael Otto schon lange am Herzen. Bereits vor Jahrzehnten hat der Eigentümer und Aufsichtsratsvorsitzende des Hamburger Otto-Konzerns (50.000 Mitarbeiter, 12,5 Milliarden Euro Umsatz) damit begonnen, dem Familienunternehmen ökologische Standards zu verordnen. Umso mehr schmerzt es den 74-Jährigen, dass die USA nun das Pariser Klimaschutzabkommen aufgekündigt haben. Aber auch die soziale Ungleichheit in der Welt treibt Otto um. Pünktlich zum G20-Gipfel in Hamburg äußert sich der weit über Deutschland hinaus bekannte Unternehmer und Stifter zu den wichtigen Themen abseits seines eigenen Konzerns.

Hamburger Abendblatt: In knapp zwei Wochen kommen die Staats- und Regierungschefs der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer in Hamburg beim G20-Gipfel zusammen. Sind solche Treffen, die jedes Mal mehr als 100 Millionen Euro verschlingen und Teile einer Stadt über Tage lahmlegen, überhaupt notwendig?

Michael Otto: Ich halte es für außerordentlich wichtig, dass sich die wichtigsten Staats- und Regierungschefs regelmäßig treffen und persönlich kennenlernen. Wenn man nicht miteinander redet, ist das äußerst kritisch. Nur über den persönlichen Kontakt kann man ein Vertrauensverhältnis aufbauen und Probleme lösen – das geht nicht mit ­E-Mails oder über Mittelsmänner. So wird Herr Putin Herrn Trump in Hamburg das erste Mal treffen.

Ist Hamburg als Standort für den G20-Gipfel richtig gewählt, oder wäre es nicht sinnvoller, so ein Treffen außerhalb einer Großstadt durchzuführen?

Otto: Auf dem flachen Land hat man gar nicht die Hotelkapazitäten, die man für so ein Treffen benötigt. Also müssten die Teilnehmer alternativ in einer Großstadt nächtigen und auf dem flachen Land tagen – aber allein die langen Anfahrten zum Tagungsort wären dann, so sagen es die Experten, unter Sicherheitsaspekten viel problematischer, weil hinter jedem Baum eine Gefahr lauern könnte.

Welche Ergebnisse erwarten Sie sich vom G20-Treffen?

Otto: Ich wünsche mir, dass es ein klares Bekenntnis zum Pariser Klimaschutzabkommen gibt und zur Agenda 2030 der Vereinten Nationen, in der klare Ziele für ein nachhaltiges Wirtschaften formuliert wurden. Es sollte vor allem nicht nur geredet werden, sondern die Teilnehmer sollten Maßnahmen beschließen und Vereinbarungen treffen. Und jedes einzelne Land sollte für sich eine klare Strategie für den Klimaschutz festlegen. Denn was bisher angekündigt wurde, reicht nicht aus, um die Erwärmung der Erde um maximal 1,5 oder auch nur zwei Grad gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen.

Wie stark ist die Zukunft unserer Erde mit Blick auf die hohen Treibhausgas-Emissionen gefährdet?

Otto: Die Situation ist außerordentlich dramatisch. Der Klimawandel ist das größte Problem, das wir weltweit haben. Schon heute bilden sich immer mehr Wüsten, die den Menschen die Anbauflächen für Nahrungsmittel rauben. Dies wiederum führt zu weiteren Flüchtlingsströmen, weil die Menschen sich in ihrer Heimat nicht mehr selbst ernähren können. Zudem versauern durch das CO2 die Meere, die für viele Hundert Millionen Menschen Nahrungsgrundlage sind.

F20 – Stiftungen für den Klimaschutz

US-Präsident Donald Trump hat das Pariser Klimaabkommen jüngst gekündigt – wie beurteilen Sie diesen Schritt?

Otto: Das ist ein absolut falsches Signal. Ich befürchte, dass Herr Trump den Ernst der Lage gar nicht richtig beurteilen kann und in dieser Frage falsche Berater hat. Herr Trump spielt mit der Zukunft unserer Erde. Auch die amerikanischen Stiftungen, die sich in unserer Stiftungsinitiative F20 engagieren, halten den Ausstieg aus dem Klimaschutzabkommen für eine falsche Entscheidung. Erfreulich ist aber, dass mehrere amerikanische Bundesstaaten und Städte erklärt haben, dass sie ihre Aktivitäten für den Klimaschutz fortsetzen oder sogar forcieren werden.

Sie sind auch international ein Unternehmer von großer Bedeutung. Wäre es nicht sinnvoll, dass Sie am Rande des G20-Gipfels einmal persönlich mit Herrn Trump über den Klimaschutz sprechen?

Otto: Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich einen Termin bekäme. Zudem ist fraglich, ob Herr Trump in dieser Frage nun gerade auf mich hören würde. Selbst seine Tochter, die gegen den Ausstieg aus dem Pariser Klimaschutzabkommen war, konnte ihn ja offensichtlich nicht überzeugen.

Auch Hamburg glänzt nicht gerade als Vorreiter im Klimaschutz. Als eine der wenigen deutschen Großstädte gibt es hier keine grüne Plakette für Autos – und in Moorburg wurde erst vor wenigen Jahren ein riesiges Steinkohlekraftwerk in Betrieb genommen. Wie zufrieden sind Sie mit der Klimaschutzpolitik Ihrer Heimatstadt?

Otto: Ich gehe mal davon aus, dass es sich bei Moorburg um eines der letzten neu gebauten Kohlekraftwerke in Deutschland handelt – und wenigstens arbeitet es mit modernster Technologie. Aber klar ist: Wir müssen weg von der Kohle – in ganz Deutschland.

Ist der Bau des Kohlekraftwerks in Moorburg ein Fehler gewesen?

Otto: Im Nachhinein ist man immer klüger. Als die Entscheidung getroffen wurde, ging es darum, Alternativen zur Kernkraft zu haben. Heute besitzen wir die Erkenntnis, dass wir uns von fossilen Energieträgern verabschieden müssen.

Und wie beurteilen Sie das Tempo auf dem Weg von Autos mit Verbrennungsmotoren hin zu Elektrofahrzeugen?

Otto: Hier geht Deutschland viel zu langsam voran. Die Chinesen machen uns gerade vor, wie man diesen Prozess beschleunigen kann. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht den Anschluss verlieren und eines Tages China Weltmarktführer bei Elektroautos ist.

Welche Maßnahmen für den Klimaschutz werden in Ihrem eigenen Unternehmen, der Otto Gruppe, ergriffen?

Otto: Wir wollen bis zum Jahr 2020 unseren CO2-Ausstoß um 50 Prozent im Vergleich zu 2006 verringern. 34 Prozent haben wir bereits erreicht. So reduzieren wir zum Beispiel die Zahl unserer Luftfrachten beim Warentransport aus den Lieferländern, setzen verstärkt auf Schiff und Bahn. Bei der Belieferung der Kunden mit unserem konzerneigenen Paketdienst Hermes achten wir darauf, dass wir die Touren umweltschonend planen. Zudem werden wir einen Teil der Hermes-Flotte zügig auf Elektroantrieb umstellen. So haben wir gerade bei Daimler 1500 Elektro-Sprinter bestellt.

Bis 2022 soll bei Otto der Umsatz um gut ein Drittel steigen. Gefährdet das nicht die Nachhaltigkeitsziele?

Otto: Wir haben bei Otto klare Umwelt- und Sozialstandards. Und diese werden auf keinen Fall verwässert oder aufgegeben, egal wie hoch das Wachstum auch ausfallen mag.

Was tun Sie selbst als Privatperson gegen den Klimawandel und für die Umwelt?

Otto: Für mich sind Mülltrennung und Kompostierung schon seit Jahrzehnten selbstverständlich. Ich habe Solarthermie auf dem Dach und achte im Garten drauf, keine Pestizide einzusetzen. Und dann gibt es natürlich noch kleine Dinge, wie etwa das Licht auszumachen, wenn man einen Raum verlässt.

Sie haben selbst im Garten einen Komposthaufen anlegt?

Otto: Ja, so etwas mache ich selbst. Ich fliege übrigens auch ausschließlich mit Linienmaschinen, wenn ich unterwegs bin. Privatjets oder Yachten sind nicht meine Sache.

Beim G20-Gipfel wird es auch um die Kluft zwischen Arm und Reich gehen. Tun die reichen Staaten genug, um die Armut in der Welt zu verringern?

Otto: Zunächst einmal muss man sagen, dass die oft kritisierte Globalisierung auch positive Seiten hat. Dadurch hat sich die Zahl der armen Menschen weltweit von zwei auf eine Milliarde halbiert. Natürlich gibt es aber auch viele Verlierer in diesem Prozess. Insbesondere muss man aufpassen, dass die Verlagerung von Produktion in Zweit- und Drittweltländer nicht zulasten von Sozial- und Umweltstandards geht. Da ist in der Vergangenheit viel Schindluder getrieben worden. Im Zusammenhang mit dem Klimaschutz kommt es darauf an, den Entwicklungsländern Hilfen zu geben, damit sie unmittelbar den Sprung zu den erneuerbaren Energien schaffen können. Schließlich haben diese Staaten am wenigsten zum Klimawandel beigetragen, leiden aber am stärksten darunter. Um sie zu unterstützen, soll in den Industriestaaten ein Fonds aufgebaut werden. Aber da muss beim G20-Gipfel nun auch Butter bei die Fische kommen.

Sie selbst haben 2015 Ihre Mehrheitsbeteiligung an der Otto Gruppe in eine Stiftung übertragen. Mit den jährlichen Ausschüttungen sollten soziale und ökologische Projekte unterstützt werden. Was ist bislang konkret passiert?

Otto: Es ist bisher nicht allzu viel geschehen, weil ich in den letzten Jahren keine Ausschüttungen aus dem Unternehmen vorgenommen habe. Ich habe mich bewusst dafür entschieden, die Mittel in der Otto Gruppe zu lassen. Das Unternehmen geht erst einmal vor. Wir sind ja nicht wie börsennotierte Konzerne in der Lage, neue Aktien auszugeben, sondern müssen Investitionen aus den eigenen Gewinnen stemmen.

In den Zeiten, in denen Otto Verlust gemacht hat, ist das nachvollziehbar. Jetzt schreibt das Unternehmen aber wieder schwarze Zahlen, also wären doch Ausschüttungen möglich.

Otto: Das wird über kurz oder lang auch der Fall sein. Der Vorstand muss wissen, dass die Familie auch Ausschüttungen und eine gewisse Verzinsung des eingesetzten Kapitals erwartet. Diese werden in meinem Fall dann der Stiftung zugutekommen.

Unabhängig von dieser Stiftung fördern Sie ja noch diverse Projekte aus Ihrer Privatschatulle, unter anderem die Elbphilharmonie und die Kinderklinik des UKE, die sich noch im Bau befindet. Wie zufrieden sind Sie mit diesen Projekten?

Otto: Ich freue mich sehr, dass die Elbphilharmonie nach den vielen Querelen in der Bauphase nun so gut vom Publikum angenommen wird. Beim Kinder-UKE liegen wir Gott sei Dank im Zeit- und Kostenplan. Das wird für die kranken Kinder eine gewaltige Verbesserung auf höchstem medizinischen Niveau bringen. Der Eröffnung im Herbst steht nichts im Wege.

Gibt es weitere Projekte, die Sie noch unterstützen wollen?

Otto: Ich engagiere mich stark in einem Hamburger Flüchtlingsprojekt. Darin geht es vor allem um die psychologische Betreuung der Menschen, die hier ankommen und häufig nach traumatischen Erlebnissen in ihrem Heimatland dann hier auch noch einen Kulturschock erleiden. In solch einer Ausnahmesituation kann es passieren, dass sich Menschen das Leben nehmen. Andere reagieren mit einer erhöhten Aggression. Um dem entgegenzuwirken, ist eine frühzeitige Betreuung enorm wichtig.

Der G20-Gipfel wird mit Blick auf die allgemeine Terrorlage zu einer Hochsicherheits-Veranstaltung werden. Wie nehmen Sie selbst diese Situation wahr? Fühlen Sie sich persönlich unsicher?

Otto: Ein Terroranschlag kann leider überall passieren. Wenn jemand der Meinung ist, er könnte nicht mehr nach London, Istanbul oder Paris fahren, dann halte ich das für unsinnig. Terror ist schlimm, keine Frage. Aber wir dürfen uns nicht von Angst mitreißen lassen. Die Zahl der Menschen, die bei Verkehrsunfällen ums Leben kommt, ist um ein Vielfaches höher. Das wird leicht vergessen.

Gibt es für Sie einen Weg, wie dem islamistischen Terror Einhalt geboten werden könnte? Oder müssen wir uns bis auf Weiteres auf neue Anschläge einstellen?

Otto: Je stärker der IS in Bedrängnis gerät, desto mehr wird er mit Selbstmordanschlägen und Terroraufrufen versuchen, auf sich aufmerksam zu machen. Das ist die Realität. Zu verhindern sind solche Aktionen nur sehr bedingt. Wenn jemand mit einem Auto in eine Menschenmenge fährt, dann ist das kaum vorherzusehen. Wir müssen uns viel stärker mit den Ursachen beschäftigen.

Ist der Westen mitverantwortlich für die derzeit so instabile Lage im Nahen Osten?

Otto: Es war schon mehr als blauäugig zu glauben, dass das Ausschalten eines Saddam Hussein zu Frieden und mehr Demokratie im Irak führen würde. Das gleiche gilt für Libyen. Da wurden durch die militärischen Eingriffe des Westens Bürgerkrieg und Terrorismus eher gefördert. Man kann eine Demokratie nicht herbeibomben. Ich hoffe, das hat jeder verstanden.