Hamburg. Gute Sprachkenntnisse und eine akademische Ausbildung seien wünschenswert. 340.000 Euro sichern den Start des Projekts “Ipso“.

Wenn Michael Otto über die Not der Flüchtlinge in den Krisenregionen der Welt spricht, kann er schon mal politisch werden. Dass die Weltgemeinschaft die zugesagten finanziellen Mittel für die Unterstützung der Geflüchteten in den Grenzgebieten wie dem Libanon und dem Irak nicht zur Verfügung stelle, sei ein Versagen. „Ich finde das einen Skandal“, sagte der Aufsichtsratsvorsitzende der Otto Group am Montag bei der Vorstellung eines neuen Flüchtlingsprojekts in Hamburg.

Spendenprogramme und Integrationsprojekte

Es geht um Verantwortung. Als Unternehmer hat der Hamburger schon unterschiedliche Konzepte unterstützt. Ein Qualifizierungsprogramm für Baumwollbauern in Afrika gehört dazu, Spendenaktionen, ein Integrationsprojekt von Auszubildenden der Otto Group und Flüchtlingskindern. Jetzt verlässt er den gewohnten Rahmen. Mit einer Anschubfinanzierung von 340.000 Euro sichert Otto den Start des Ausbildungs- und Beratungsangebots Ipso für seelisch belastete Flüchtlinge in der Hansestadt für die kommenden 18 Monate. „Unter Verantwortung verstehe ich persönlich, Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten“, erklärte er sein Engagement.

Menschen, die Krieg, Vertreibung und Flucht erlebt haben, stehen unter hohem psychischen Stress und haben auch deshalb oft große Schwierigkeiten, sich zu integrieren. Die häufigsten traumatischen Erfahrungen bei erwachsenen Flüchtlingen sind laut Bundespsychotherapeutenkammer, Gewalt gegenüber anderen miterlebt zu haben (70 Prozent), Leichen gesehen zu haben (58 Prozent), Opfer von Gewalt geworden zu sein (55 Prozent) oder gefoltert worden zu sein (43 Prozent).

Posttraumatische Belastungsstörungen und Depressionen sind deutlich häufiger als in der Allgemeinbevölkerung. Im Extremfall führt das zu Suizidplänen oder Radikalisierung. Zugang zu professioneller Hilfe haben die wenigsten.

Flüchtlinge werden zu Beratern ausgebildet

Genau da setzt Ipso an. Die gemeinnützige Organisation, die seit zwölf Jahren in Afghanistan aktiv ist, hat ein Programm zur Ausbildung von Flüchtlingen zu psychosozialen Beratern, soge- nannten Ipso-Counselorn, entwickelt. Der Vorteil: Die Berater sprechen die Sprache, kennen Kultur und Lebensumstände. „Es ist ein niederschwelliges Angebot, das Gespräche auf gleicher Augenhöhe ermöglicht“, so Psychoanalytikerin und Ipso-Gründerin Inge Miss- mahl. „Wir schließen eine Lücke zwischen sozialen Systemen und medizinischer Versorgung.“

Seit der Gründung hat Ipso, das für International Psychosocial Organisation steht, in Afghanistan 380 Arbeitsplätze geschaffen. Allein in den Jahren 2014 und 2015 halfen die Ipso-Counselor laut Missmahl 110.000 Menschen in Einzelgesprächen. Damit seien in den Kliniken 30 Prozent der Medikamente eingespart worden. Finanziert wurde die erprobte Arbeit vom Auswärtigen Amt und der EU. Inzwischen ist die Organisation auch in China, Sri Lanka, Haiti und der Ostukraine aktiv.

In Deutschland läuft der Aufbau seit Anfang des Jahres. In Berlin werden mit privaten Spenden derzeit 40 Flüchtlingsberater aus 14 verschiedenen Herkunftsländern finanziert und geschult, in Thüringen mit Landesmitteln weitere 30. Der Starttermin in Hamburg ist im kommenden Februar. 24 Flüchtlinge sollen dann in einem einjährigen Intensivtraining zu psychosozialen Counselorn weitergebildet werden. Die Fortbildung, die sich in drei Monate Theorie- und neun Monate Praxisphase gliedert, ist zertifiziert und kann von Jobcentern und Arbeitsagentur über Bildungsgutscheine vermittelt.

„Psychoziale Versorgung ist ein großes Problem“

Derzeit sucht Ipso noch nach Räumen. Bewerbungen für die Ausbildung sind bei Standortleiterin Aja Delius (a.delius@ipsocontext.org) möglich. Voraussetzungen: gute Sprachkenntnisse in Deutsch (B1) und Englisch sowie möglichst eine akademische Ausbildung.

Die Idee kommt gut an. „Die psychosoziale Versorgung ist ein großes Problem“, sagte Doris Holtkamp von der Flüchtlingshilfe der Malteser Werke in Hamburg. IPSO sei „ein gutes Modell auf Augenhöhe“. Auch beim Zentralen Koordinierungsstab Flüchtlinge der Stadt Hamburg gibt es Interesse. Allerdings ist noch völlig unklar, wie die Beratungsarbeit der Ipso-Counselor in den Arbeitsmarkt integriert und finanziert werden soll. „Wir sind in Gesprächen“, sagte Gründerin Missmahl. Die Beratungen könnten in Unterkünften oder Beratungsstellen sowie ortsunabhängig über die Video-Online-Sprechstunde Ipso E-Care angeboten werden.

Spender Michael Otto appellierte an die Stadt, das Angebot in die Regelversorgung zu integrieren. Zudem gebe es einen wirtschaftlichen Aspekt: „Die Beratung ist preiswert.“ 40 Euro kostet ein Gespräch mit einem Ipso-Counselor. Eine Einheit von Psychotherapeut samt Dolmetscher sei dreimal so teuer.