Hamburg. Wie der Michel mit Spender-Tafeln die Kirche saniert und eine ganz besondere Form der Erinnerungskultur schafft.

Eine Stunde vor dem Unwetter am Donnerstagmittag trat Hauptpastor Alexander Röder auf die Bühne vor dem Michel. Noch ahnte niemand, dass es wenig später fast Nacht werden würde über dem weißen Pagodenzelt. Es war eigens für die Verlegung von vier Spender-Tafeln aufgebaut worden und lockte mit Fingerfood und kühlen Getränken. „Am Michel“, sagte Alexander Röder, „kann man etwas Bleibendes zurücklassen. Es hilft uns, diese Kirche zu erhalten.“

190 Messingtafeln zieren seit Donnerstag den Vorplatz der Hamburger Hauptkirche St. Michaelis. Es sind jeweils 20 Kilogramm schwere Tafeln von rund 10.000 Bürgern, die für den Michel einen Geldbetrag gespendet und sich mit ihrem Namen auf dem Platz verewigt haben.

Die 190. Tafel stiftete die Haspa. „Wir freuen uns, in diesem Jahr anlässlich unseres 190. Geburtstags eine ganze Tafel für den Michel zu spenden“, sagte Haspa-Chef Harald Vogelsang. „190 Jahre Haspa“ steht darauf.

Eine Million Euro für die Sanierung

Seit Beginn der Aktion im Jahr 1994 kamen auf diese Weise mehr als eine Million Euro für die Sanierung der Hauptkirche zusammen. Allein mit den vier neuen Michel-Tafeln konnten 40.000 Euro eingesammelt werden. Was als Spendenaktion begann, ist längst zu einer bundesweit einmaligen Erinnerungskultur geworden. Wer mit mindestens 100 Euro pro Zeile – das sind 28 Zeichen – mitmacht, dokumentiert mit seinem Namen nicht nur die Hilfsbereitschaft. Die Spender bringen vielmehr zum Ausdruck, was sie für die Nachwelt bewahren wollen.

Auf der 189. Tafel, die ebenfalls am Donnerstag im Beisein zahlreicher Spender und Zuschauer verlegt wurde, will eine Familie der „allerbesten Oma“ zum 70. Geburtstag gratulieren. Andere verraten ihr Hochzeitsdatum. Verewigt haben sich auch zwei Männer mit ihrem Namen, „ein schwules Pärchen“, wie Michael Kutz, Geschäftsführer der Michel-Stiftung, sagte.

Auch James Last ist verewigt

Keine kennt die einzelnen Geschichten besser als die Pensionärin und Michel-Mitarbeiterin Heike Schröder. Sie begleitet die Aktion von Anfang an. Interessierte Spender erzählen ihr, warum sie sich für eine Michel-Tafel entscheiden wollen. Es seien oft sehr anrührende Geschichten, sagt sie. Wie jene von zwei Urlaubern, die nach einer Wattwanderung nicht mehr heimkehrten. Ihre Namen stehen jetzt auf einer der vier neuen Platten.

Meist erschließt sich den Betrachtern nicht, welches Schicksal hinter den Namen steckt. „Die Liebe höret nimmer auf“ steht auf einer Tafel von Ursula Werber und Günter Schmalz. Beide haben das späte Glück gefunden und 2002 geheiratet. Und beide starben an Krebs, innerhalb einer Woche. Mit ihrem Nachlass unterstützen sie heute einen Michel-Stiftungsfonds.

Platz für 270 weitere Tafeln

Selbst die Orchestermusiker von James Last setzten hier ihrem Chef ein kleines Denkmal: „Herzlicher Glückwunsch Hans zum 70. Geburtstag“, steht auf der Platte, datiert vom 17. April 1999. Aber nicht nur Namen zieren die Tafeln, auch Bilder von Windjammern, Seemannsknoten, Gedichte und sogar Elchgeweihe erinnern an Menschen und ihre Lebensgeschichten. „Durch die Vielfalt der Inschriften sind die Tafeln zu einem einzigartigen Ort kirchlicher Erinnerungskultur geworden“, sagt Hauptpastor Alexander Röder.

Weil der Platz vor dem Michel der Stadt gehört, musste das Bezirksamt Mitte der Flächenerweiterung für neue Tafeln zustimmen. Dank der Vermittlung durch die Haspa gibt es jetzt genug Platz für 270 weitere Tafeln. Das wird zwar nicht für die Ewigkeit reichen, aber für die nächsten Jahre. Die vier neuen Messingtafeln jedenfalls wurden gleich dem ersten Hamburger Härtetest ausgesetzt: Sie trotzten Hagelkörnern und Regen beim Mittagsunwetter.

Jeder, der sich für den Michel engagieren will, kann das in den Haspa-Filialen tun. Infos: http://www.michel-stiftung.de/michel-tafeln/