Hamburg. Sie betet für das Treffen der Staatschefs in Hamburg. Im Abendblatt-Interview ruft die Geistliche zur Gewaltfreiheit auf.
Hamburgs Bischöfin Kirsten Fehrs begrüßt ihre Gäste in der Bischofskanzlei in diesen Tagen mit Äpfeln und Birnen aus Neuenfelde, ein Geschenk der Landfrauen. Am liebsten würde sie im Büro in der HafenCity über Gott und die Welt reden. Aber diesmal geht es um Trump, Erdogan und den G20-Gipfel, der auch die evangelische Bischöfin zu Antworten herausfordert.
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Warum nehmen Sie an der Demonstration „Hamburg zeigt Haltung“ teil?
Fehrs: Es geht nicht um einen Protest gegen den Gipfel – es ist ja sinnvoll, dass die Vertreter wichtiger Wirtschaftsmächte miteinander reden. Ein großes Problem ist aus meiner Sicht die undemokratische Haltung mancher Gipfelteilnehmer.
Wen meinen Sie?
Fehrs: Zum Beispiel die Präsidenten Erdogan und Putin, aber auch die Vertreter Chinas und Saudi-Arabiens. In China, der Türkei, in Russland und auf der Arabischen Halbinsel werden Oppositionelle eingesperrt, sind Religions- und Pressefreiheit eingeschränkt. Demokratische Werte werden mit Füßen getreten. Und auch die Entwicklung in den USA sehe ich mit Sorge: Ich vermisse bei Präsident Trump einfach den moralischen Kompass.
Und dagegen demonstrieren Sie?
Fehrs: Es geht hier ja um Werte! Das ist der Grund für mich und die Initiatoren des Bündnisses „Hamburg zeigt Haltung“, sich zu engagieren. Hamburg steht am 8. Juli im Fokus der Welt. Wir wollen an diesem Tag zeigen, dass es darauf ankommt, die Demokratie zu verteidigen.
Wer ist „wir“?
Fehrs: Das ist ein breites Bündnis, da ist auch Erzbischof Heße dabei, Ewald Lienen vom FC St. Pauli, die Schauspielerin Nina Petri, Ole von Beust und viele andere Prominente. Wir alle wollen nationalistischer Intoleranz etwas entgegensetzen. Dabei stehen wir für demokratische Werte und für Gewaltfreiheit.
Werden Sie ein Spruchband tragen?
Fehrs: Mal sehen. Ich werde auf jeden Fall für das Thema „offene Gesellschaft“ auf die Straße gehen.
Gibt es einen Aufruf der Nordkirche, an dieser Demo teilzunehmen?
Fehrs: Nein. Selbstverständlich ist jedes Kirchenmitglied frei: Kommt zur Demonstration „Hamburg zeigt Haltung“ am 8. Juli!
Ist es moralisch richtig, Demo-Verbotszonen einzurichten?
Fehrs: Ich sehe die Sicherheitsbedenken. Aber die Versammlungsfreiheit ist ein hohes Gut. So bin ich ganz froh, dass die angemeldeten großen Demonstrationen stattfinden können.
Die Kirchen haben zum G20-Gipfel ein umfangreiches Bildungsprogramm gestartet. Wie ist die erste Resonanz?
Fehrs: Die Veranstaltungen werden gut angenommen. Es geht dabei vor allem um Klimagerechtigkeit, Menschenrechte und die Situation in Afrika – alles Themen, an denen auch die Kirchen arbeiten. Das Begleitprogramm der Kirchen trägt dazu bei, sich kritisch mit den Gipfel-Themen zu beschäftigen. Dass das Abendblatt angesichts der Hungersnot in Afrika jetzt zu Spenden aufgerufen hat, finde ich eine tolle Aktion. Sie zeigt, wie viele Hamburger bereit sind, sich zu engagieren.
Hat die Kirche auch die vielen Sicherheitskräfte im Blick, die beim Gipfel im Einsatz sind?
Fehrs: Selbstverständlich. Zum G20-Gipfel reisen rund 50 Polizeiseelsorger aus ganz Deutschland an. Es wird das größte bundesweite Treffen dieser Fachleute sein. Außerdem stehen viele Notfallseelsorger für die Krisenintervention bereit.
Warum muss der Gipfel mitten in einer Metropole stattfinden?
Fehrs: Die Hansestadt kann sich da schwer aus der Verantwortung stehlen. Schließlich heißt es in der Präambel der Hamburgischen Verfassung, dass die Stadt im Geiste des Friedens eine Mittlerin zwischen allen Erdteilen und Völkern der Welt sein will. Ich verstehe aber auch die Sorgen und die Kritik der Bürger, denen der Gipfel auf die Nerven geht.
Viele Bürger haben schlichtweg Angst, dass es zu Ausschreitungen und Anschlägen kommen könnte.
Fehrs: Ich kann das verstehen, schließlich gibt es etliche gewaltbereite Gruppen. Aber sie sind eine kleine Minderheit, daher rate ich zur Besonnenheit. In jedem Fall rufe ich dazu auf: Bleibt gewaltfrei!
Warum gibt es keine breit angelegten Demonstrationen mit Vertretern aller Weltreligionen?
Fehrs: Aber das passiert ja, am 6. Juli, dem Vorabend des Gipfels, plant das Interreligiöse Forum ein öffentliches Friedensgebet.
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Und das Gebet findet in der Elbphilharmonie statt?
Fehrs: (Fehrs lacht): Natürlich nicht, sondern an der Universität Hamburg, weil die Akademie der Weltreligionen uns eingeladen hat.
Stimmt. Die Staatselite trifft sich in der Elbphilharmonie. Wird das Haus zum neuen „Palast der Republik“?
Fehrs: Sie ist viel schöner als der Palast der Republik aus dem damaligen Ost-Berlin. Und so reizvoll es ist, den Staatsgästen ein Kulturprogramm zu bieten, sie sollen in Hamburg vor allem eines: arbeiten, und zwar an den brennenden Themen dieser Welt.
Welchen Staatsgast würden Sie selbst am liebsten treffen – und warum?
Fehrs: Ich fände ein Gespräch mit dem neuen französischen Präsidenten Macron interessant – er gilt ja als Hoffnungsträger für Frankreich wie auch für Europa.
Werden Sie für den G20-Gipfel beten?
Fehrs: Auf jeden Fall beim Ökumenischen Gottesdienst am 8. Juli in St. Katharinen, aber auch ganz persönlich. Übrigens kann jeder Mensch so beten: für Frieden und Gerechtigkeit, für Einsicht und Umkehr bei den Regierungen – und bei sich selbst.
Was erhoffen Sie sich von dem Gipfel?
Fehrs: Ich erhoffe mir natürlich Fortschritte im Klimaschutz und in Sachen globaler Gerechtigkeit. Dass internationale Abkommen nach wie vor möglich sind, zeigt ja die jüngst verabschiedete UN-Resolution zum Schutz der Weltmeere. Auch Deutschland steht in der Verantwortung. Daher halte ich unbeirrt an dem Grundsatz fest: Miteinander zu reden ist im Zweifel immer besser, als nicht miteinander zu reden.
G20-Gipfel beim Abendblatt: