Hamburg. Das Pilotprojekt in Waltershof kostet 450.000 Euro. Der Bundestag in Berlin nutzt die Technologie bereits.

Wenn das Kohlekraftwerk Wedel bis Ende 2021 vom Netz geht, wie es Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) vorsieht – woher kommt dann die Fernwärme für 150.000 Wohneinheiten im Hamburger Westen? Kerstan will künftig möglichst erneuerbare Energie und Abwärme aus der Müllverwertung, aus Klärwerken und industriellen Anlagen nutzbar machen und lässt prüfen, ob sich entsprechende Quellen im Hamburger Süden wie die Müllverbrennungsanlage Rugenberger Damm (MVR) an das Fernwärmenetz anschließen lassen.

Eine wichtige Rolle bei dieser „Hamburger Wärmewende“ könnten den Plänen zufolge unterirdische Wärmespeicher spielen. Um das zu erproben, läuft nun ein Pilotprojekt auf dem Areal des Klärwerks Dradenau von Hamburg Wasser in Waltershof: Erwärmtes Wasser soll dort über zwei Brunnen 180 bis 250 Meter tief unter die Erdoberfläche und in Aquifere, Grundwasser führende Schichten im Boden, geleitet werden.

„Der Bundestag in Berlin nutzt diese Technologie bereits. Wir würden einen solchen Speicher in Hamburg gern in größerem Maßstab einsetzen“, sagte Kerstan am Mittwoch, als er das erste fertige Bohrloch mit Hamburg-Wasser-Chef Michael Beckereit besichtigte.

450.000 Euro wird Hamburg Wasser in das Projekt investieren. Beckereit begründet das auch mit der Aussicht auf neue Geschäftsfelder: „Bisher verlässt unser Klärwerk eine Wärmemenge, die wir künftig vermarkten könnten – eine Einbindung in die Strategie zur Wärmeversorgung des Hamburger Westens vorausgesetzt.“

Aquiferspeicher basieren auf folgender Idee: Anlagen wie die Müllverbrennungsanlage, aber auch Klärwerke und Industriebetriebe produzieren Abwärme, die sich vor allem im Winter gut zum Heizen von Wohnungen nutzen ließe. Dafür muss die Wärme zwischengespeichert werden. Dazu wird erst kaltes Grundwasser entnommen, mithilfe eines Wärmetauschers aufgeheizt und dann unter die Erde gepumpt. Bei Bedarf entnimmt man das Wasser und entzieht ihm die Wärme.

Der Hamburger Untergrund besteht bis in einige Hundert Meter Tiefe grob aus fünf Schichten. Zuoberst liegt eines eiszeitliche, Grundwasser führende Schicht. Unter ihr befindet sich tonige Erde. Darunter liegen die Braunkohlesande, die sich in eine obere und untere Schicht aufteilen, getrennt durch eine weitere tonhaltige Schicht. Sowohl aus der obersten Schicht als auch aus den Braunkohlesanden bezieht die Hansestadt ihr Trinkwasser.

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Die Braunkohlesande haben allerdings an einigen Stellen – etwa in der Erde unter dem Klärwerk Dradenau – Kontakt mit Salzwasser und sind deshalb als Quellen für Trinkwasser nicht brauchbar.

Aber man kann Wärme in solchem Grundwasser speichern, wie die Aquifer-Anlage des Bundestags beweist. Ob das auch in Waltershof funktioniert und sich wirtschaftlich lohnt, soll das Pilotprojekt zeigen. Grundwasser in Aquiferen fließe zwar nur wenige Zentimeter pro Tag, sagt Projektleiter Kai Radmann. Trotzdem gehe dadurch ein Teil der eingespeisten Energie verloren, nach Modellrechnungen etwa 20 Prozent.

Hinzu kommt: Das bei seiner Entnahme etwa 65 Grad warme Wasser müsste mit einer Wärmepumpe heißer gemacht werden, um die für das Fernwärmenetz nötigen Vorlauftemperaturen von 90 bis 135 Grad zu erreichen, wie Radmann erläutert.

Erstmals Wasser einspeisen

Am 21. August soll erstmals heißes Wasser in die Aquifere eingespeist werden. In den folgenden sechs Wochen soll im Wechsel warmes Wasser entnommen und wieder eingespeist werden, begleitet von Messungen.

Würde die Anlage auf vier Brunnen erweitert, wie es geplant ist, könnte sie nach bisherigen Erkenntnissen pro Jahr Wärme im Umfang von bis zu 110.000 Megawattstunden liefern, sagt Radmann. Zum Vergleich: Das Heizkraftwerk Wedel lieferte 2016 Wärme im Umfang von 1,3 Millionen Megawattstunden. Das macht deutlich, warum der Aquiferspeicher nur ein Baustein der „Wärmewende“ sein kann.

Für Trinkwasser bestehe keine Gefahr

Risiken sind nicht auszuschließen: So könnte etwa durch das heiß eingespeiste Wasser das im kalten Grundwasser enthaltene Calciumcarbonat ausfällen, wodurch eine Verkalkung der Brunnen möglich wäre. Eine Gefahr für Trinkwasserquellen bestehe nicht, sagt Radmann. „Die Anwendung ist räumlich stark begrenzt.“ Er hält das Projekt für einen „wegweisenden Versuch“. Sollte das Ganze nicht wie erhofft funktionieren, ließen sich die Brunnen etwa nutzen, um Betriebswasser zu fördern.

Von Oktober an sollen die ersten Daten vorliegen – als Entscheidungsgrundlage für den Senat, ob die Stadt in die Aquifertechnologie investiert.