Hamburg. Digitale Währungen wie der Bitcoin gewinnen laut Studie an Bedeutung. Und was wird aus dem Bargeld?

Sie heißen Bitcoin, Ripple, Ethereum, Dash, Stratis, Monero oder Stellar Lumens: Digitale Währungen machen dem „offiziellen“ Geld Konkurrenz. Ihre Zahl wächst ständig: „Im April waren es 782, zuletzt schon 866 – der Markt boomt“, sagt Jörn Quitzau, Volkswirt beim Hamburger Privatbankhaus Berenberg, das mit dem Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut (HWWI) eine Studie unter dem Titel „Die Zukunft des Geldes – Das Geld der Zukunft“ erarbeitet hat.

Zusammengenommen hat der Wert der sogenannten Kryptowährungen jüngst die Marke von umgerechnet 100 Milliarden Euro überschritten. Zwar entspricht dieser Betrag nur 1,4 Prozent der Summe aus dem Bargeld, den Giro- und Tagesgeldkonten in Euro. „Gerade für Hamburg haben die digitalen Währungen künftig aber potenziell große Bedeutung“, sagt HWWI-Direktor Henning Vöpel. Denn sie gelten weltweit als etwas, das den Außenhandel wesentlich vereinfachen könnte.

Digitales Bezahlen immer wichtiger

Doch aktuell könnte man mit dem Bitcoin, der führenden Kryptowährung, in der Hansestadt den Nahrungsmittelbedarf lediglich durch Bestellungen bei einem Pizzaservice decken. Nur 13 Geschäfte beziehungsweise Online-Händler in Hamburg akzeptieren der Studie zufolge die Bezahlung in Bit­coin. In Berlin sind es immerhin 44.

Längst habe die Diskussion über eine Welt ohne Geldscheine und -münzen begonnen, so Quitzau. „Aber wir halten eine Abschaffung des Bargelds innerhalb der nächsten zehn Jahre weder für wahrscheinlich noch für wünschenswert.“ Dennoch werde das digitale Bezahlen – sei es in staatlichen oder in den neuen privaten Währungen – an Boden gewinnen.

Andere europäische Länder sind in dieser Hinsicht schon wesentlich weiter. So bildet die Bundesrepublik der Studie zufolge beim kontaktlosen Bezahlen per Karte und bei den mobilen Bezahlvorgängen international das Schlusslicht. Während in Deutschland noch immer 80 Prozent aller Einkäufe mit Bargeld getätigt werden, sind es in etlichen anderen Staaten nur rund 50 Prozent. Bankkarten mit oder ohne Funkchips sowie Zahlungs-Apps auf dem Smartphone spielen dort im Alltag eine sehr viel größere Rolle.

In Schweden benötigen nach Angaben der dortigen Zentralbank schon mehr als zehn Prozent der Bevölkerung kein Bargeld mehr. Und in Dänemark erarbeitete im Jahr 2015 die damalige Regierung einen Gesetzentwurf, wonach Tankstellen, Restaurants und kleine Läden keine Münzen oder Scheine mehr annehmen müssen.

Bargeld abschaffen?

In der Folge der Finanzkrise haben sich mehrere renommierte Ökonomen, darunter der „Wirtschaftsweise“ Peter Bofinger, für eine Abschaffung des Bargelds ausgesprochen. Es ging ihnen vor allem darum, die Schlagkraft der Geldpolitik der Zentralbanken zu erhöhen: Wenn Sparer größere Teile ihres Vermögens von den Bankkonten abheben und zum Beispiel in Tresoren horten, wirken sich Negativzinsen darauf nicht aus. „In einigen Jahren wird sich die Zinssituation aber wieder normalisieren“, sagt Quitzau. „Es wäre ein gefährliches Experiment, auf ein vorübergehendes konjunkturelles Problem mit einer dauerhaften Geldrevolution zu reagieren.“

Dabei wären nach Einschätzung von Vöpel gerade in Deutschland die gesellschaftlichen Widerstände gegen eine Bargeld-Abschaffung auf absehbare Zeit groß. Nicht zuletzt Bedenken im Hinblick auf den Datenschutz tragen dazu bei. „In einer bargeldlosen Gesellschaft wäre der Konsument vollkommen transparent“, so Vöpel. „Die möglichen Risiken, die ein ,gläserner‘ Kunde mit sich bringt, sind heute noch nicht vollständig erkennbar.“

Bitcoin-Nutzer können anonym bleiben

Bei den Kryptowährungen soll zumindest dieser Einwand nicht gelten. Technisch basieren sie auf dem Prinzip der sogenannten „Blockchain“. Vereinfachend ausgedrückt ist das eine riesige, auf zahlreiche Computer in aller Welt verteilte Datenbank, die mit jeder Transaktion, die jemand zum Beispiel in Bitcoin vornimmt, um einen Datenblock anwächst.

Auch wenn diese Informationen öffentlich zugänglich sind, können Bitcoin-Nutzer anonym bleiben, wenn sie bestimmte Vorsichtsmaßnahmen anwenden. So forderten die Hacker, die am 12. Mai Hunderttausende von Rechnern weltweit mit einer Schadsoftware infizierten und auf diese Weise unter anderem den Ausfall von Anzeigetafeln an vielen Bahnhöfen verursachten, ein Lösegeld in Bitcoin als Gegenleistung dafür, die betroffenen Computer wieder freizugeben.

„Man muss einem Algorithmus trauen“

Anders als beim Euro, für den die Europäische Zentralbank einsteht, gibt es bei den virtuellen Währungen keine Institution, die eine Garantie abgibt. „Man muss einem Algorithmus, also einem Rechenverfahren, trauen“, so Vöpel. Wer davor keine Scheu hat, konnte mit Bitcoin-Beständen zuletzt enorme Wertsteigerungen erzielen: Seit Januar ist der Kurs der Kryptowährung von 1000 auf mehr als 2500 Euro hochgeschossen.

Doch der im Vergleich zu Dollar oder Euro sehr geringe Gesamtumfang der Bitcoin-Geldmenge sorgt auch für eine erhebliche Instabilität: Tagesschwankungen des Kurses gegenüber dem Euro von mehr als zehn Prozent sind keine Seltenheit, manchmal geht es in 24 Stunden sogar um mehr als 20 Prozent nach oben oder unten. „Nur wenige Unternehmen werden sich das Risiko leisten wollen, ihre Verkaufserlöse binnen Tagesfrist durch einen sinkenden Bitcoin-Kurs um zweistellige Prozentbeträge zu entwerten“, sagt Quitzau.

Aufgrund der heutigen technischen Möglichkeiten ist nach Auffassung des Berenberg-Ökonomen eine Wirtschaft ohne Bargeld inzwischen durchaus vorstellbar. Der Schub dafür könnte aber zunächst aus asiatischen und afrikanischen Ländern ohne eine ausgereifte Finanzinfrastruktur wie in Europa kommen. In Deutschland sei das wahrscheinlich eher eine Angelegenheit für die nächste Generation – irgendwann nach 2040.