Hamburg. Beisetzung des St.-Pauli-Urgesteins auf dem Ohlsdorfer Friedhof. Pastor Sieghard Wilm erinnert an ein bewegtes Leben.
Auf seinen Veterano Osborne schwor Heinrich Hübner, auf St. Pauli nur als "Inkasso-Henry" bekannt, bis zum Schluss. Mit dem Weinbrand, so sagte er einmal, werde er bestimmt 100 Jahre alt. Ein Ziel, das dem langjährigen Geldeintreiber und Koberer nicht vergönnt war. Wie berichtet, hatte man das Kiez-Urgestein vor fünf Wochen tot in seiner Wohnung an der Großen Bergstraße gefunden.
Sein Tod löste weit über den Kiez hinaus Betroffenheit aus. Wochenlang war jedoch unklar, ob eine Trauerfeier überhaupt stattfinden kann. Erst nachdem Freunde des Kiez-Urgesteins den Bruder des Verstorbenen ausfindig machen konnten, übertrug dieser die Rechte für die Beerdigung. Um diese zu finanzieren, legten zahlreiche Weggefährten zusammen.
Der Kiez nimmt Abschied
Am Montag nun nahmen sie Abschied von "Inkasso-Henry", der in den vergangenen Jahren vor allem als Experte in Sachen Kiez im Fernsehen oder in Videos auf seinem YouTube-Kanal in Erscheinung getreten war oder Interessierte bei seinen Touren durch seinen alten Arbeitsplatz St. Pauli geführt hatte. Unter den rund 60 Trauergästen vor der Kapelle 10 auf dem Friedhof Ohlsdorf versammelten sich am Nachmittag auch zahlreiche Kiez-Persönlichkeiten, unter ihnen die Theatermacher Corny Littmann (Schmidt Theater) und Thomas Collien (St. Pauli Theater), Quartiersmanager Lars Schütze, Dollhouse-Chef Christian Fong, Olivia-Jones-Tourguide Fabian Zahrt oder der ehemalige Profi-Boxer und als Millionenbetrüger bekannt gewordene Mike Wappler ("Milliarden Mike").
St.-Pauli-Pastor Sieghard Wilm erinnerte in seiner Traueransprache an das bewegte Leben des Verstorbenen, das voller Höhen und Tiefen gewesen sei. "Aber mit viel Spaß – das hat Henry immer ausgestrahlt", so Wilm. Hübner, der als Jugendlicher noch auf dem Hamburger Fischmarkt und später eine Zeit lang als Koch gearbeitet habe, sei ein Lebemann gewesen, der sich auf dem Kiez jahrzehntelang zuhause gefühlt habe. Neben seiner Tätigkeit als Koberer vor Striptease-Lokalen wie dem ehemaligen Lido, sei er später aber auch als Geldeintreiber gefürchtet gewesen.
"Für St. Pauli ist er unersetzbar"
Erst spät habe Hübner mit "Inkasso-Henry" die Kunstfigur erfunden, mit der er deutschlandweit bekannt wurde. Seine frechen und manchmal kodderigen Sprüche, mit denen der bullige Glatzkopf mit dem markanten Schnauzbart und der rauen, eindringlichen Stimme seine Gäste bei seinen Touren unterhielt, sind bis heute legendär. "Er wusste: Die Geschichten müssen nicht immer richtig sein. Sie müssen nur richtig gut sein", so der Pastor. Geflunkert habe das Kiez-Urgestein auch hin und wieder bei seinem Alter. Zuletzt hieß es, Hübner sei mit 72 Jahren verstorben. In Wirklichkeit war er erst 64. "Es hat ihm immer gefallen, wenn er von den Frauen Komplimente wegen seines jungen Aussehens bekommen hat."
Mit "Inkasso-Henry" verliere der Kiez erneut ein charmantes Original, von denen man nicht wisse, ob es sie in Zukunft noch geben werde. "Für St. Pauli ist er unersetzbar." Zum Klang von "La Paloma" wurde der mit Blumen geschmückte Sarg nach der offiziellen Trauerfeier zum Grab hinter der Kapelle hinausgetragen, wo Hübner nun seine letzte Ruhe finden soll.