Hamburg. Im Großen Saal der Elbphilharmonie zeigte der österreichische Startrommler Hochleistungsmusik. 150 Minuten Dauerbeschallung.

Einige Konzertbesucher hatten vorsichtshalber Ohrstöpsel dabei. Gar keine schlechte Idee. Denn an manchen Stellen wurde es laut. Also, so richtig laut. Wie gleich zu Beginn, als vier Schlagzeuger ihre Schlägel synchron auf vier große Trommeln krachen ließen. Krawumm! Da bebte der Große Saal der Elbphilharmonie.

Die Donnerschläge waren der Auftakt zu einem Abend unter dem Motto „The Century of Percussion“, mit dem Martin Grubinger und sein Percussive Planet Ensemble „die große Wucht des Schlagzeugs in zweieinhalb Stunden“ darstellen wollten, wie der österreichische Startrommler in seiner kurzen Anmoderation erklärte.

Immer unter Volldampf und manchmal überdreht

Für das Programm hat Grubingers Vater eine Suite arrangiert, die – ausgehend von Strawinskys „Sacre“ – Rhythmen und Melodien aus Klassik, Jazz, Rock und Folk zu einer wilden Stilcollage zusammenmixt. Martin Grubinger senior trat dabei auch als Dirigent in Erscheinung. Er leitete das Ensemble aus acht Perkussionisten und einer sechsköpfigen Band, und offenbarte dasselbe Tausend-Volt-Temperament wie sein Sohn, als er nervös auf den Füßen wippte; immer unter Volldampf – und manchmal eine Spur überdreht.

Aber die Show gehört halt dazu. Die physische Dimension der Performance und ihre Körperlichkeit sind ein wichtiger Bestandteil des Erfolgs. Die Grubingers inszenieren ihre Auftritte ganz bewusst auch als musikalischen Leistungssport – wenn der 34-jährige, muckibudengestählte Martin junior mit rotem Kopf, schwellenden Adern und hohem Adrenalinpegel die Klöppel über das Marimbafon rasen lässt und seine eigenen Temporekorde jagt, aber auch wenn er und seine Co-Schlagwerker manchmal für den nächsten Einsatz einen kurzen Sprint einlegen, um rechtzeitig an Ort und Stelle zu sein. Jeder Weg ist durchchoreografiert – schließlich müssen sich die Musiker in einem Arsenal von rund 200 Instrumenten zurechtfinden, das die Bühne mit beeindruckender Vielfalt füllt. Es umfasst eine Auswahl von kubanischen Bongos und afrikanisches Djembes bis zum Donnerblech und einem mitteleuropäischen Kochtopf-Set.

Alle Perkussionisten schlagen, schütteln, streicheln oder drehen ständig irgendwas und nutzen den riesigen Fundus für Ausflüge in die verschiedenen Regionen der Welt. Der Brasilianer Luis Ribeiro spielt sein Berimbau, ein einsaitiges Instrument, das wie ein schlaff gespannter Schießbogen aussieht und wunderbar heiser und schraddelig klingt; der Marokkaner Rhani Krija begeistert mit einem tausendfingrigen Solo auf der arabischen Bechertrommel Darbuka, und der Song „Jovanko Jovanke“ bringt den Saal mit Balkangrooves zum Kochen, angeheizt vom Saxofonisten Alexander von Hagke, einem der hervorragenden Bläser aus Grubingers Combo.

150 Minuten Dauerbeschallung

Eine faszinierende musikalische Weltreise, bunt, lebendig und kraftvoll. Sie birgt auch, zur Abwechslung, einige durchaus leise und lyrische Momente – und doch wünschte man sich mitunter, anstelle eines Ohrstöpsels, eine Fernbedienung zur Hand. Um einfach mal kurz auf Stopp drücken und tief durchatmen zu können.

150 Minuten Dauerbeschallung, ganz ohne Pause: puh. Das ist echt happig und bringt die Aufnahmekapazität an ihre Grenzen, gerade wenn die Sounds in so einer Dichte auf einen einprasseln und -hämmern. Deshalb suchten einige Konzertbesucher nach zwei Stunden das Weite und wahrscheinlich auch die Ruhe.

Sie verpassten das furiose Finale, in dem Martin Grubinger noch einen irren Soloauftritt an der Snare Drum hinlegte: mit einem Stück, das sich in einer konstanten Beschleunigung minutenlang steigert, vom anfänglichen Tackern bis zum virtuosen Wirbel, in dem die Schläge zu einem Rauschen verschmelzen. Grubinger trommelte mit der Power eines Duracellmännchens, dem man versehentlich Starkstrombatterien eingesetzt hat. Bis zum Schluss hielt er sein unglaubliches Ener­gielevel und millisekundenscharfes Timing – zirkusreif präsentiert im letzten Stück, in dem Grubinger und zwei Kollegen beim Spielen mit ihren neongelben Sticks jonglierten und sie virtuos um die Finger kreisen ließen.

Ganz schön durchgeknallt

Unglaublich, wie man mit einigen Tausend Präzisionsschlägen in den Knochen noch so locker im Handgelenk sein kann. Menschen mit Alltagskondition müssten bei diesem Pensum wahrscheinlich spätestens nach dem ersten Viertel des Abends für eine Woche unter das Sauerstoffzelt. Martin Grubinger absolviert in Hamburg an drei Tagen vier Konzerte. Das ist schon sehr beeindruckend. Und ganz schön durchgeknallt.