Hamburg. Nur noch weniger als 100 Betriebe in Hamburg – es waren einmal 1500. Immer mehr Geschäfte suchen nun Chancen im Onlineverkauf.

Die „Wurstküche“ ist gerade nicht in Betrieb und steht deshalb im Carport auf dem Betriebsgelände von Die Feinschmecker Manufaktur an der Oldesloer Straße in Schnelsen. Am Wochenende war das Fahrrad, vor dessen Lenker eine ausgewachsene Grillstation inklusive Kühlschrank und Handwaschbecken installiert ist, auf dem Eppendorfer Landstraßenfest im Einsatz. Auf dem Grill lagen Einhorn-Wurst und – passend zur Saison – eine Neukreation: Wurst mit Spargel- und Schinkenwürfelchen. „Beim Holsten Fest haben wir an einem Tag innerhalb von fünf Stunden 500 Würste verkauft, am gesamten anderen Tag nur 200, weil das Wetter schlecht war“, sagt Mike Griesch (32) über den vorherigen Einsatz des Brutzel-Bikes.

Was nach ersten Geschäftserfahrungen eines kürzlich gegründeten, hippen Food-Start-ups klingt, ist tatsächlich der Testlauf eines alteingesessenen Hamburger Handwerksbetriebes, sich mit neuen Konzepten neue Geschäftsfelder zu erschließen. Hinter Die Feinschmecker steht ein Unternehmen, das jahrzehntelang als klassisches Fleischerfachgeschäft mit nur einer Filiale an der Fuhlsbüttler Straße geführt wurde und mittlerweile ziemlich viel Erfahrung damit hat, trotz tiefgreifender Veränderungen des Marktes wirtschaftlich erfolgreich zu bleiben. „Der Wettbewerb ist hart, die Wünsche und Gewohnheiten der Kunden verändern sich schnell, aber wer Neuem gegenüber aufgeschlossen ist, kann trotzdem bestehen“, sagt Firmenchef Michael Durst (61) über seine Erfahrungen als Handwerksunternehmer.

Wurst aus eigener Produktion

Der Obermeister der Hamburger Fleischerinnung, Vizepräsident des Deutschen Fleischerverbands und Sprecher der Ernährungsgewerke in der Handwerkskammer Hamburg hat seit der Übernahme des Betriebes vor fast 30 Jahren aus dem elterlichen Laden eine Firma mit vier Geschäften in Schnelsen, im Alstertal-Einkaufs­zentrum, in der Rindermarkthalle (St. Pauli) und im Mercado (Ottensen) gemacht.

Ein Großteil des Wurstsortiments stammt aus eigener Produktion, das Fleisch von Schweinen und Rindern aus Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern wird im eigenen Betrieb zerlegt. Doch allein vom Verkauf an der Fleisch- und Wursttheke kann ein Fleischerfachgeschäft schon lange nicht mehr leben. Auch deshalb geht deren Zahl seit Jahren beständig zurück.

„Mitte der 1950er gab es in Hamburg noch mehr als 1500 Fleischereien“, weiß Joachim Drescher, der Geschäftsführer der Hamburger Innung. Laut jüngster Statistik waren es im Jahr 2015 noch 91 handwerklich geführte Betriebe und inklusive deren Filialen knapp 120 von selbstständigen Fleischern betriebene Verkaufsstellen in der Hansestadt. In Hamburg und in Berlin ist das Verschwinden des traditionsreichen Handwerks am weitesten fortgeschritten: In der Hansestadt gibt es pro 100.000 Einwohner nurmehr sieben Schlachter­läden, im Bundesdurchschnitt sind es dagegen 28, also viermal so viele. In Bayern kommen auf 100.000 Einwohner sogar noch 43 Fleischerfachgeschäfte.

Die Gründe für das Verschwinden der Schlachter sind vielfältig: Die inzwischen übermächtige Konkurrenz durch Discounter und Supermärkte, die mittlerweile etwa drei Viertel des gesamten Fleisch- und Wurstumsatzes in Deutschland machen und verstärkt Frischetheken installieren, veränderte Ernährungsgewohnheiten und der beständige Rückgang des Fleischkonsums auf zuletzt noch knapp 60 Kilo pro Person und Jahr, die Scheu junger Fleischermeister vor dem Schritt in die Selbstständigkeit, der mit hohen Investitionen ins eigene Geschäft verbunden ist. „In unseren Meisterkursen planen von 20 Teilnehmern oft nur zwei oder drei, sich selbstständig zu machen“, sagt Innungsgeschäftsführer Drescher.

Wurst aus dem Onlineshop

Nun kommt als weiterer Konkurrent noch der Onlinehandel hinzu. Die Zahl der Anbieter, die frische Fleisch- und Wurstwaren in Kühlpaketen binnen eines Tages quer durch Deutschland zum Endkunden verschicken, wächst. Mike Griesch, selbst Fleischermeister und bei Die Feinschmecker für Produktion und Innovationen zuständig, sieht darin aber keine Gefahr, sondern eine Chance: „Wir sind in Gesprächen mit einem Unternehmen, das einen Versand von Fleisch und Wurst plant. Wir würden es mit unseren Produkten beliefern.“ Von da ist es nicht mehr weit zum eigenen Onlineshop.

Innungsgeschäftsführer Drescher ist überzeugt, dass schon bald eine ganze Reihe von Betrieben mindestens einen Teil ihrer Produkte auch im Internet anbietet. „In unseren Fortbildungsveranstaltungen ist das derzeit ein großes Thema“, sagt er.

Es wäre die nächste große Veränderung in einem Handwerk, in dem sich seit Jahren ein grundlegender Wandel vollzieht. Fast alle Fleischereien bieten inzwischen an der „heißen Theke“ Mittagsgerichte oder mindestens belegte Brötchen an, haben SB-Kühltheken eingerichtet, betreiben einen Catering-Service, beliefern andere Fleischer mit ihren Spezialitäten und haben Großabnehmer gewonnen. Früher waren das Nebengeschäfte, bei Die Feinschmecker machen sie inzwischen gut die Hälfte des Umsatzes aus.

Kunden wollen wissen, woher das Fleisch kommt

Mike Griesch plant gerade die nächste Innovation: Eine der drei Filialen in Einkaufszentren soll bis zum Herbst umgestaltet werden. „Dort wird eine gläserne Produktion mit Geräten eingerichtet, wie sie auch in unserer zentralen ,Wurstküche‘ stehen. Da kann dann auch mal ein halbes Schwein hängen“, sagt er. Das Ziel: mehr Transparenz für die Kunden. „Sie wollen immer häufiger wissen, woher das Fleisch stammt, das sie kaufen, wie das Tier gehalten wurde, was es gefressen hat“, sagt Innungsobermeister Durst. In der umgestalteten Filiale werden Feinschmecker-Kunden künftig zusehen können, wie Wurst entsteht und Fleisch zerlegt wird. Das soll Vertrauen schaffen, kostet aber Platz. Beim Umbau wird ein traditionelles Herzstück des Fleischerfachgeschäfts verkleinert – die Aufschnitttheke.