Hamburg. Dritter Teil der Abendblatt-Serie: Die Anstalt Friedrichsberg war eine der fortschrittlichsten Psychiatrien ihrer Zeit.

Ausgegrenzt, gefesselt – das war das Schicksal von psychisch Kranken über viele Jahrhunderte hinweg. Sie wurden in sogenannten Irrenanstalten eingesperrt. Eine Behandlung gab es nicht. Mit Zwangs- und Strafmaßnahmen ähnelten diese Einrichtungen mehr Gefängnissen als Krankenhäusern. Erst im Laufe des 19. Jahrhunderts verbesserte sich die Situation dieser Patienten. Dabei nahm Hamburg eine Vorreiterrolle ein. Hier wurde 1864 die „Irren-, Heil- und Pflegeanstalt Friedrichsberg“ eröffnet, auf dem Gelände der heutigen Schön Klinik Hamburg Eilbek.

Der erste Direktor des Krankenhauses, Dr. Ludwig Meyer, war ein Anhänger der sogenannten No-Restraint-Bewegung („keine Zwangsmaßnahmen), die von England ausging und auf jegliche mechanische Zwangsmaßnahmen verzichtete. In der neuen Klinik wurden die Patienten nicht mehr in Zwangsjacken gesteckt und vergitterte Fenster gab es kaum noch. Damit gehörte Friedrichsberg zu den fortschrittlichsten psychia­trischen Kliniken seiner Zeit.

Kaum Therapiemöglichkeiten

Das Krankenhaus hatte anfangs 240 Betten, wurde aber aufgrund des großen Bedarfs schnell ausgebaut. Auf dem weitläufigen Krankenhausgelände entstanden immer mehr „Siechenhäuser“. 1908 gab es in der Klinik bereits 1400 Patienten. „Die meisten von ihnen kamen wegen Depressionen, Suizidversuchen, Alkoholkrankheit und Demenz. Oder sie litten an sogenannten ,einfachen Seelenstörungen‘, Krankheiten wie Schizophrenien oder Manien, die heute als Psychosen bezeichnet werden“, sagt Dr. Kai Sammet, stellvertretender Leiter des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE).

Viele Patienten hatten eine Krankheit, die heute kaum noch jemand kennt, die Neurosyphilis. Typisch für dieses Spätstadium der Geschlechtskrankheit waren Größenwahn, Tobsuchtsanfälle, Konzentrationsstörungen und eine schwere Demenz, die innerhalb weniger Jahre zum Tode führte. Die Neurosyphilis war eine der ersten psychischen Erkrankungen, die man behandeln konnte, auch wenn diese Therapie aus heutiger Sicht etwas befremdlich erscheint.

Kranke mit Malaria infiziert

Nachdem man festgestellt hatte, dass sich bei Fieber die Symptome dieser Patienten besserten, begann der österreichische Psychiater Julius Wagner-Jauregg damit, die Kranken mit Malaria zu infizieren und dadurch künstliche Fieberschübe zu erzeugen. Für diese Entdeckung erhielt er 1927 den Nobelpreis für Medizin. „Diese Therapie wurde auch 1919 in Friedrichsberg eingeführt. Dadurch konnte man die Neurosyphilis zwar nicht heilen, aber den Krankheitsverlauf verlangsamen“, sagt Sammet.

Ansonsten gab es im 19. und zu Anfang des 20. Jahrhunderts kaum Behandlungsmöglichkeiten für die psychisch Kranken. „Ende des 19. Jahrhunderts versuchte man, unruhige Patienten zur Ruhe kommen zu lassen, indem man ihnen über längere Zeit Bettruhe verordnete. Dem gleichen Zweck dienten Dauerbäder. Unruhige Patienten wurden über Stunden in Badewannen gelegt“, sagt Sammet.

Auch für Zerstreuung wurde gesorgt

Ganz im Vordergrund stand eine Behandlung, die man heute als Arbeitstherapie bezeichnen würde. Frauen halfen in der Küche, erledigten kleine Näharbeiten oder machten Handarbeiten. Für die Männer gab es Werkstätten wie zum Beispiel die Schuhmacherei oder die Bürstenmacherei. Auch für ausreichend Zerstreuung wurde gesorgt. Auf dem Gelände gab es unter anderem eine Kegelbahn und ein Konzerthaus.

Während die armen Patienten meist in größeren Sälen mit sechs bis acht Betten untergebracht waren, gab es für wohlhabende Bürger, die ihren Aufenthalt selbst bezahlten, sogenannte Männer- und Frauenpensionate. Hier wurden die Patienten in Einzelzimmern untergebracht, konnten statt der Anstaltskleidung ihre Privatkleidung tragen. In den Pensionaten gab es auch Salons, Billard- und Rauchzimmer.

Größter Teil der Patienten war arm

Doch der größte Teil der Patienten war arm. Und weil Friedrichsberg ständig überbelegt war, wurde 1893 eine Anstalt in Langenhorn eröffnet, das spätere Krankenhaus Ochsenzoll, heute Asklepios Klinikum Nord. Dorthin wurden von Friedrichsberg arme Patienten mit chronischen Erkrankungen verlegt. Auf dem Gelände wurde eine Landwirtschaft betrieben, in der auch die Patienten mitarbeiteten.

Wegen der ständigen Überbelegung hatte der gute Ruf von Friedrichsberg stark gelitten. Es war zur reinen Verwahranstalt geworden. Das änderte sich erst 1908, als Dr. Wilhelm Weygandt die Leitung des Krankenhauses übernahm und die wissenschaftliche Forschung vorantrieb. „Es wurde dort an der Anatomie des Gehirns geforscht, und der Leiter dieser Abteilung, Alfons Jakob, hat als Erster eine Gehirnerkrankung beschrieben, die später nach ihm und dem Mitentdecker Creutzfeldt-Jakob-Krankheit genannte wurde“, sagt Sammet. Heute kennen wir diese Erkrankung vor allem in Zusammenhang mit der Rinderseuche BSE, die bei Menschen eine neue Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit auslösen kann.

Patienten wurden Opfer des NS-Regimes

Mit seiner wissenschaftlichen Tätigkeit wurde Friedrichsberg zur Universitätspsychiatrie der 1919 gegründeten Universität Hamburg. Doch mit dem Beginn des Dritten Reiches war auch die Blütezeit dieses Krankenhauses vorbei. Die Universitätspsychiatrie wurde ins UKE verlegt, viele Patienten aus Fried­richsberg kamen nach Langenhorn oder in andere Kliniken.

Mehr als 300 Patienten, die in Fried­richsberg gewesen waren, wurden Opfer des NS-Euthanasieprogramms. Ein
Opfer war die Hamburger Künstlerin Elfriede Lohse-Wächtler, die 1929 nach einem Nervenzusammenbruch zwei Monate lang in Friedrichsberg war und während dieser Zeit die „Friedrichsberger Köpfe“, malte, die hauptsächlich Mitpatienten zeigten. Die Malerin musste später wegen psychischer Probleme erneut in die Psychiatrie eingewiesen werden. 1935 wurde sie wegen „unheilbarer Geisteskrankheit“ entmündigt und zwangssterilisiert und 1940 in der Landes-Heil- und Pflegeanstalt Pirna-Sonnenstein ermordet – sie galt als „lebensunwert“.

1943 wurde das alte Krankenhaus während des Krieges fast völlig zerstört und ab 1948 wieder aufgebaut. Heute hat die Schön-Klinik Hamburg Eilbek elf Fachabteilungen und zählt mit rund 700 Betten zu den größten Hamburger Krankenhäusern.

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