Hamburg. Erstmals sinkt die Zahl der Jobsuchenden 2017 in der Hansestadt unter die wichtige Marke. Was tatsächlich dahinter steckt.

Früher als erwartet ist die Zahl der Arbeitslosen in Hamburg unter die Marke von 70.000 gefallen. „Wir erleben eine ähnliche Entwicklung wie im Vorjahr, nur dass sie in diesem Jahr noch einen Monat früher eingesetzt hat“, sagt Sönke Fock, Vorsitzender der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit. Im Mai waren 69.712 Hamburger arbeitslos gemeldet. Das sind 1,3 Prozent weniger als im Vormonat und 1,4 Prozent weniger als im Mai 2016. Die Arbeitslosenquote liegt bei 6,8 Prozent. „Spätestens ab September wird die Arbeitslosigkeit weiter spürbar sinken“, sagt Fock. „Wir haben sicherlich noch nicht den niedrigsten Wert des Jahres gesehen.“ Mit den Sommermonaten könne allerdings die Zahl der Jobsuchenden vorübergehend leicht ansteigen. Auch bundesweit zeigt sich der Arbeitsmarkt von seiner besten Seite. Erstmals seit 26 Jahren sind in Deutschland weniger als 2,5 Millionen Arbeitslose registriert. Im Mai waren 2,498 Millionen Männer und Frauen ohne Arbeit. Das sind 166.000 weniger als vor einem Jahr. Die Arbeitslosenquote beträgt somit 5,6 Prozent. Das Abendblatt analysiert die wichtigsten Bereiche und Problemfelder des Hamburger Arbeitsmarktes.


Verdeckte Arbeitslosigkeit: Einen Arbeitsplatz suchen in Hamburg viel mehr als die 69.712 Menschen, wie sie in der ersten und meist beachteten Arbeitsmarkt-Statistik ausgewiesen werden. Arbeitssuchend, wie das in der Arbeitsagentursprache offiziell heißt, waren im Mai insgesamt 135.448 Hamburger. Das ist zwar gegenüber dem Vormonat ein geringer Rückgang, im Jahresvergleich hat aber die Zahl der Arbeitssuchenden um 1,5 Prozent zugenommen. In diese Zahl gehen neben den knapp 70.000 arbeitslosen Hamburgern weitere Jobsuchende ein, die laut Statistik nicht als arbeitslos gelten, weil sie erkrankt sind, an einer Weiterbildung teilnehmen, als Ältere über 58 Jahren seit mehr als einem Jahr kein Jobangebot mehr erhalten haben oder durch Kündigung von Arbeitslosigkeit bedroht sind (siehe Tabelle).

Den Anstieg der Arbeitssuchenden begründet Fock mit der hohen Zahl potenzieller Arbeitsloser, die von ihrer Kündigung erfahren haben. Die Gruppe macht rund 37.000 Personen aus und hat um knapp fünf Prozent zugenommen. „Ursache sind viele befristete Arbeitsverhältnisse“, sagt Fock. Die Beschäftigten müssen sich als arbeitslos melden, bevor sie erfahren, ob ihr Vertrag verlängert wird.

Viele freie Stellen: Die Zahl der unbesetzten Stellen ist um acht Prozent höher als vor einem Jahr. Insgesamt könnten sofort 16.164 Arbeitsplätze besetzt werden. „Es werden vor allem Fachkräfte gesucht, während es für Ungelernte wenig Chancen gibt“, sagt Fock. Die meisten freien Stellen gibt es in der Industrie (3900), in der Logistik (3300) und in sozialen Berufen (2300). Die Arbeitslosigkeit könnte also weiter verringert werden, wenn die Profile der Bewerber und die Anforderungen der Unternehmen besser in Übereinstimmung gebracht würden. Das ist allerdings bisher ein ungelöstes Problem.

Zahlreiche neue Arbeitsplätze: Innerhalb eines Jahres sind in Hamburg knapp 20.000 neue sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze entstanden. Das ist ein Zuwachs von 2,1 Prozent. „Fast alle Branchen bis auf die Finanzdienstleistungen schaffen neue Arbeitsplätze“, sagt Fock. So entstanden bei den wissenschaftlichen und technischen Dienstleistungen 4300 Arbeitsplätze innerhalb eines Jahres, 3300 im Handel. Diese Dynamik beim Stellenaufbau hilft dem Arbeitsmarkt, auch wenn die Arbeitslosen nicht eins zu eins von den neu geschaffenen Stellen profitieren, weil es auch einen starken Zuzug von außerhalb und aus dem Umland in den Hamburger Arbeitsmarkt gibt. Mehr als jeder zweite der neuen Arbeitsplätze ist allerdings ein Teilzeitjob, wie eine Analyse der vergangenen zehn Jahre zeigt. 60 Prozent der 181.000 neu geschaffenen Stellen sind Teilzeitjobs.

Mehr Zuwanderer ohne Job: Bestimmte Gruppen werden am Arbeitsmarkt gesondert betrachtet, weil es ihnen schwerer als anderen fällt, eine neue Stelle zu finden. Dazu gehören Schwerbehinderte, Langzeitarbeitslose, Ältere und auch Ausländer. Im Mai haben fast alle diese Gruppen vom Rückgang der Arbeitslosigkeit profitiert – bis auf die Ausländer. Innerhalb eines Jahres nahm die Zahl der arbeitslosen Ausländer in Hamburg um 6,4 auf 22.319 zu. „Einen hohen Anstieg gibt es bei Syrern, Afghanen, Iranern und Irakern“, sagt Fock. Er rechnet mit einem weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit in diesem Bereich, wenn die Flüchtlinge aus Integrations- und Sprachkursen kommen und dann in die erste Arb eitsmarktstatistik eingehen. In Hamburg sind derzeit 9600 Geflüchtete in solchen Kursen.

Der Jobboom birgt auch Gefahren

Lehrstellen unbesetzt: Eine solide Ausbildung ist der beste Schutz vor Arbeitslosigkeit. Von mehr als 10.000 bei der Arbeitsagentur gemeldeten Lehrstellen sind noch rund die Hälfte zu besetzen. Das sind 13 Prozent mehr als vor einem Jahr. Gleichzeitig suchen noch knapp 4900 Schulabgänger einen Ausbildungsplatz. Zumindest rechnerisch muss somit niemand auf eine Lehrstelle verzichten. Allerdings passen häufig Angebot und Nachfrage nicht überein. Für Kaufleute im Einzelhandel gibt es noch rund 780 freie Ausbildungsplätze, 440 für Verkäufer, 130 für Friseure und 120 für Elektriker.