Hamburg. Hausherr Ulrich Waller und Volker Lechtenbrink setzen in der Revue “Große Freiheit Nr. 7“ voll auf Musik und Melancholie.
„Ihr immer mit eurem Hamburg!“ Was der vergnügungswillige Matrose da in einer der ersten Szenen augenrollend über die ewige Hamburg-Verehrung (der Hamburger für sich selbst) sagt, das hat auch ein bisschen was von dem aufgeweckten Kind im Märchen „Des Kaisers neue Kleider“. Nur, dass der Kaiser hier nicht nackt umherspaziert, sondern in Opas alter Lederjacke vom Dachboden.
Ulrich Wallers „Große Freiheit Nr. 7“, eine Bühnenbearbeitung nach dem Filmklassiker von Helmut Käutner, setzt voll und ganz auf Nostalgie. 1943 gedreht, von Reichspropagandaminister Goebbels verboten – schon der Titel konnte ihm nicht gefallen –, nach Kriegsende dann in allen Lichtspielhäusern gezeigt.
„Große Freiheit Nr. 7“, die Geschichte des Mythos St. Pauli
Die Geschichte um einen alternden Seemann, der als Stimmungssänger im Hippodrom arbeitet und noch einmal die wahre Liebe trifft – und verliert. Und, vor allem, die Geschichte eines Mythos: St. Pauli. An dem hat auch der Film kräftig mitgestrickt und nach St. Pauli heißt schließlich auch das Theater, das diesen Stoff zum Spielzeitende mit großer Besetzung und Volker Lechtenbrink in der Hans-Albers-Rolle realisiert.
„Reeperbahn, Große Freiheit, Johnny Kröger, das genügt“, sagt Johnny, als er seine adrette Gisa das erste Mal trifft. Damit ist auch der Abend im Grunde sehr gut umrissen. Reeperbahn, Große Freiheit, Hans Albers, Volker Lechtenbrink.
Theaterchef Waller hat keine Furcht vor reichlich Pathos
Und, natürlich, jede Menge legendäre Schlager, aus dem Film und darüber hinaus, live begleitet durch die famose Orchestergraben-Band unter Matthias Stötzel. Theaterchef Ulrich Waller setzt auf eine Musikrevue, hat keine Furcht vor reichlich Pathos und baut auf ein Publikum, das sich zu gern auf solch lokalpatriotische Sentimentalitäten einlässt. „What shall we do with the drunken sailor...“ Es dauert nicht einmal fünf Minuten, da wird im Parkett schon shantyfest mitgeklatscht.
Die Wiederauferstehungsfeier einer Stadt aus weit vorelbphilharmonischen Zeiten kann man da beobachten, eine Hommage an das alte Hamburg, vor ansonsten fast schon cool animierten Stadtbildern der Illustratorin Birgit Schössow.
Das spielfreudige Ensemble des St. Pauli Theaters findet schöne Momente
Während Hans Albers sich damals noch Hannes nennen musste, auch so eine Goebbels-Vorgabe, darf der knorrige Seemann bei Waller und Lechtenbrink ein Johnny sein, der seinen Fernwehblick über die Elbe schickt, „mein Hamburg betrachten, von seiner schönsten Seite“. Wo die Deerns sich beim Sonntagstanz noch von den Herren führen lassen, wie es sich halt gehört.
Schöne Momente findet das spielfreudige Ensemble, das am St. Pauli Theater schon so manche Revue mit Lokalkolorit gewuppt hat und auch diesmal souverän verschiedene Typen meistert. Neben Victoria Fleer als liebe und dabei handfeste Gisa sind auch die prächtige Brigitte Janner als rustikale Zimmerwirtin und ihr Kollege Niels Hansen unbedingt hervorzuheben: Wie Hansen als oller Kellner im Tanzlokal Sagebiel einmal über die gesamte Bühnenbreite schlurft und lakonisch „Kollege kommt gleich“ knurrt, ist einer der lustigsten Auftritte des Abends.
Wird gesungen, ist der Abend rund – doch die Schnitte sind hektisch
Dennoch sind die Spielszenen nur der Kitt zwischen den Liedern, zu denen auch Freddy Quinns „Hamburg, altes Mädchen“ gehört. Wird gesungen, ist der Abend rund, dann wird tatsächlich das eine oder andere Tränchen der Rührung verdrückt. Die Schnitte zwischen den Szenen aber geraten bisweilen hektisch. Dauernd wird irgendeine Kulisse verschoben, nächstes Bild, weiter, als traue Waller der Kraft des Augenblicks nicht recht über den Weg.
Schön wird es, wenn sich die Schauspieler etwas Raum nehmen dürfen. Dann verleiht Anne Weber ihrer Hippodrom-Chefin Anita („Beim ersten Mal tut’s noch weh“) eine funkelnde, zerbrechliche Rotzigkeit. Ihr Johnny lässt sie trotzdem sitzen, schon klar, seine Braut ist die See. Aber das Kompliment der Woche gehört am Ende ihr: „Du warst bestimmt nich’ die Schlechteste“, wirft Lechtenbrink ihr hin, und man nimmt ihm glatt ab, dass er das an dieser Stelle wirklich liebevoll meint. Volker Lechtenbrink ist immer dann am stärksten, wenn er die Melancholie eher wirken lässt, als sie betont zu spielen. Johnny, der am Leben Scheiternde, der so gern ankommen möchte, für den der Dampfer aber längst abgefahren ist.
In „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“ stimmt auch ein Ex-Bürgermeister ein
In sich ist die Inszenierung absolut stimmig. Es steckt viel Sehnsucht und Wahrhaftigkeit in diesem Abend, der sich ernst nimmt und vollkommen unzynisch, unironisch, ungebrochen ein Märchen erzählt. Dazu gehört schon auch, dass sein ehemaliger Erster Bürgermeister sich in der Premiere nicht zu fein ist, „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“ mitzusingen. Hanseatisch zurückhaltend, versteht sich.
Und auch dass zur Zugabe noch einmal alle schunkelnderweise die „Reeperbahn“ anstimmen, man hätte getrost seine Heuer darauf verwetten können. Irgendwie sogar schön, dass es dann ganz genau so kommt.
Große Freiheit Nr. 7, St. Pauli Theater, Spielbudenplatz, Termine zunächst bis 15.7., Karten von 18,90 bis 63,90 Euro in der Abendblatt-Geschäftsstelle, Großer Burstah 18-32, oder unter T. 30 30 98 98