Hamburg. Das Haus der Photographie zeigt bis 20. August die Installation „Pathos und Distanz“ des Berliner Künstlers.

Es ist keine gewöhnliche Fotoausstellung, die jetzt im Haus der Photographie eröffnet wurde. Inhaltlich nicht und auch nicht in der Präsentation. Was Andreas Mühe fotografiert und inszeniert, rührt an Tabus und zielt mitten ins deutsche Gemüt. In das, was tief vergraben ist in den meisten deutschen Familiengeschichten. Auf Begriffe wie Heimat oder Vaterland, die durch zwölf Jahre Missbrauch durch die Nationalsozialisten bis heute einen negativen Beigeschmack haben. Und auf das, wozu Macht und Ohnmacht Menschen treiben kann.

Der Künstler
Als Sohn des Schauspielers Ulrich Mühe („Das Leben der Anderen“) und der Theaterintendantin Annegret Hahn stammt Andreas Mühe (37) aus einer Künstlerfamilie, und das Theatralische ist sehr mächtig in dieser Ausstellung. Mühe absolvierte eine klassische Fotografen-Ausbildung, war zehn Jahre für Magazine unterwegs und begann im Zuge dessen mit eigenen Serien. Rund um Adolf Hitlers Domizil am Obersalzberg inszenierte Mühe Heldenbilder, deren Ästhetik er exakt von dem Hitler-Fotografen Walter Frentz kopierte – mit dem Unterschied, dass seine Freunde, die dafür in SS-Uniformen aus dem Theaterfundus schlüpften, in die Landschaft pinkelten.

Die „deutsche Hilflosigkeit“ (Mühe) im Umgang mit der eigenen Geschichte hat der Fotograf in der DDR erfahren. Am liebsten sei er im Wald, gesteht er, der doch mitten in Berlin lebt. Allein auf der Insel Rügen verbrachte er mehrere Wochen, um einen so romantischen Sonnenaufgang fotografieren zu können, wie ihn Caspar David Friedrich einst gemalt hat: Mit seinen Bildern, sagt Mühe, wolle er Dinge ausdrücken, die er nicht in Worte fassen könne. Er wolle „etwas bewirken.“ Der noch immer wunde Heimatbegriff, der müsse „wieder für uns beansprucht werden. Daran darf es keinen Makel mehr geben.“ Die Jahre unter der Naziherrschaft dürften die Beziehung zum eigenen Land nicht für immer vergiften.

Der Merkel-Fotograf
Über den Türstürzen – in den DDR-Schulen traditioneller Platz für ein Honecker-Bild – hat Mühe in der Deichtorhalle Porträts von Helmut Kohl und Angela Merkel gehängt.

Viele Politiker hat Andreas Mühe fotografiert. Er gilt als der Merkel-Fotograf. Das stimmt aber schon länger nicht mehr. Stattdessen stammt eine Serie mit dem Titel „A.M.“ von ihm. Sie zeigt eine der Bundeskanzlerin zum Verwechseln ähnliche Frau von hinten, die aus einem Autofenster heraus auf berühmte deutsche Orte wie den Rügener Kreidefelsen oder die Zugspitze blickt. „Eigentlich eine Liebeserklärung an Angela Merkel“, sagt der Fotograf.

Die Ausstellung
Andreas Mühe setzt auf Effekt und Überwältigung. Aus einer konventionellen Ausstellung hat er eine wuchtige Installation gemacht: Auf der einen Seite wurde ein hoher schwarzer Jägersteig mit Beobachtungsschlitzen aufgebaut, originalgetreu nach einem in der Schorfheide, wo preußische Könige, Nazis und dann aber Erich Mielke und Erich Honecker gejagt haben. Das Verhältnis der Obrigkeit zur Jagd sei in der DDR „pervers“ gewesen, sagt Mühe. Er wollte wissen, was ein Gesicht im Moment des Tötens ausdrückt. Also begleitete er Jäger. Es sei „irre“ gewesen.

Die nächtlichen Fotos frisch geschossener Tiere leuchten aus Kästen vom Boden hinauf, und provozieren widersprüchliche Gefühle. Daneben hat Mühe seine groß abgezogenen Fotos auf der gesamten Wand anbringen lassen, bis zur Höhe von 5,80 Metern und darüber hinaus: „Diese Wand ist gewaltig, erschlagend und jeglicher Kommunikation abhold“, findet er. Das liegt an der schieren Größe und Masse, den abgewandten Menschen, aber auch an den heiklen Sujets, die er verknüpft. Alles gehe doch sowieso ineinander über, so wie auf der Wand eben, sagt er.

Durch drei farblich unterschiedlich gestrichene Tunnel gelangt man in kleinere Kammern, die einzelnen Serien gewidmet sind. Mühe versteht sie als Adern aus einem Körper.

Die interessantesten Fotos
Ein fleischrosa gestrichener Tunnel führt in einen ebenso farbigen Raum, in dem Mühe 38 Weihnachtsbäume im Kleinformat nebeneinander gehängt hat, nach eigenen Worten „reinszeniert“ von seinem Geburtsdatum 1979 bis heute – als „Zeichen der verrinnenden Zeit“ sagt der Fotograf. Wer genau hinschaut auf die teils üppigen und fröhlichen, teils sehr mickrigen, spärlich geschmückten Fichten, aber vor allem auf die gespenstischen Schatten unter und hinter dem jeweiligen Baum, der fragt sich, ob er nicht vielmehr ein persönliches Jahrestagebuch vor sich hat.

Ein schwarz ausgemalter Raum, den er als „Ahnentafel und Gruselkabinett“ ankündigt, zeigt fast nur makellose nackte Männer in Unterwürfigkeitsposen, die Mühe ebenfalls den Fotos des Walter Frentz entnommen hat. Einmal hat er ein Bündel schwarzer Gummihandschuhe fotografiert, die man im alten Tunnelsystem des Obersalzbergs Jahrzehnte nach dem Ende des Hitlerregimes gefunden hat. Gummihandschuhe für Menschen, die sich die Hände nicht schmutzig machen wollten. Devotionalien oder Fetische, sagt Mühe.

Aber es geht nicht nur gegen die Nazis. Auch die DDR-Funktionäre kriegen ihr Fett weg: Erich Honeckers Kurz-Nachfolger Egon Krenz fotografierte Mühe vor seinem erzspießigen Laubenpieper-Paradies, und dann nahm er Honeckers Jagd-Haus „Wildfang“ auf, beschaulich im Dunkeln leuchtend wie in Grimms Märchen. Mühe ist auch in dessen weiß gekachelte Jagdkammer vorgedrungen. An kräftigen Haken wurden tote Rehe an ihren Köpfen aufgehängt. In der Kühlkammer blieben sie länger frisch.

„Andreas Mühe: Pathos als Distanz“ 19.5.–20.8. Haus der Photographie, (U Steinstraße), Deichtorstraße 1–2, Di–So 11.00–18.00, Eintritt 10,-/6,-