Hamburg. Klaus Püschel kritisiert, dass der rigide Datenschutz seinen Preis habe. Schon Neugeborene sollten eine DNA-Probe abgeben.
Jedes Jahr werden im Hamburger Institut für Rechtsmedizin rund 4000 Tote untersucht. Nicht alle sind eines natürlichen Todes gestorben. Manche dieser Menschen sind bei Unglücken wie einem Sturz in die Elbe oder durch Gewalt umgekommen. Institutsdirektor Klaus Püschel und seine Mitarbeiter müssen die Identität der Opfer klären und die Todesursache feststellen. Wenn es um ein Verbrechen geht, sind auch Spuren zu sichern. Haben die Rechtsmediziner eine DNA gefunden, ist es oft noch ein mühsamer Weg bis zur Ermittlung eines nicht schon polizeibekannten Täters.
Püschel könnte sich eine radikale Vereinfachung vorstellen. „Wir sollten den DNA-Code von jedem Menschen in unserem Lande haben“, schlägt der Medizinprofessor vor. Von jedem Neugeborenen und jedem Erwachsenen, aber auch von jedem Touristen und von allen Flüchtlingen sollte eine DNA-Probe genommen werden. „Dann können wir Verbrechen viel schneller und viel besser aufklären, weil wir bei jeder Spur an einem Geschehensort sagen können, von wem die Spur ist“, erklärt Püschel. Auch nach einem Unglücksfall wäre die Identifizierung von Toten viel einfacher. „Wir könnten dann bei jeder Wasserleiche in der Elbe sofort sagen, wer es ist.“ Deutschland wäre insgesamt viel sicherer, glaubt Püschel. „Es wäre geradezu eine Oase im verbrecherischen Umfeld.“
Die Daten sollten sicher gespeichert werden
Die Daten sollten nach Ansicht des Rechtsmediziners an einem vollkommen sicheren Ort gespeichert werden, „tief unten in einem Bergwerk“, und auch vor Hackerangriffen absolut geschützt sein. Über den Zugang sollten mehrere Richter wachen, die die Daten nur in gesetzlich klar definierten Fällen herausgeben, etwa bei Entführung, Vergewaltigung, Mord und Totschlag.
Jan Reinecke, Landesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter in Hamburg, sagt zu dem Vorschlag: „Aus kriminalistischer Sicht wäre das ein interessanter Gedanke. Die polizeiliche Arbeit könnte dadurch erheblich vereinfacht werden.“ Doch dann äußert er große Bedenken: „Wer sichert uns zu, dass diese Datenbank nicht in falsche Hände gerät, beispielsweise in die von Kriminellen, anderen Staaten oder auch der privaten Wirtschaft, die daraus ihren Nutzen ziehen könnten und wohl auch würden?“
Datenschützer Caspar warnt vor Püschels Idee
Auch Hamburgs Datenschutzbeauftragter Johannes Caspar warnt eindringlich vor Püschels Idee. „Eine Erfassung des individuellen genetischen Codes der Bevölkerung stellte einen massiven millionenfachen Eingriff in das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung und die Menschenwürde dar“, betont Caspar. Eine genetische Vorratsdatenspeicherung sei weder mit der Unschuldsvermutung noch mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar. „Eine Strafverfolgung um jeden Preis, die den Einzelnen ohne Anlass als Objekt der staatlichen Kontrolle behandelt, mag es in totalitären Systemen geben. Dem Rechtsstaat sind derartige Ansätze fremd“, urteilt der Datenschützer.
Caspar sieht auch die Gefahr, dass genetische Anlagen ausgeforscht werden. Schon bei früheren Gesetzgebungsverfahren sei darauf geachtet worden, dass besonders schutzbedürftige Persönlichkeitsmerkmale nicht erfasst werden.
Püschel möchte die DNA als Zahlencode speichern
Püschel widerspricht dieser Sorge vehement. Es gehe nur um einen Zahlencode. „Da ist nichts von unserer Persönlichkeit dabei. Kein Mensch weiß, welche Augenfarbe Sie haben oder ob Sie graue Haare haben. Das ist nur wie Lottozahlen, die sagen nichts darüber aus.“ Es wäre dann unnötige Arbeit, nach weiteren Merkmalen zu suchen. Jetzt müssten Ermittler immer noch überlegen, ob ein Täter blond sei und dunkle Augen habe. „Das hilft einem doch nicht viel, ehrlich gesagt. Sie kommen nur auf diese Person, wenn sie seinen DNA-Code haben“, sagt Püschel. Zudem offenbarten sich die meisten Menschen sowieso weitgehend im Internet. „Wo ist das Problem – bei einer Zahlenkombination?“
Die stellvertretende Landesvorsitzende des Weissen Rings, Kristina Erichsen-Kruse hätte damit persönlich kein Problem, obwohl sie ebenfalls sehr bezweifelt, dass die Daten auf Dauer dem Zugriff Dritter entzogen und vor Hackerangriffen geschützt werden könnten. Erichsen-Kruse weiß aber auch, wie wichtig es ist, Verbrecher zur Rechenschaft zu ziehen. „Für Verbrechensopfer ist es häufig das A und O, dass der Täter gefunden wird. Sie wollen, dass ihnen als Opfer Recht widerfährt“, betont die Vize-Vorsitzende der Hilfsorganisation. „Betroffene schwerer Gewaltdelikte wie zum Beispiel Vergewaltigungsopfer oder Eltern, deren Kind getötet wurde, können sonst nie abschließen.“