Hamburg. Wie Bürgermeister Scholz und Umweltsenator Kerstan um den Reinhalteplan rangen. Jetzt gibt es ein “Fahrverbötchen“ für Diesel-Autos.
Nein, es wurden keine Atomraketen in Hamburg stationiert am Dienstag. Obwohl man einen Geheimplan dieser Kategorie fast hätte vermuten können – angesichts der extremen Anspannung, die sich am vergangenen Wochenende und am 1. Mai rund ums rot-grüne Rathaus fast schon ertasten ließ. Senatsvertreter reagierten tagelang nicht auf Anfragen, und wenn man doch mal jemanden erwischte, dann übte sich der Sprecher in Schweigen. Oder im Nichtssagen. Das gehört zwar zur Berufsbeschreibung, allerdings nicht so derart penetrant wie dieses Mal. Selbst das Thema der jeweils dienstäglichen Landespressekonferenz wurde noch am späten Montag offiziell geheimgehalten.
Angst ums Auto
Gleich nach Angst vor Atomraketen, so erklärte ein Politiker später die akute Sprechstarre, komme bei den Deutschen die Angst davor, ihr Auto nicht mehr immer und überall benutzen zu dürfen. Und auch darum ging es schließlich am Dienstag bei der Landespressekonferenz um halb eins im schmucklosen Raum 151 des Rathauses.
Dort präsentierte Umweltsenator Jens Kerstan nämlich die, wenn man so will, geheime Verschlusssache Luftreinhalteplan. Bis zur letzten Minute hatten die Behörden an dem brisanten Papier gefeilt, das mit zehn „Maßnahmenpaketen“ dafür sorgen soll, die seit 2010 geltenden EU-Grenzwerte für die Belastung der Luft mit giftigen Stickoxiden zumindest 2025 überall einzuhalten. Die Nervosität im Vorlauf hatte also vor allem mit Angst zu tun: der Angst mancher Hamburger vor Fahrverboten, der Angst der Politik vor der Wut dieser Autofahrer – und der Angst von SPD-Bürgermeister Olaf Scholz und Grünen-Senator Kerstan vor Gesichtsverlust.
"Keine Fahrverbote"
Denn Scholz hatte (zu lange und zu laut) versprochen, es werde keine Fahrverbote geben. Und Kerstan stand unter dem Druck, endlich bei einem grünen Kernthema zu punkten, statt es immer nur bei Symbolpolitik zu belassen, also die letzten drei Kaffeekapseln in Behörden zu verbieten oder für Fotografen Sumpfeichen zu pflanzen. Die Grünen wollen bekanntlich eine Umweltzone mit Einfahrverboten für Giftdiesel.
Scholz dagegen hätte am liebsten auf eine Lösung durch kluge Wolfsburger Ingenieure gewartet, statt etwas zu entscheiden, das eh nur Ärger macht. Die Ingenieure aber haben ihr Gehirnschmalz bekanntlich lieber in kriminelle Energie statt in kluge Innovationen verwandelt. Also blieb Scholz nichts übrig, als einem kleinen Fahrverbot zuzustimmen. Schließlich sitzen Gerichte und EU den Städten im Nacken.
Zwangsgeld droht
Zuletzt war daher nicht nur der Druck groß – sondern auch die Eile. Bis 30. Juni muss ein neuer Luftreinhalteplan vorliegen, andernfalls droht Hamburg ein Zwangsgeld. Um den Termin zu erreichen, musste der Planentwurf am Dienstag im Senat beschlossen werden. So kann er vom kommenden Montag an für einen Monat ausgelegt und, wenn alles klappt, am 30. Juni vom Senat beschlossen werden. Auf den allerletzten Drücker. Die Zeitnot führte dazu, dass der Entwurf vorgestellt wurde, ohne dass wesentliche Gutachten dazu in Gänze vorlagen. Man habe lediglich die Zahlen vorab eingearbeitet, räumten Kerstan und seine Mitstreiter am Dienstag ein.
Glühende Wutbürger
Am Ende knirschten sowohl Grüne als auch die SPD hörbar mit den Zähnen. Die letzten gegenseitigen Bedenken wurden dennoch ausgeräumt – eine Woche vor der Landespressekonferenz in einem Achtaugengespräch beim Bürgermeister, an dem neben Kerstan auch Senatskanzleichef Christoph Krupp und Umweltstaatsrat Michael Pollmann teilnahmen. Bis zum Tag der Arbeit wurde noch an den Texten gefeilt – unter größter Geheimhaltung. Auf keinen Fall sollten Teilmaßnahmen vorab bekannt werden und autorisierten Wutbürgern das Vorglühen ermöglichen.
Und mit Wut war zu rechnen. Denn vorausgesetzt, das Bundesverwaltungsgericht bestätigt das Recht von Kommunen zur Einführung solcher Beschränkungen, dürfen bald Zehntausende Diesel-Pkw und Lkw mit Euro 5-Norm oder schlechter nicht mehr durch ein Stück der Max-Brauer-Allee fahren – und ältere LKW auch nicht mehr durch die Stresemannstraße. Es ist wohl müßig, darüber zu streiten, ob man es als Fahrverbot bezeichnen kann, wenn so vielen Autos das Fahren in einem überschaubaren Bereich verboten wird – oder bloß als „Durchfahrtsbeschränkung“. So hätte die SPD es gerne formuliert – damit man Scholz keinen Wortbruch nachsagen kann. Ganz gleich aber, wie minimal die Beschränkungen in Wahrheit ausfallen: Sie haben einen großen symbolischen Impuls gesetzt, der weit über die Stadt hinaus wirkt.
Wer bezahlt die Ökoparty?
„Was Hamburg da jetzt einführt, ist bestenfalls ein Fahrverbötchen“, lästerte zwar der Ex-Umweltsenator und heutige Chef des Naturschutzbundes Nabu, Alexander Porschke. „Trotzdem ist es ein Signal, das große Wirkung entfalten kann. Wer sich ein Auto anschaffen will, wird sich dreimal überlegen, ob er sich einen Diesel kauft, der in Hamburg und womöglich bald auch in anderen Städten nicht mehr überall fahren darf.“
Auch ein anderer Punkt signalisiert einen Richtungswechsel – vor allem bei Scholz und seiner SPD. Erstmals wird im Luftreinhalteplan festgehalten, was ohnedies jedem klar sein musste: Auch der Hafen ist verantwortlich für die Stickoxid-Belastungen – und soll nun einen Beitrag leisten, damit in Hamburg nach Modellrechnungen nicht 1200 Menschen jährlich durch Luftverschmutzung sterben müssen. Im bisher gültigen, noch vom SPD-Alleinsenat vorgelegten Luftreinhalteplan war der Hafen weitgehend ausgeklammert worden. Nun sollen schwimmende Dreckschleudern ein höheres Hafengeld zahlen und in Altenwerder und bei Eurogate neue Landstromanlagen entstehen – damit Schiffe ihre, im Vergleich zu Autos noch viel giftigeren Abgase, im Hafen reduzieren können.
Auf die Agenda
Dabei gehe Hamburg noch zu nachsichtig vor, findet Nabu-Chef Porschke. „Die Stadt hat 20 Millionen Euro in saubere Stromversorgung der Kreuzfahrtschiffe investiert – und nur ein einziges Schiff nutzt sie“, so Porschke. „Da fehlt es schlicht an politischem und öffentlichem Druck auf Kreuzfahrtunternehmen. Gerade beim Hafengeburtstag gehört das Thema auf die Agenda.“
Amüsiert ist man im Hafen schon jetzt nicht. Bereits am Mittwoch schlug die Hafenelite in der Wirtschaftsbehörde auf, um klarzumachen, was aus ihrer Sicht geht und was nicht – und die Frage zu klären, wer die Ökoparty denn bezahlen soll, die der Senat da bestellt hat.
Es hängt an der Industrie
Auf den Straßen ist die Lage klarer. „Wenn die Autobauer das verkaufen würden, was sie in ihren Prospekten anpreisen, hätten wir die Probleme nicht“, so ein Scholz-Vertrauter. Die Hoffnung auf VW und Co haben SPD und Grüne aber noch nicht aufgegeben. Schließlich hängt ein wesentlicher Punkt des Luftreinhalteplans auch von der Industrie ab: die Umstellung des gesamten Bussystems auf Elektroantrieb. Das ist auch ein Spiel auf Risiko. Bisher sind deutsche Firmen nicht in der Lage, die benötigten E-Bus-Modelle zu liefern.