Hamburg. Der Senat plant ein Fahrverbot für Dieselfahrzeuge in einzelnen Straßen. Was bedeutet das für Hamburgs Autofahrer?

In Hamburg werden die seit 2010 gültigen Grenzwerte für schädliche Stickoxide an zahlreichen Messstellen dauerhaft überschritten. Wie berichtet, plant der rot-grüne Senat deshalb nun auf Druck der EU doch ein Fahrverbot für Dieselfahrzeuge in einzelnen Straßen – entgegen früheren Versprechen von Bürgermeister Olaf Scholz (SPD). Die Ankündigung hat viele Autofahrer unangenehm überrascht und ruft eine Reihe von Fragen auf. Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten.

Leitartikel: Aus für den Diesel?


Warum ist überhaupt ein Luftreinhalteplan in Hamburg nötig?
Schon seit vielen Jahren wird an verschiedenen Stellen in Hamburg die Qualität der Luft gemessen. Dabei wird immer wieder festgestellt, dass besonders bei den gesundheitsschädlichen Stickoxiden Grenzwerte der EU überschritten werden. Das kann bei Anwohnern zu verschiedenen schweren Atemwegserkrankungen führen, in manchen Fällen sogar zum frühzeitigen Tod. Mit einem Luftreinhalteplan, im EU-Recht Luftqualitätsplan genannt, kann eine Kommune eine Maßnahme anordnen, die den Schienen- und Straßenverkehr sowie den Betrieb von Feuerungsanlagen (Heizungen) beschränken, um die Luftqualität zu verbessern. Das Verwaltungsgericht Hamburg hatte in einem Urteil vom 5. November 2014 verlangt, bis Ende Juni 2017 einen neuen Luftreinhalteplan vorzulegen.


Welche Maßnahmen und Ziele hat Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) jetzt angekündigt?
Kerstan will mit seinem Plan, dessen Einzelheiten erst am kommenden Montag komplett veröffentlicht werden sollen, neben dem ÖPNV und der Hafenwirtschaft auch die Fahrer von Pkw und Lkw in die Pflicht nehmen. Ziel sei es, die Stickoxid-Belastung bis 2020 deutlich zu senken und an allen Hamburger Luftmesspunkten (aktuelle Werte sind abrufbar unter www.luft.hamburg.de) die europäischen Grenzwerte spätestens im Jahr 2025 einzuhalten.


Was ist dabei für den Pkw- und Lkw-Verkehr konkret geplant?
Laut Umweltbehörde wurde für jeden Abschnitt mit Grenzwertüberschreitung berechnet, mit welchen Maßnahmen die Sollwerte einzuhalten wären. Dabei berücksichtigt wurden der verstärkte Einsatz emissionsarmer Busse ebenso wie Verkehrsverstetigungen durch Tempolimits und veränderte Ampelphasen sowie Durchfahrtsbeschränkungen. Zwar wird es künftig keine größere Umweltzone geben, jedoch ist erstmals davon die Rede, auf einzelnen Strecken bestimmte Dieselfahrzeuge nicht mehr verkehren zu lassen.


Für welche Straßen sind Durchfahrtsbeschränkungen geplant?
Die Max-Brauer-Allee sollen auf einem einige Hundert Meter langen Abschnitt nur noch Diesel-Pkw und -Lkw befahren dürfen, welche die beste Abgasnorm (Pkw: Euro 6, Lkw: Euro VI) erfüllen. Die Stresemannstraße soll nicht mehr für Lkw ohne Euro VI befahrbar sein, alle Pkw dürfen dort jedoch bleiben.

Was ist mit den Anliegern, dem Lieferverkehr und Handwerkern?
Anwohner und deren Besucher, also auch Krankenwagen, Lieferanten sowie Handwerker im Einsatz werden weiterhin alle Straßen befahren dürfen, selbst wenn ihre Fahrzeuge nicht die geforderten Normen erfüllen. Der typische Durchgangsverkehr mit jenen Autos, die besonders viele Stickoxide ausstoßen, soll jedoch vermieden werden.


Wie viele Pkw wären von einer Durchfahrtssperre betroffen?
In Hamburg zugelassen sind laut Statistikamt Nord und Kraftfahrt-Bundesamt (Stand 2016) 761.573 Pkw, 33,1 Prozent davon sind Diesel-Pkw. Insgesamt gibt es nur 153.824 Autos (Benziner und Diesel) mit HH-Kennzeichen, die Euro 6 erfüllen. 2014 wurden in Hamburg noch 71.445 Diesel mit Euro 5 zugelassen. 2016 waren es nur noch 733 gegenüber 74.606 Euro-6-Dieseln.


Sind Euro-6-Diesel in Sachen Stickoxid überhaupt so viel sauberer als ältere Diesel?
Auf dem Prüfstand ja, in der Praxis leider nicht. Erst kürzlich hat das Umweltbundesamt Messungen veröffentlicht, nach denen auch moderne Diesel-Pkw die EU-Grenzwerte um ein Vielfaches überschreiten. Demnach stießen 25 ausgewählte Euro-6-Diesel im Schnitt 507 Milligramm Stickoxide pro Kilometer aus, der Grenzwert auf dem Prüfstand liegt bei lediglich 80 Milligramm. Vor allem an kühleren Tagen stiegen die Schadstoffbelastungen stark an, weil einige Hersteller „Thermofenster“ nutzen, angeblich zum Motorschutz. Messungen der Deutschen Umwelthilfe zeigten, dass manche selbst 18 Grad plus als zu kalt für eine optimale Abgasreinigung erachten.


Gibt es denn gar keine sauberen Diesel?
Seitdem Umweltbundesamt, Deutsche Umwelthilfe und der Auto-Club ADAC sogenannte Test Real Driving Emissions (RDE) durchführen, sind die schwarzen Schafe im Dieselsegment leichter zu entlarven. Dass man die Motoren sauber bekommen kann, zeigen zum Beispiel E 200d und E 220d von Mercedes, der Audi A5 2.0 TDI sowie der BMW 118d.


Falls es zu Kontrollen des Durchfahrtsverbots kommt: Woran erkennt man eigentlich, ob es sich bei dem Wagen um einen Euro-6-Diesel handelt?
Von außen bislang gar nicht, das steht nur im Fahrzeugschein. Dieser würde dann bei Stichproben-Kontrollen überprüft. Zwar wurde eine blaue Plakette ins Gespräch gebracht, davon ist die Politik jedoch wieder abgerückt. Da aber auch andere Städte wie Düsseldorf, München und Stuttgart über Erweiterungen ihrer Umweltzonen diskutieren, könnte eine spezielle Kennzeichnung nötig werden.

Mit welchem Bußgeld wäre zu rechnen, wenn man das Durchfahrtsverbot ignoriert?
Wahrscheinlich ist ein Verwarnungs- oder Bußgeld von 20 bis 75 Euro. Das entspricht den Sätzen für Pkw und Lkw beim Missachten von Durchfahrtsbeschränkungen. In anderen Städten gibt es explizite Umweltzonen, die man nur mit entsprechender Plakette befahren darf. Hier kostet ein Verstoß 80 Euro.


Lassen sich ältere Diesel auf Euro 6 umrüsten?
Das ist nicht mit ein paar Software-Updates der Motorsteuerung möglich, sondern erfordert größere Umbauten. Der Katalysator-Hersteller Twintec hat eigenen Angaben zufolge ein Euro-6-Nachrüstsystem für Neu- und Gebrauchtwagen entwickelt, das bei vielen Modellen den Ausstoß von Stickoxiden (NOx) so weit senkt, dass eine Euro-6-Einstufung möglich sein könnte. Die Kosten sollen rund 1500 Euro pro Fahrzeug betragen. Wie bei den meisten aktuellen Euro-6-Dieseln wird die Abgasnachbereitung dabei durch das Einspritzen von Ad Blue (Harnstoff) optimiert.


Wird die Zufahrtsbeschränkung in den beiden Hamburger Straßen denn auf jeden Fall kommen?
Der Plan steht noch unter dem Vorbehalt eines höchstrichterlichen Urteils: Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig wird voraussichtlich bis zum Herbst 2017 darüber entscheiden, ob Länder und Kommunen überhaupt lokale Beschränkungen für bestimmte Motorentypen an einzelnen Straßen anordnen dürfen oder nicht. Gibt Leipzig grünes Licht, soll die Regelung in Hamburg zügig umgesetzt werden.

Senator Kerstan zur Luftreinhaltung:

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Senator Kerstan: Luftreinhaltung in Hamburg beginnt im Hafen

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