Hamburg. Das Abendblatt fragt die Menschen in der Stadt, worüber sie sich ärgern und was ihnen gefällt. Teil 5: Kellner Klaus Kohler.

Als Kellner in der Gaststätte Erika’s Eck am Schlachthof ist Klaus Kohler nah dran am Volksmund. Der Mann weiß, wie seine Gäste ticken. Auch in seiner Stammkneipe Meier’s Inn an der Bahrenfelder Chaussee hört der gebürtige Frankfurter eine Menge übers Leben.

Seit 1985 ist der 56 Jahre alte Restaurantfachman in Hamburgs Gastronomie zu Hause – im Anschluss an eine zweijährige Station im Portman Hotel in London. Er gilt als Original, das hinter der Theke und im Gastraum in seinem Element ist, das stets für einen Witz oder lockeren Spruch gut ist. Sein Fußballherz schlägt seit der Jugend für Eintracht Frankfurt.

Bescheidene Bezahlung

Kohler macht sich Sorgen um den bevorstehenden G20-Gipfel quasi vor Erika’s Haustür, wundert sich über schwer zu besetzende Arbeitsplätze in Restaurants, beobachtet Veränderungen des Kundenverhaltens und fragt sich persönlich, wie er später von seiner Rente leben soll.

Es sind Menschen wie er, die kein politisches Amt innehaben oder die Interessen eines Verbands vertreten, die in dieser Gesprächsreihe erzählen, was ihnen unter den Nägeln brennt, was sie wurmt oder beglückt.

Herr Kohler, was bewegt Sie aktuell?

Klaus Kohler: Der G20-Gipfel Anfang Juli bei uns im Viertel. Wir spüren die Unruhe schon jetzt. Es ist viel mehr Polizei unterwegs als sonst. Die kaufen belegte Brötchen bei uns. Da kommt das Thema automatisch auf den Tisch.

Das ist doch gut fürs Geschäft?

Kohler: Aber nicht für die Stimmung hier auf der Ecke. Wir haben schon darüber diskutiert, ob unser Lokal nicht für ein paar Tage geschlossen werden muss. Der Chef will das kurzfristig entscheiden, je nach Lage. Es sollen sich ja Krawallmacher aus aller Welt angesagt haben. Ich habe nichts gegen den Gipfel an sich, gegen Treffen auf höchster Ebene und auch nichts gegen Globalisierung, frage mich nur, warum die Runde nicht auf einem Kreuzfahrtschiff, auf einer Insel oder irgendwo im Hamburger Umland stattfindet. Aber ausgerechnet auf der Schanze?

Bei 20.000 offiziellen Gipfeldelegierten gibt es eben nur in Großstädten ausreichende Kapazitäten. Aber profitiert Hamburg nicht, wenn unsere Stadt international bekannter wird?

Kohler: Wir haben auch so ausreichend Pfunde, mit denen wir wuchern können. Zum Beispiel den Hafen oder neuerdings die Elbphilharmonie. Wohlgemerkt: Ich habe absolut nichts gegen Demonstranten, jedoch gegen Gewalt. Wenn ich an den Schwarzen Block denke, wird mir angst und bange.

Sprechen Sie darüber mit Ihren Gästen?

Kohler: Na klar, zwischendurch immer wieder. Allerdings ist die Politik bei uns nicht Thema Nummer eins.

Sondern?

Kohler: Fußball natürlich. Und die kleinen und großen Tücken des Alltags. Vielen Leuten sitzt das Geld nicht mehr so locker in der Tasche wie früher. Letztlich macht sich das auch beim Trinkgeld bemerkbar. Im Schnitt hat es sich halbiert. Oft gehen die Gespräche um Arbeitsplätze und Renten. Ich kann das nachvollziehen.

Machen Sie sich Sorgen um Ihre Rente

Kohler: Wenn ich meinen jährlichen Bescheid mit der späteren Rente erhalte, wird mir schwarz vor Augen. Vielleicht muss ich als Opa in der Einkaufszone musizieren. Doch Spaß beiseite: Eines Tages werde ich erheblich weniger haben als heute. Ich lebe zwar im Hier und Jetzt und verdränge solche Gedanken, aber wohl ist mir nicht. Dabei geht es mir vergleichsweise gut: Viele Rentner haben so wenig, dass sie nicht zum Essen ausgehen können. Wenn ich an die Milliarden für Griechenland oder die HSH Nordbank denke, dreht sich mir der Magen um.

Zurück zu Ihrer Rente: Verdient man in der Gastronomie nicht genug?

Kohler: Ein Handwerker erhält mehr. Trinkgeld inklusive ist das Gehalt in unserem Bereich aber in Ordnung. Umso schwerer ist es für mich nachvollziehbar, warum viele Restaurants teilweise monatelang nach Kellnern suchen. Oft vergeblich. Dann kommt eine oder einer – und ist nach zwei Tagen sang- und klanglos verschwunden. Solche Geschichten höre ich immer wieder.

Wo sehen Sie die Gründe?

Kohler: Es ist ein harter Beruf. In Erika’s Eck haben wir in der Regel von 17 bis 14 Uhr geöffnet, also 21 Stunden am Tag. Wir arbeiten in drei Schichten. Und es ist nicht damit getan, einen Teller mit Schnitzel und Bratkartoffeln zu servieren. Vor der Öffnung und nach Feierabend gibt’s jede Menge zu tun: putzen, Leergut sortieren, Lebensmittelkisten auspacken und einsortieren, Kerzenständer reinigen, Salzfässer nachfüllen, Bestecke polieren und so weiter.

Arbeiten Sie auch am Wochenende?

Kohler: Fast immer. Ich habe die Abendschicht bis Mitternacht. Meine Freundin findet das nicht so witzig. Das gehört zum Job dazu. Dafür habe ich jeden Dienstag und Mittwoch frei. So etwas will nicht jeder. Trotzdem ist es mir unbegreiflich, warum es bei hohen Arbeitslosenzahlen so viele offene Stellen gibt. Irgendwo im System ist ein Fehler.

Spüren Sie im Laufe der Jahre Veränderungen im Verhalten der Gäste?

Kohler: Ich habe in Luxushotels, in gutbürger­lichen Restaurants und Ecklokalen gearbeitet und mit einem Kollegen selbstständig das Clubheim des Farmsener TV betrieben. Mein Eindruck: Die Leute sind durch die Bank weniger entspannt als früher. Alles muss ruckzuck gehen. Auf Gemütlichkeit wird nur noch selten Wert gelegt. Die Ansprüche haben zugenommen. Heutzutage ist man reichlich verwöhnt.

Bleibt der Spaß auf der Strecke?

Kohler: Keinesfalls. Ich mag meinen Beruf nach wie vor. Für einen Schnack ist immer Zeit. Man ist unter Leuten, immer wieder anderen, erntet bisweilen tolle Kom­plimente, freut sich über originelle Stammgäste und erlebt manches kleine Abenteuer. In Erika’s Eck sitzt der Musikprofessor neben dem tätowierten Punker, der HSV-Fan neben dem St. Paulianer. Unser Schankraum erinnert mich manchmal an die Bühne eines Theaters, auf der das Leben tobt.