An der Misere mit den hohen Schadstoffwerten trägt die Politik eine Mitschuld

Lange hegten Dieselfahrer in Hamburg die Hoffnung, dass sie von der Debatte um Stickoxide unbehelligt bleiben und Fahrverbote nur anderswo drohen. Doch nun zeigt der Luftreinhalteplan von Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne), dass dem Diesel auch in dieser Stadt nicht die Zukunft gehört und er dort, wo er Anwohner besonders schädigt, nichts mehr zu suchen hat – wenn er das technisch Machbare an Abgasreinigung nicht umsetzt.

Damit dreht sich endgültig ein Trend, der noch vor ein paar Jahren von der Angst vor schmelzenden Polkappen geprägt war. Um den Ausstoß von klimaschädlichem CO2 zu reduzieren, wurde den Autoherstellern von der EU aufgetragen, ihren Flottenverbrauch deutlich zu senken. Die haben daraufhin nicht nur verstärkt in Benziner mit weniger Hubraum investiert, sondern auch ihre Palette an noch sparsameren Selbstzündern weiter ausgebaut – obwohl Diesel immer schon das Problem hatten, dass ihr Abgas schwerer von Giften wie Stickstoffdioxid zu reinigen ist als das von Benzinern oder Erdgas-Antrieben. Selbst Porsche traute sich, Sportwagen mit dem einst von Rudolf Diesel erfundenen Antriebskonzept einzuführen. Eher stiefmütterlich ging es hingegen in Sachen Elektromobilität zu: Hier waren zunächst die Japaner führend, heute geben Amerikaner wie Tesla und GM sowie neue Anbieter aus China den Takt vor.

Was man in Europa, auch auf Druck der mächtigen deutschen Autolobby, stets ignoriert hat: Es genügt nicht, auf dem Papier strenge Schadstoff- oder Verbrauchsziele zu definieren, wenn nicht zugleich eine strikte Kontrolle erfolgt, ob das alles auch in der Praxis funktioniert. Frei nach dem Motto „Wo kein Kläger, da kein Richter“ haben sich viele Konzerne ihre Diesel regelrecht hinmanipuliert, wie nicht nur der Skandal bei VW zeigte. Inzwischen haben auch andere Hersteller Hunderttausende Fahrzeuge zurück in die Werkstätten geholt, um per Update der Motorsteuerung zumindest die schlimmsten Auswüchse beim Rausblasen von Stickoxid rückgängig zu machen (womöglich zulasten der Verbrauchswerte).

Messungen der Deutschen Umwelthilfe haben ergeben, dass einzelne Euro-6-Diesel auf der Straße bis zu neunmal mehr Stickoxide ausstoßen, als die Norm für den Prüfstand erlaubt. Der ADAC, der im Rahmen seiner Eco-Tests ebenfalls untersucht, wie sich Autos im Realverkehr verhalten, hat insgesamt knapp 80 Modelle geprüft, wobei neben vielen schmutzigen Dieseln auch Benziner aufgefallen sind, die viel zu hohe Feinstaubwerte aufweisen. Deshalb stehen beim Autoclub in der Gruppe der ökologisch empfehlenswerten Pkw vor allem Elektro- und Hybridfahrzeuge ganz oben.

Dass alle in der Praxis gemessenen Überschreitungen in Deutschland bislang nicht illegal sind, dürfte der eigentliche Skandal sein. Er liegt in den bisherigen Abgasnormen begründet, die von der Politik viel zu blauäugig vorgegeben wurden. Spät kommen jetzt immerhin schärfere Normen: Ab 1. September sind für Typgenehmigungen neuer Modelle nur noch Überschreitungen im Fahrbetrieb um das 2,1-Fache des Prüfstandwertes erlaubt, zum 1. Januar 2020 sinkt der Faktor dann auf 1,5. Die Anwohner der Hamburger Problemstraßen werden sich noch eine Zeit lang mit Atemwegspro­blemen herumplagen müssen.

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