Hamburg. Über die Ängste und die große Furcht der Deutschen. Warum die Uraufführung von “Atlas der Angst“ gelungen ist.
Warum geht man in einen Theaterabend mit dem Titel „Atlas der Angst“? Aus Gründen der Selbstbestätigung? Weil, wie der Zuschauer an diesem Abend erfährt, die größte Angst der Deutschen zuletzt der Terrorismus war? Aus eigener Angst also (vielleicht ja: etwas zu verpassen)? Oder, wie Regisseur Gernot Grünewald selbstironisch anmerken lässt: „Über tödliche Erkrankungen des Darmtrakts würde ja wohl keiner ein Theaterstück machen.“ (Was übrigens auf einen Versuch ankäme – Darmliteratur wurde hierzulande durchaus zum Dauerbestseller.)
„Zum ,Atlas der Zuversicht‘ wären Sie wahrscheinlich nicht gekommen“, unterstellen jedenfalls die Schauspieler Dekan Bucin, Julian Greis und Marie Jung ihrem Publikum im Thalia in der Gaußstraße, das sogleich ertappt lacht. Nee, bitte lieber ein paar Weltuntergangsszenarien.
Beklemmende Momentaufnahmen
„Atlas der Angst“ vermisst ein Land, dieses Land, mehr noch aber ein Gefühlsgebiet. Deutschland in Zeiten von AfD, Pegida, sogenannter Flüchtlingskrise. Der Autor Dirk Gieselmann und der Fotograf Armin Smailovic sind im Sommer 2016 durch die Republik gereist, um der Verunsicherung auf die Spur zu kommen. Haben Menschen mit Kriegs- und Terrorerfahrungen getroffen und sind der Paranoia begegnet.
Entstanden sind beispielhafte, immer wieder beklemmende Momentaufnahmen, die von einer Gegenwart im Umbruch erzählen, erst im Vorabdruck des „Zeit Magazins“, dann in einem Buch (erschienen bei Eichborn), nun auf der Theaterbühne.
Drei Schauspieler und ein Chor, Schwarz-Weiß-Aufnahmen auf den Außenseiten mannshoher Zellen, aneinandergeschnittene Protokolle, die Angst als das Gefühl unserer Tage bestätigen. Und so flapsig der Abend auch mit dem Durchschauen des eigenen Konzepts spielt und damit Distanz zu womöglich drohender Gefühligkeit schafft, so unvermittelt treffen einen immer wieder einzelne Passagen: Woher einer ein Gewehrsalvengeräusch kennen will, wenn der Soldat nie geschossen hat? „Aus meinen Träumen, da schießt er jedes Mal.“ Oder: „Er passe auf, dass ihm nichts geschehe. Das sagt der Vater zum Sohn. Erst dann erkennt der Sohn, dass er überhaupt in Gefahr schwebt.“
Solche nicht nur emotionalen, sondern literarischen Sätze verhindern, dass aus starken Texten allzu therapeutisches Theater wird.
Atlas der Angst wieder am Do, 27.4., 20.00, Thalia (Bus 2), Gaußstr. 190, Karten zu 22,- unter T. 32 814 444