Hamburg. Antonia Niecke ist neue Landesvorsitzende der Jungen Union. Warum sie von einer Frauenquote nichts hält.
Eben noch klang sie fröhlich am Telefon. Ein Interview über ihre Arbeit als neue Vorsitzende der Jungen Union (JU) in der Hansestadt? Da hatte Antonia Niecke sofort Ja gesagt. Nun aber kühlt ihre Stimme ab, die Verabredung zu einem Treffen droht zu kippen – wegen einer naheliegenden Frage, die zu ihrer Vorbereitung dienen soll: Warum engagiert sie als junge Frau sich gerade jetzt, kurz nach einem „Schlag gegen die Frauen“ in der Hamburger CDU, wie es die scheidende Vorsitzende der Frauen-Union, Marita Meyer-Kainer (62) ausdrückte.
„Sie wollen also über mein Geschlecht sprechen?“, fragt Niecke. „Ich werde jeden Morgen beim Blick in den Spiegel daran erinnert, dass ich eine Frau bin. Da besteht eigentlich kein weiterer Redebedarf.“
Gleich mal die Grenzen abstecken. Das hat gesessen.
Chefin mit 25
Zu dem Treffen in der CDU-Landesgeschäftsstelle in Winterhude kommt es dann doch. Es wird wieder um die Frauenfrage gehen, und Niecke wird sich in Rage reden, eine kleine Person, die sehr bestimmt und energisch auftreten kann. Aber die gelernte Arzthelferin und Studentin der Molekularbiologie und Biochemie lacht auch viel.
Es läuft ja gut für sie, überwiegend. Mit 18 kommt sie als zugewählte Bürgerin in die Altonaer Bezirksversammlung, engagiert sich für Jugendhilfe und Verkehr. Mit 20 wird sie Bezirksvorsitzende der JU Altona, mit 22 Vizevorsitzende der JU Hamburg. Nun ist Niecke die Chefin – mit 25. „Irgendwann muss man sich entscheiden, ob man in der zweiten oder ersten Reihe stehen will“, sagt sie.
Ihr Vorgänger, der Bürgerschaftsabgeordnete Carsten Ovens (35) war 29, als er das Amt antrat. „Antonia Niecke hat sich durch starke Leistungen ausgezeichnet“, sagt er. Leistung ist ein Wort, das auch Niecke gern benutzt.
Umstrittene Videokampagne
Hamburgs Ex-Bürgermeister Ole von Beust war JU-Vorsitzender in Hamburg, ebenso André Trepoll, der Vorsitzende der CDU-Fraktion in der Bürgerschaft. Es kann ein Sprungbrett sein.
Sie habe schon als Jugendliche den Drang verspürt, sich einzubringen, sagt Antonia Niecke. „Man kann schon mit kleinen Dingen den Alltag verbessern.“ Einfach so „daherzuleben“ halte sie nicht für erstrebenswert.
Nieckes Eltern kommen aus der damaligen DDR. Der Vater floh noch vor der Wende aus Ost-Berlin in den Westen. Als die Tochter, die in Hamburg zur Welt kommt und in Nienstedten aufwächst, als Jugendliche mit dem Gedanken spielt, in eine Partei einzutreten, besteht der Vater darauf, dass sie sich gut informiert. Antonia Niecke recherchiert über die Jusos und die Jungen Liberalen. Und sie besucht die Junge Union. Deren Devise „Machen, nicht meckern!“ gefällt ihr.
Sie klebt Plakate, macht Haustürwahlkampf, diskutiert in Sitzungen und bei Stammtischen. Entspannung findet sie ab und an sonntags im Museum. „Die Kunst ist so schön frei“, sagt sie. Ansonsten sind ihre Wochen meist voll.
Bald engagiert sie sich auch als Chefredakteurin des JU-Mitgliedermagazins „Alsterblatt“ und verantwortet die Öffentlichkeitsarbeit. Letzteres gelingt ihr allerdings nicht immer pannenfrei, jedenfalls aus Sicht ihrer Gegner.
Anfang 2016 hat sie die Idee zu einer Videokampagne, um neue Mitglieder zu werben. „Viele denken ja, alle JU-Mitglieder tragen Hemd und Anzug“, sagt Niecke. „Ich wollte zeigen, dass die JU vielfältiger ist.“
In einem Videoclip bei Facebook sieht man sie durch die Susannenstraße laufen, dann aufs Schulterblatt, wo sie sich die Rote Flora anschaut. „Meine Stadt lebt von Vielfalt und einem friedlichen Miteinander“, sagt sie in die Kamera. In der nächsten Einstellung steht sie mit einem Ziegelstein vor der Flora und sagt: „Jeder Extremist ist Mist.“
Die Kommentare triefen vor Spott. „Peinlich“ sei das. „JU, ich lach mich schlapp!“, schreibt ein Nutzer. „Was für ein dämliches Video. Was ist überhaupt die Aussage?“, heißt es an anderer Stelle. „Die Junge Union ist doch nichts anderes als ein Verein jugendlicher Spießer, die sich mit 17 schon kleiden wie ihr Vater.“
Antonia Niecke sagt, sie stehe zu dem Clip. Sie fand, dass die JU „auch mal wehtun und die Komfortzone verlassen“ müsse. Nicht alle JU-Mitglieder fanden das Video gut. Bei ihrer Wahl zur Landesvorsitzenden erhielt sie eine Zustimmung von 74 Prozent. Sie nennt es ein „ehrliches Ergebnis“ und sagt: „Ich muss nicht Everybody’s Darling sein, wenn ich den Laden leiten möchte.“
Stimme der jungen Generation?
Wofür steht sie, was will sie politisch erreichen? Nach ihrer Wahl lässt sie sich im „Alsterblick“ damit zitieren, dass die JU Hamburg „die Stimme der jungen Generation“ in der Stadt sein wolle. Sie selbst werde sich etwa dafür einsetzen, dass möglichst viele junge Leute eine gute Ausbildung erhalten, dass jeder Karriere machen kann und dass sich Beruf und Familie vereinbaren lassen. „Letzteres treibt insbesondere viele junge Frauen um“, sagt Niecke.
Apropos Frauen. Die Hamburger CDU geht ohne Frau auf aussichtsreicher Position in die Bundestagswahl 2017. Die Landesvertreterversammlung hatte den Vorschlag des männlich dominierten 17er-Ausschusses der Parteiführung bestätigt und auf die ersten vier Plätze der Landesliste nur Männer gewählt – und dann erst mit Herlind Gundelach eine aktuelle Bundestagsabgeordnete. Dabei schreibt die Satzung der Bundes-CDU eine Frau auf den Plätzen eins bis drei vor.
Gundelach sprach von einem „miserablen Signal nach außen“. Die Bürgerschaftsabgeordnete Birgit Stöver sagte: „Es kann nicht sein, dass wir im 21. Jahrhundert Frauen ausschließen.“
Sie kandidiert jetzt auch für den Bundestag
Können junge Frauen in der Hamburger CDU sich angesichts dieser Lage noch engagieren wollen? Antonia Niecke, die auch CDU-Mitglied ist, atmet tief ein, verschränkt erst die Arme, löst sie wieder, beugt sich vor. „Ja, klar!“, ruft sie. Entscheidend sei doch, wer die besten Wahlchancen habe. „Ich möchte gemessen werden an dem, was ich tue. Entweder reicht das, um es weit nach vorne zu schaffen, oder nicht“, sagt sie.
„Meine Überzeugungen gründen nicht auf meinem Geschlecht, sondern darauf, was ich im Kopf habe.“ Von einer Quote hält sie nichts. „In meiner Generation ist so etwas nicht nötig. Wir sind viel weiter.“
Niecke steht auf der Landesliste für die Bundestagswahl auf Platz 7 – als nächste Frau hinter Herlind Gundelach.
Am Freitag präsentierte CDU-Landeschef Roland Heintze zwei neue Spitzenfrauen, mit denen die Partei in den Wahlkampf ziehen soll: Die 35 Jahre alte Diplom-Kauffrau Franziska Hoppermann, neue Vorsitzende der Frauen-Union – und Antonia Niecke.
Niecke sagt, die JU werde „die Mutterpartei weiter kritisch begleiten und eigene Schwerpunkte setzen“. Auch an diesem Tag will sie nicht Everybody’s Darling sein.