Reinbek. Birgit Bliesener erinnert an ihren Großvater Ernst Fegert, der Geschichte schrieb, als er sich aus einem Luftschiff abseilte.
„Das ist mein Opa!“ Birgit Bliesener stand mit ihrem Mann vor einem historischen Foto im Zeppelin-Museum in Friedrichshafen. Dorthin an den Bodensee waren sie vor Jahren zu einem Klassentreffen gefahren. Und nun entdeckte die Hamburgerin auf einem Bild ihren Großvater, den Obersteuermannsmaat Ernst Fegert – in Uniform unter lauter deutschen Marinesoldaten des Ersten Weltkriegs. Dass ihr Opa als Luftpirat vor genau 100 Jahren in der Nordsee ein unglaubliches und bis heute einzigartiges Husarenstück vollbracht hat, erfuhr Birgit Bliesener erst später. Als sie anfing, ihre Familiengeschichte aufzuarbeiten.
Oma sprach nie über Opa
„Ich konnte damals nicht schnell genug nach Hamburg zurückkehren, um mit der Recherche zu beginnen“, sagt sie. Das Problem: Ihre Mutter und auch ihre Großmutter, die sie hätte fragen wollen, lebten nicht mehr. „Meine Oma hat nie über Opa gesprochen.“ Es gab in dem Haus ihrer Großeltern in Groß Flottbek, in dem sie aufgewachsen ist, auch nur wenige Bilder von ihrem Großvater, der den Krieg überlebte, aber 1937 mit 48 Jahren an Krebs gestorben ist. „Ich wurde erst sieben Jahre später geboren.“ Mit Computer und Internet kannte sich Bliesener ebenfalls nicht aus. „Ich wollte schon aufgeben.“ Dann aber entdeckte sie im Zeppelin- und Garnisonsmuseum im dänischen Tondern erneut ein Bild ihres Großvaters. „Da wurde ich zum zweiten Mal infiziert.“
Sie setzte sich wieder an den Computer und stieß im Internet auf „Luftschiff-Harry“. „Harry Redner hat mich angeleitet und mir bei der Recherche sehr geholfen.“ Er versorgte Birgit Bliesener außerdem mit Fachliteratur und zahlreichen Bildern. Mit seiner Hilfe kam die Enkelin ihrem Opa auf die Spur. „Ich wurde eine Hobby-Forscherin im Arbeitskreis für Luftschiff-Geschichte.“
Luftschiffbau bedurfte Zigtausender Rinderdärme
Heute weiß Birgit Bliesener nahezu alles über die Luftschifffahrt und die einzigartigen Zeppeline, diese mit Gas gefüllten Ballons aus Segeltuch. „Ausgestattet mit zwölf bis 14 Gaszellen, die aus Rinderdärmen hergestellt wurden. Pro Zeppelin wurden bis zu 50.000 Rinderdärme verarbeitet, weshalb damals dem deutschen Volk verboten wurde, Wurst zu essen, so ein Gerücht.“
Sie erfuhr, dass ihr Opa mit dem berühmten Luftschiff L 59 im November 1917 im Namen des deutschen Kaisers Wilhelm II. erstmals nach Afrika geflogen war, um die völlig isolierten Truppen von General Paul von Lettow-Vorbeck mit Nachschub zu versorgen. Ein buchstäbliches Himmelfahrtskommando mit dem 226 Meter langen Zeppelin, das nach 6500 Kilometern und 95 Stunden ununterbrochener Fahrt bei heftigsten Turbulenzen in der Höhe von Khartum im Sudan abgebrochen werden musste. Lettow-Vorbeck hielt sich dennoch bis Kriegsende.
Tondern gehörte zum Deutschen Reich
Sieben Monate zuvor aber war ihr Großvater der erfolgreiche Hauptdarsteller in einer der tollkühnsten Aktionen der Luftschifffahrt. Es ist der 23. April 1917, als der Zeppelin L 23 in Tondern zu einem Aufklärungsflug der deutschen Marine über die Nordsee startet. Tondern gehörte damals zum Deutschen Reich, hier befand sich der nördlichste Luftschiffhafen. In der Höhe von Skagerrak entdeckt die Zeppelin-Besatzung die norwegische Bark „Royal“.
Das Luftschiff ging auf 300 Meter herunter. Per Flüstertüte wollten die Deutschen wissen, was das Schiff geladen hatte und wohin es unterwegs war. „Die norwegischen Seeleute verließen wohl angesichts des fliegenden Monsters in Panik ihr Schiff und kletterten in zwei Beiboote“, sagt Birgit Bliesener. Ihr Großvater Ernst Fegert ließ sich dann mit zwei Kameraden an einer Jakobsleiter herunter, kaperte ein Beiboot und forderte die Norweger auf, zur Bark zurückzukehren. Dort wurden Kapitän und Steuermann in die Kajüte eingesperrt, und der Segler, der Grubenholz für England geladen hatte, wurde von dem Obersteuermannsmaat Ernst Fegert nach Cuxhaven gebracht.
Bliesener hofft, dass sich noch Angehörige melden
Diese spektakuläre Aktion, die einzigartig blieb, wurde später von Marinemalern immer wieder als Motiv gewählt. „Mein Großvater war damals ein sehr bekannter Mann, und er ist es heute in Luftschifferkreisen immer noch“, sagt Birgit Bliesener. „Er war Vorsitzender des Marine-Luftschiffer-Vereins in Hamburg. Und ich hoffe, dass sich vielleicht noch Angehörige von damaligen Vereinsmitgliedern bei mir melden, um die Geschichte weiterzuschreiben.“ Es gebe ja leider keine Zeitzeugen mehr. „Zufälle sind unsere einzige Hoffnung, noch an weitere Informationen von damals zu kommen.“
Besonders interessiert ist Birgit Bliesener an den Namen der damaligen Beteiligten. Es geht ihr nicht um Heldengeschichten von diesen Pionieren der heutigen Luftfahrt. „Ich will den Menschen, egal aus welchem Land oder in welchem Rang sie damals waren, einen Namen geben.“