Hamburg. Das Abendblatt fragt immer freitags die Menschen in der Stadt, was sie umtreibt. Teil 3: Brigitte Schärfe.

Hamburgs Schlüsselposition als Tor zur Welt funktioniert auch in umgekehrter Richtung: Als sogenannte Relocation-Managerin kümmert sich Brigitte Schärfe um Neuankömmlinge in unserer Stadt. Im Auftrag zumeist großer Firmen betreut sie Mitarbeiter aus aller Herren Länder, die ihren Wohnsitz aus beruflichem Grund nach Hamburg verlegen. Sie organisiert Anmeldungen, Wohnungen, Stromtarife, Versicherungen, Kita-Plätze, Sprachkurse und viel mehr.

Kontakte zu Menschen aus allen möglichen Nationen zählen für die gebürtige Württembergerin, die seit 27 Jahren in der Hansestadt lebt, zum alltäglichen Job. „Die meisten Hamburger zeichnen sich durch offene Arme und ein offenes Herz aus“, weiß Frau Schärfe aus Erfahrung.

Relocation

Verdruss bereiten Schärfe, die sich 2009 mit ihrer Firma („Eine One-Woman-Show“) selbstständig machte, die Verkehrssituation und zunehmender Leistungsdruck für Schulkinder. Die gelernte Erzieherin und zweifache Mutter lebt mit ihrer Familie und Hund Toni in Groß Flottbek. Es sind Menschen wie sie, die kein politisches Amt innehaben oder die Interessen eines Verbands vertreten, die in dieser Gesprächsreihe erzählen, was ihnen unter den Nägeln brennt, was sie wurmt oder beglückt.

Frau Schärfe, was bewegt Sie gerade?

Brigitte Schärfe: Etwas höchst Positives. Vorhin hatte ich Termine im Hamburg Welcome Center und beim Finanzamt. Manchmal musste ich ein bisschen warten, aber alle Gesprächspartner waren sehr freundlich und bemüht. Einige mögen sich wundern, aber ich gehe gerne aufs Amt. Auch zu den Krankenkassen übrigens. Mich bewegt diese gute Erfahrung besonders, weil das Entgegenkommen gerade auf Ämtern so groß ist.

Dabei gibt es viele Klagen, dass man so schwer Termine im Kundencenter und anderswo bekommt. Spüren Sie das nicht?

Schärfe: Wenn man sich wirklich bemüht und flexibel ist, geht das meist wunderbar. So werden um 7.30 Uhr im Internet aktuelle Termine vergeben, die andere für den Tag kurzfristig abgesagt haben. Da muss man eben früh am Ball sein. Mit ein bisschen gutem Willen und Einsatz sind solche Tücken prima zu meistern.

Meckern die Hamburger zu schnell?

Schärfe: Wie es ins Tal schallt, so hallt es zurück. Das gilt doch für alle Bereiche des Lebens. Durch die Bank sind praktisch alle Behördenleute gut ausgebildet und hilfsbereit. Wer renitent ist, darf sich nicht wundern, wenn er im Abseits steht.

Sie erleben es jeden Tag: Haben die Hamburger offene Arme Neuankömmlingen gegenüber?

Schärfe: Meinen Bereich betreffend eindeutig ja. Dabei muss man berücksichtigen, dass ich gut ausgebildete Personen in gehobenen Positionen vertrete. Das Gros meiner Kunden ist begeistert von Hamburg. Von Kinder- oder Elterngeld, erstklassigen Kita-Plätzen oder tollen Spielplätzen kann man anderswo nur träumen. Deutschland unternimmt eine Menge für Familien.

Also ausschließlich Lob für Hamburg?

Schärfe: Die Verkehrssituation ist schwierig, aber das sagt ja jeder. Ich bin oft mit dem Fahrrad unterwegs, brauche beruflich jedoch ein Auto. Es gibt viel zu viele Baustellen, oft schlecht koordiniert, und viel zu viele Autos. Es ist doch ein Witz, dass ich bei mir im Stadtteil nur mit Problemen einen Parkplatz kriege. Andererseits darf man sich nicht wundern: Wir haben bei uns im Haus vier Wohnungen – und acht Autos plus ein Motorrad. Wenn mehr Leute Car-Sharing nutzen würden, wäre die Situation entschärft.

Ob’s das alleine bringt?

Schärfe: Natürlich nicht. Aber es ist ein Mosaiksteinchen. Ein weiterer Hebel sollte meiner Meinung nach das Tarifsystem des öffentlichen Nahverkehrs sein. Die Tickets müssen günstiger werden – als echte Alternative zum Auto. Neulich war ich abends in der Innenstadt. Die Tageskarte für Hin- und Rückfahrt kostete 6,90 Euro. Pro Person. Damit lockt man die Leute nicht vom Steuer weg.

Sie haben zwei Kinder – was bewegt Sie in puncto Erziehung?

Schärfe: Meine ältere Tochter studiert in Holland, meine jüngere geht noch zur Schule. Auch von anderen Eltern weiß ich, dass der Leistungsdruck auf Jugendliche immer größer wird. Einige Kinder haben Ängste und brauchen sogar Entspannungs-CDs. Das darf doch nicht angehen.

Leicht gesagt ...

Schärfe: Oft sind die Eltern das Problem, nicht die Kinder. Der Stress beginnt schon in der Grundschule: Bloß ganz früh anfangen. Später kommen Freizeitaktivitäten dazu: Ballett, Klavier, Hockey, Sprachkurse und so weiter. Ich kenne Kinder und Jugendliche, die keinen einzigen Nachmittag in der Woche frei haben. Ein Elternsatz wie „Wir schreiben morgen Mathe“ spricht doch Bände.

Ein Grund mehr für eine Rückkehr zum Abitur nach 13 Schuljahren?

Schärfe: Mit G8 hat das nichts zu tun. Ich bin eher dafür. Der Druck wird vielmehr von einigen Eltern aufgebaut. Viele wollen auf Teufel komm heraus gute Zensuren, von Anfang an. Die Konkurrenz schläft nicht. Sofort nach der Schule bloß schnell in Ausbildung oder Studium. In drei Jahren den Bachelor. Und danach rasch in den Beruf. Geld, Geld, Geld, Karriere, Karriere, Karriere. Es ist ein Jammer, wenn Kinder und Jugendliche ihre Freiheit nicht genießen können. Verhalten sich die Eltern entspannter, sind es auch die Kinder.